Ein Nachruf auf den kulinarischen Hausverstand
Was für ein Fortschritt! Endlich können wir im Gehen Flüssignahrung zu uns nehmen – während Astronauten Brot backen.
Früher war Essen noch einfach. Man hat etwas gekocht, dann wurde gegessen. Meistens sogar gemeinsam. Heute kann man vollkommen easy für zwei Euro eine Mahlzeit trinken. Ganz allein. So viel kostet zumindest ein Becher Huel. Bei diesem Produkt handelt es sich laut Eigenwerbung um eine „vollwertige Mahlzeit in Pulverform, welche alle Proteine, Kohlenhydrate und Fettsäuren sowie mindestens 100 Prozent der von der EU empfohlenen Tagesmenge aller essenziellen Vitamine und Mineralstoffe enthält, die über die Nahrung aufgenommen werden sollten“. Entwickelt wurden diese Drinks für Astronauten in der Schwerelosigkeit. Zu ebener Erde können Sie diese Mahlzeit auch im Gehen trinken. Was für ein Fortschritt!
In Deutschland wurde Huel seit der Markteinführung bereits acht Millionen Mal verkauft. Wenn man bedenkt, dass in einer Dose 28 Mahlzeiten enthalten sind, dann haben die Deutschen schon 224 Millionen Portionen Huel gebechert. Der Trend erobert bereits alle westlichen Industrieländer. In den USA wird der Markt von Soylent beherrscht und in Tschechien wurde Mana entwickelt. Natürlich – so betonen die Pulverproduzenten – sind alle Drinks vegan. Was man von Peter Klassens Fleischsäften aus Rindern und Hühnern nicht unbedingt behaupten kann. Der Fleischhauer aus Trier bringt sie in Kürze als Energy Drink unter dem Namen „Pete and Phils“auf den Markt: 0,33 Liter kosten 3,80 Euro. Klassen hat bislang immerhin eine Million Euro in trinkbares Fleisch investiert. Spätestens jetzt wünscht man sich, aus diesem kulinarischen Albtraum aufzuwachen. Und wie zum Selbstschutz fällt mir jetzt ein lieber Freund ein: Yves Weisang. Er stammt aus Lothringen. Einmal saßen wir gemeinsam in seinem kleinen Restaurant, wo er melancholisch von einem Gericht aus seiner Heimat erzählte: Es heißt „Baeckeoffe“. Das ist ein Eintopf mit Fleisch und Gemüse. Der schmeckt super. Nur der lothringische Name kam mir spanisch vor. Yves erzählte, dass er auf einen Trick zurückgeht. Früher wurde tagsüber noch sehr hart gearbeitet. Deshalb legten die Hausfrauen bereits am Vorabend Fleisch in Wein, Gemüse und Gewürzen ein. Am nächsten Tag brachten Sie die Töpfe in die Bäckerei, wo sie die Restwärme der Öfen nutzen durften. Es hat sich also von allein gekocht. Gegessen wurde gemeinsam. Man nannte das Hausverstand. Heute gibt es nur noch Technik. Im All dürften Astronauten deshalb bald viel besser essen als der fortgeschrittene Mensch auf der Erde. Ein Bremer Start-up namens „Bake in Space“hat ein System entwickelt, mit dem Astronauten im All Brot backen können. Vom Anbau des Getreides bis zum fertigen Gebäck. Hoffentlich bringen sie diese sündteure Innovation bald wieder zurück zur Erde.