Volksentscheide brauchen klare Regeln
Es darf nicht möglich sein, mittels der direkten Demokratie die Demokratie abzuschaffen.
Es war die direkte Demokratie, die den Briten das Brexit-Chaos beschert hat. Es war die direkte Demokratie, nämlich die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens, die den Spaniern eine Verfassungskrise beschert hat. Muss man nicht Alarm schlagen, wenn ausgerechnet jetzt ÖVP und FPÖ kundtun, dass sie in ihrer geplanten neuen Regierung verstärkt auf die direkte Demokratie setzen wollen?
Ein solcher Alarmismus ist unangebracht. Denn alle Argumente, die gegen die direkte Demokratie ins Feld geführt werden, ließen sich auch gegen die Demokratie als solche anführen. Und vor allem gegen das in Demokratien übliche Mittel zur Ermittlung des Bürgerwillens, nämlich Wahlen. Und auf dieses Terrain wollen wir uns wohl doch nicht begeben. Es waren Wahlen, die einen Wirrkopf wie Donald Trump an die Macht gebracht haben. Es waren Wahlen, die Despoten wie Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan an die Macht gebracht haben. Dennoch wird kein vernünftiger Mensch Wahlen verdammen. Ebenso wenig hat es sich die direkte Demokratie verdient, verdammt zu werden. Auch wenn sie mit Risken verbunden ist – genauso wie Wahlen mit Risken verbunden sind. Risken, die eingedämmt werden können, wenn bei Volksabstimmungen und -befragungen einige Regeln eingehalten werden.
Erstens sollten einige zu definierende grundlegende Errungenschaften wie etwa die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit kein Gegenstand von Volksentscheiden sein. Es darf also nicht möglich sein, mittels der direkten Demokratie die Demokratie abzuschaffen.
Zweitens sollte dem Verfassungsgerichtshof ein Veto eingeräumt werden. Wenn die Verfassungshüter Nein sagen, gibt es keinen Volksentscheid.
Drittens sollten die Parteien darauf verzichten, die direkte Demokratie als Mittel der Wählermobilisierung zu missbrauchen. Für diesen Unfug gibt es Beispiele zur Genüge, zuletzt die Volksbefragung zur Wehrpflicht, die der SPÖ als Zwischenwahlkampf dienen sollte. Auch diverse Volksbegehren, die von Parteien veranstaltet wurden, die ohnehin mit parlamentarischem Antragsrecht ausgestattet sind, fallen in diese Missbrauchs-Kategorie.
Viertens sollte die Regierung das Volk vor dem Volksentscheid nicht mit Parteipropaganda indoktrinieren (Wehrpflicht-Abstimmung!), sondern ehrlich und objektiv informieren. Wird die direkte Demokratie mit diesen einfachen Regeln vollzogen, brauchen wir sie nicht zu fürchten.