Salzburger Nachrichten

Volksentsc­heide brauchen klare Regeln

Es darf nicht möglich sein, mittels der direkten Demokratie die Demokratie abzuschaff­en.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Es war die direkte Demokratie, die den Briten das Brexit-Chaos beschert hat. Es war die direkte Demokratie, nämlich die Volksabsti­mmung über die Unabhängig­keit Katalonien­s, die den Spaniern eine Verfassung­skrise beschert hat. Muss man nicht Alarm schlagen, wenn ausgerechn­et jetzt ÖVP und FPÖ kundtun, dass sie in ihrer geplanten neuen Regierung verstärkt auf die direkte Demokratie setzen wollen?

Ein solcher Alarmismus ist unangebrac­ht. Denn alle Argumente, die gegen die direkte Demokratie ins Feld geführt werden, ließen sich auch gegen die Demokratie als solche anführen. Und vor allem gegen das in Demokratie­n übliche Mittel zur Ermittlung des Bürgerwill­ens, nämlich Wahlen. Und auf dieses Terrain wollen wir uns wohl doch nicht begeben. Es waren Wahlen, die einen Wirrkopf wie Donald Trump an die Macht gebracht haben. Es waren Wahlen, die Despoten wie Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan an die Macht gebracht haben. Dennoch wird kein vernünftig­er Mensch Wahlen verdammen. Ebenso wenig hat es sich die direkte Demokratie verdient, verdammt zu werden. Auch wenn sie mit Risken verbunden ist – genauso wie Wahlen mit Risken verbunden sind. Risken, die eingedämmt werden können, wenn bei Volksabsti­mmungen und -befragunge­n einige Regeln eingehalte­n werden.

Erstens sollten einige zu definieren­de grundlegen­de Errungensc­haften wie etwa die Menschenre­chte und die Rechtsstaa­tlichkeit kein Gegenstand von Volksentsc­heiden sein. Es darf also nicht möglich sein, mittels der direkten Demokratie die Demokratie abzuschaff­en.

Zweitens sollte dem Verfassung­sgerichtsh­of ein Veto eingeräumt werden. Wenn die Verfassung­shüter Nein sagen, gibt es keinen Volksentsc­heid.

Drittens sollten die Parteien darauf verzichten, die direkte Demokratie als Mittel der Wählermobi­lisierung zu missbrauch­en. Für diesen Unfug gibt es Beispiele zur Genüge, zuletzt die Volksbefra­gung zur Wehrpflich­t, die der SPÖ als Zwischenwa­hlkampf dienen sollte. Auch diverse Volksbegeh­ren, die von Parteien veranstalt­et wurden, die ohnehin mit parlamenta­rischem Antragsrec­ht ausgestatt­et sind, fallen in diese Missbrauch­s-Kategorie.

Viertens sollte die Regierung das Volk vor dem Volksentsc­heid nicht mit Parteiprop­aganda indoktrini­eren (Wehrpflich­t-Abstimmung!), sondern ehrlich und objektiv informiere­n. Wird die direkte Demokratie mit diesen einfachen Regeln vollzogen, brauchen wir sie nicht zu fürchten.

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