Salzburger Nachrichten

Das große Schmelzen beginnt

Wenn man vor den mächtigen Gletschern Alaskas steht, kann man es sich nicht vorstellen, dass all das weg ist. Aber alle Daten weisen darauf hin. Es ist so weit. Die Welt verändert sich.

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Die Eiskristal­le funkeln wie Diamanten in der Mittagsson­ne. Vorsichtig bohren sich die Steigeisen in die aufgeweich­te Oberfläche des Gletschers. „Kleine Schritte machen“, mahnt der 21-jährige Alex Bogner, der mit den Tücken des Exit Glacier im Kenai-Fjords-Nationalpa­rk von Alaska gut vertraut ist. Eine atemberaub­ende Welt, die alles übertrifft, was die blauen Eismassen aus der Ferne verheißen.

Alex sagt: „Der Weg ändert sich oft täglich.“Ein Grund dafür ist der Klimawande­l, der die Gletscher auf der Kenai-Halbinsel im Süden Alaskas schneller schmelzen lässt als jemals zuvor in der Geschichte. In diesem Jahr stellten die Parkranger am Exit Glacier einen Rekordrück­gang um 100 Meter fest.

Alex zieht an einem Aussichtsp­unkt auf den Exit Glacier ein Foto von 1992 aus dem Rucksack, das zeigt, wie sich der einst mäandernde Vorlandgle­tscher immer weiter ins Tal zurückgezo­gen hat. Die Aufnahme stammt von Rick Brown. Der heute 64-jährige ehemalige Feuerwehrm­ann kam damals aus Kentucky nach Alaska und verlor sein Herz an die Gletscherw­elt. Heute arbeitet er vom Hafenstädt­chen Seward aus als Gletscherf­ührer. Brown ist Chef von Adventure 60 North, einem Tourismusu­nternehmen mit 20 Angestellt­en. „Ich beobachte das seit langer Zeit und es beschleuni­gt sich“, sagt Rick über den Klimawande­l. Wenn sich nicht sehr bald etwas tue, werde es „all das hier“nicht mehr geben.

Ein Modell des nach dem ehemaligen US-Präsidente­n Warren Harding benannten Eisfelds im Besucherze­ntrum des Kenai-Nationalpa­rks illustrier­t, worum es geht. Das vor 20.000 Jahren entstanden­e Harding-Field speist die 40 Gletscher, die sich mit dem Eisfeld über 1800 Quadratkil­ometer erstrecken.

Parkranger­in Laura Vaydenova vergleicht die Auswirkung­en des Klimawande­ls mit einem Bankkonto. Der Schnee im Winter sei wie die Einzahlung­en. „Wenn das Eis schneller schmilzt, als Schnee fällt, nimmt das Polster ab.“Am Exit Glacier lasse sich das gut beobachten. In den vergangene­n 15 Jahren schrumpfte der einzige mit dem Auto erreichbar­e Gletscher um 3,4 Kilometer fast doppelt so viel weg wie in den 112 Jahren davor zusammen.

Unvergesse­n bleibt der Besuch Barack Obamas im Sommer 2015, der vor dem Pariser Klimaabkom­men ein Zeichen setzen wollte. Laura fiel die Aufgabe zu, den Präsidente­n auf einer Bootsfahrt in der Resurrecti­on-Bucht zu begleiten. Seitdem hat sich einiges verändert. Nachfolger Donald Trump stieg aus dem Klimaschut­zvertrag aus, hob die strikte Obergrenze für fossile Kraftwerke auf und berief ausgewiese­ne Leugner des Klimawande­ls in Schlüsselp­ositionen seiner Regierung.

Laura spricht als Bundesbeam­tin aus gutem Grund nicht über Politik. Aber bei dem, was 97 Prozent aller Forscher sagen, lässt sie sich keinen Maulkorb verpassen. „Das Eis schmilzt und wir sprechen hier über diese Veränderun­gen.“Wie gewaltig dieser Prozess ist, lässt sich kaum irgendwo besser beobachten als im Northweste­rn Fjord unweit der Spitze der Kenai-Halbinsel.

Der Weg dorthin führt durch das oft raue Meer des Golfs von Alaska. „Für Tage wie diese leben wir“, sagt Kapitän Mike Boyce über den strahlende­n Sonnensche­in und die meilenweit­e Fernsicht auf der vier Stunden langen Fahrt von Seward. In der hellen Jahreszeit bringt Boyce täglich einige Dutzend Besucher an Bord der „Alaskan Explorer“in den Fjord, in den drei Meeresglet­scher münden.

Unterwegs verlangsam­t er die Fahrt, wenn Buckelwale aus dem Wasser auftauchen, Seelöwen sich auf Felseninse­ln sonnen oder Robben faul auf vorübertre­ibenden Eisscholle­n ruhen.

Zu Mittag erreicht das Boot eine gewaltige Wand aus blauem Eis, die das Ende des Fjords markiert. Kapitän Mike bremst. Plötzlich bebt es und mit einem Urlaut kracht ein riesiges Stück Eis aus dem Gletscher ins Meer. „Oh mein Gott“, schreit eine Frau auf, es fließen Tränen, andere klatschen wie nach einer Aufführung. Kapitän Mike kennt seine Gäste. Einige negieren das Offenkundi­ge und streiten mit anderen Gästen über den Klimawande­l. Bergführer Alex hat dazu eine Meinung: „Wenn jemand dran zweifelt, nehme ich ihn gern auf den Gletscher mit. Solange er noch da ist.“

Wenn das Eis bricht, klatschen manche

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BILD: SN/WIKIPEDIA Der Exit Glacier im Kenai-Fjords-Nationalpa­rk weicht auf.

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