Punktesystem und Online-Bewerberpool
Ahmed Hussen kam einst als Flüchtling aus Somalia nach Kanada. Anfangs ohne Geld, ohne Wohnung, ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Hussen jobbte für sieben Dollar pro Stunde an einer Tankstelle, bekam einen Studienkredit und lernte nebenher fleißig Englisch und Französisch. Später bestand er die Aufnahmsprüfung zur Universität, wo er Rechtswissenschaften studierte.
Heute ist der Flüchtling von einst in Kanada an einer der höchsten Stellen der Macht angelangt. In der Regierung von Premierminister Justin Trudeau ist Hussen als Minister zuständig für Staatsbürgerschaft und Einwanderung. Es ist ein Posten, der ihm auf den Leib geschnitten ist. Schließlich hatte er einst selbst von der liberalen Einwanderungstradition seines Landes profitiert und es weit gebracht.
Am Mittwoch setzte Hussen die liberalen Traditionen fort und stieß mit neuen Zuwanderungsquoten die Türen seines Landes weit auf: Knapp eine Million Menschen will Hussen in den nächsten drei Jahren neu ins Land holen, so viele wie schon lange nicht mehr. „Wir glauben, dass Zuwanderer für die Zukunft unseres Landes eine entscheidende Rolle spielen“, betonte er in Toronto.
Laut dem neuen Plan will Kanada im kommenden Jahr 310.000 Zuwanderer willkommen heißen, das sind 10.000 mehr als dieses Jahr und 50.000 mehr als noch in den Jahren davor unter dem konservativen Premier Stephen Harper. In den darauffolgenden zwei Jahren soll die Quote dann weiter steigen, auf zunächst 330.000 Menschen, dann auf 340.000 im Jahr 2020.
Das entspricht gegenüber heute einem Zuwachs von mehr als 13% und ist die höchste Zahl an Neuankömmlingen, die Kanada seit dem Ersten Weltkrieg aufgenommen hat. Hussen sprach vom „ehrgeizigsten Zuwanderungsniveau in der jüngeren kanadischen Geschichte“. Sein Land brauche deutlich mehr Einwanderer, um angesichts der niedrigen Geburtenraten und der alternden Gesellschaft die demografischen Herausforderungen zu bewältigen und die Sozialsysteme zu sichern. Auch für Kanadas Wirtschaftswachstum und Innovationsfähigkeit spielten die Neubürger eine wichtige Rolle.
Kanada geht mit dem neuen DreiJahres-Plan dabei einen ausdrücklich anderen Weg als der südliche Nachbar USA, wo Präsident Donald Trump die Zuwanderung einschränken und Einbürgerungen erschweren will. Auch in vielen Ländern Europas wird die Zuwanderung angesichts der weltweiten Flüchtlingskrise zunehmend kritisch diskutiert. Nicht so in Kanada. Als traditionelles Einwanderungs- land will Kanada auch zukünftig um junge Zuwanderer mit guter Ausbildung und Qualifikation werben. Knapp 60 Prozent aller Neuankömmlinge sollen laut Hussens neuem Plan anhand beruflicher Kriterien und der Erfordernisse des Arbeitsmarktes ausgewählt werden. Das sind 177.000 bis 196.000 Fachkräfte im Jahr. Dazu hat Kanada das „Express Entry System“geschaffen, eine Art Punktesystem und Online-Bewerberpool.
Aus diesem Pool können sich Staat und Arbeitgeber die passenden Bewerber auswählen, die auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen haben. Gefragt sind derzeit Handwerker, Techniker, IT-Spezialisten, Krankenschwestern, Physiotherapeuten und Angehörige von Pflegeberufen.
Knapp ein Drittel aller neuen Zuwanderer soll im Rahmen der Familienzusammenführung nach Kanada kommen. 2018 sind dies etwa 86.000 Menschen. Diese Quote soll bis 2020 auf 91.000 steigen. Der Rest der Gesamtquote entfällt auf Flüchtlinge. Demnach will Kanada nächstes Jahr 46.500 Flüchtlinge aufnehmen, im Jahr 2020 sollen es dann 53.000 sein.
Kritiker halten dieses Niveau für unrealistisch. Heuer hat Kanada schon 60.000 Flüchtlinge aufgenommen, viele davon aus Syrien. Auch aus den USA kommen angesichts der restriktiven Politik Trumps immer mehr Asylsuchende aus Drittländern nach Kanada, oft illegal. Die meisten von ihnen werden allerdings als Flüchtlinge anerkannt und dürfen bleiben.
Um die Integration der Neuankömmlinge zu beschleunigen, hat die kanadische Regierung außerdem die Regeln zur Einbürgerung gelockert. Ab sofort können Zuwanderer mit permanentem Aufenthaltsstatus schon nach drei Jahren in Kanada einen kanadischen Pass beantragen. Bislang waren es vier Jahre gewesen. Ältere Familienangehörige können ohne Spracherfordernisse eingebürgert werden.