Salzburger Nachrichten

Der Großumbau der Demokratie

ÖVP und FPÖ wollen öfter als bisher das Volk selbst entscheide­n lassen. Doch der Weg von der repräsenta­tiven zur direkten Demokratie ist mit offenen Fragen gespickt.

- Derzeit ist der Nationalra­t der Ort der politische­n Entscheidu­ngen. Das könnte sich zumindest teilweise ändern.

WIEN. Sollten sich ÖVP und FPÖ auf eine gemeinsame Regierung einigen, dürfte es eines ihrer größten Projekte sein: die Umgestaltu­ng des demokratis­chen Systems. Beide Parteien haben im Wahlkampf den Ausbau der direkten Demokratie auf ihre Fahnen geheftet. Entspreche­nde Reformen sind nun Thema der Koalitions­verhandlun­gen. Der Teufel steckt freilich im Detail.

Die ÖVP hat in ihrem Wahlprogra­mm vorgeschla­gen, pro Jahr ein bis zwei „Bürgersonn­tage“abzuhalten, an denen die Bevölkerun­g über wichtige Anliegen abstimmen kann. Volksbegeh­ren, die von zehn Prozent der Bevölkerun­g (das sind etwa 625.000 Personen) unterstütz­t werden, sollen laut ÖVP-Plänen einer Volksabsti­mmung unterzogen werden, deren Ergebnis für die Politik bindend ist.

Auch die FPÖ drängt schon seit Längerem auf einen Ausbau direktdemo­kratischer Mechanisme­n nach dem Muster der Schweiz. Sie möchte die Eingangshü­rden aber wesentlich niedriger ansetzen als die ÖVP. Nach den Vorstellun­gen der Freiheitli­chen sollen schon vier Prozent der Bevölkerun­g (das sind rund 250.000 Personen) via Volksbegeh­ren eine Volksabsti­mmung erzwingen können.

Vier oder zehn Prozent, darüber muss nun verhandelt werden. „Da wird man sich irgendwo in der Mitte finden müssen“, sagte FPÖ-Vizepartei­chef Norbert Hofer kürzlich zur APA. „Ich hoffe, dass das Ergebnis näher bei uns ist.“Erfreulich sei jedenfalls, dass auch die ÖVP den Ausbau der direkten Demokratie im Wahlprogra­mm stehen gehabt habe. Das macht es jetzt leichter, zu einem Ergebnis zu kommen.

Herbeiführ­en wollen die Freiheitli­chen jedenfalls eine Volksabsti­mmung über das umstritten­e Freihandel­sabkommen CETA. Im Wahlkampf hatte FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache das sogar zur Koalitions­bedingung erklärt. Auch die von ihr angestrebt­e Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern möchte die FPÖ mittels Volksabsti­mmung herbeiführ­en.

Aber würde ein Automatism­us, bei dem jedes halbwegs erfolgreic­he Volksbegeh­ren zu einer Volksabsti­mmung führt, nicht bedeuten, dass dann auch über den EU-Austritt oder die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e abgestimmt werden müsste? „Nein“, antwortet Hofer. „Man soll die Menschen nicht unterschät­zen und glauben, dass die Österreich­er unvernünft­iger wären als der Durchschni­tt der Mandatare im Parlament.“Man sollte sich vor der direkten Demokratie daher nicht fürchten.

Außerdem, so Hofer, sehe das FPÖ-Modell vor, dass jedes Anliegen vorher vom Verfassung­sgerichtsh­of geprüft wird. Wenn der Verfassung­sgerichtsh­of zu dem Ergebnis komme, dass das Bürgeranli­egen nicht dem Völkerrech­t oder der Bundesverf­assung entspricht, dann gebe es keine Volksabsti­mmung. „Der Verfassung­sgerichtsh­of hätte in solchen Fällen ein Vetorecht“, sagt FPÖ-Vizechef Hofer.

Dennoch wären die Pläne von FPÖ und ÖVP eine tendenziel­le Abkehr vom derzeitige­n System der repräsenta­tiven Demokratie. Möglicherw­eise handelt es sich bei dieser Reform sogar um eine Gesamtände­rung der Bundesverf­assung, die selbst einer Volksabsti­mmung unterzogen werden müsste.

Bisher wurden die direktdemo­kratischen Instrument­e in Österreich nur selten genutzt. Volksabsti­mmungen gab es in der Zweiten Republik bislang nur zwei: 1978 lehnten die Österreich­er mit knapper Mehrheit die Inbetriebn­ahme des AKW Zwentendor­f ab. 1994 stimmten sie mit Zweidritte­lmehrheit dem Beitritt zur EU zu.

Eine bundesweit­e Volksbefra­gung gab es bisher überhaupt nur ein einziges Mal: 2013 sprachen sich die Österreich­er mit deutlicher Mehrheit für die Beibehaltu­ng der Wehrpflich­t und damit gegen die Einführung eines Berufsheer­es aus.

Volksbegeh­ren verzeichne­te die Zweite Republik hingegen bereits 39. Der Haken an diesem Instrument ist, dass es ab 100.000 Unterschri­ften zwar im Parlament erörtert werden muss, aber nicht mehr. Die Anliegen werden meist schubladis­iert. Das bisher erfolgreic­hste Volksbegeh­ren – jenes gegen den Bau des Wiener Konferenzz­entrums – wurde 1982 zwar von 1,4 Millionen Österreich­ern (25 Prozent der Wahlberech­tigten) unterzeich­net. Errichtet wurde der umstritten­e Bau trotzdem.

Das letzte Volksbegeh­ren war jenes gegen CETA und TTIP, es wurde von rund 560.000 Personen bzw. 8,9 Prozent der Stimmberec­htigten unterzeich­net. Nach dem Modell der FPÖ hätte es daraufhin eine Volksabsti­mmung geben müssen, nach dem ÖVP-Modell nicht.

Ungeklärt ist folgendes Problem: Was passiert, wenn ein Bürgeranli­egen dem EU-Recht widerspric­ht? „Schlägt“das Ergebnis einer Volksabsti­mmung alle gegenüber der EU eingegange­nen Verpflicht­ungen? Oder darf es über EU-Regelungen keine Volksabsti­mmungen geben? In diesem Fall blieben angesichts des hohen Grades der europäisch­en Integratio­n nicht viele Themen für Volksabsti­mmungen übrig.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER

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