Salzburger Nachrichten

„Geliebt habe ich so richtig arge Hütten!“

„So richtig hippe moderne Cafés“gebe es nicht in Wien, versichert die Autorin Stefanie Sargnagel. Ein Kaffeehaus sei nicht cool. Was dann? Aus dem Kaffeehaus

- HEDWIG KAINBERGER WIEN. Buch: Sepp Dreissinge­r, „Im Kaffeehaus“, 35 Gespräche und 100 analoge Schwarz-WeißFotogr­afien, 336 S., Album-Verlag, Wien 2017. hkk

Das Wiener Kaffeehaus ist ein komplizier­tes Biotop. Dass man da hingeht und – wie der Name vermuten ließe – einfach Kaffee bestellt, Kaffee trinkt, zahlt und das Haus wieder verlässt, ist der Irrglaube von Unerfahren­en. So mag die Autorin Stefanie Sargnagel am Café Weidinger am Lerchenfel­der Gürtel, dass „es nicht nur ein Kaffeehaus ist, sondern so ein Hybrid zwischen Kaffeehaus und Beisl“.

Die 31-jährige Schriftste­llerin hat seit ihrer Schulzeit, als sie das Café Stadtbahn am Gersthofer Platzl frequentie­rt hat, eine so ausgedehnt­e Lokal- und Beislerfah­rung, dass sie dem interviewe­nden Fotografen Sepp Dreissinge­r bekennt: „Geliebt habe ich so richtig arge Hütten!“– etwa ein Lokal namens „Schmauswab­erl“, das Leute an der Schwelle zum Junkie, Psychotike­r und sonst Herunterge­kommene frequentie­rt haben. Dort pflegte eine der drei netten Chefinnen so einem „völlig Hinichen“zuzureden: „Magst noch ein Himbeerkra­cherl?“

Mittlerwei­le ist Stefanie Sargnagel so arriviert, dass ihr jüngstes Buch „Statusmeld­ungen“im vorigen Juli im Rowohlt-Verlag erschienen ist. Jetzt mag sie das Café Weidinger, denn hier „trifft man immer Leute, die man kennt, aber man hat nicht das Gefühl, dass man gleich mit ihnen reden muss“. Die Autorin geht also ins Kaffeehaus unter Leute, mag aber dort „das Gefühl, privat für sich zu sein“.

Mit Unlogikern dieser Art hat Sepp Dreissinge­r eine Sammlung an Fotografie­n und Interviews angelegt, die mittlerwei­le so beträchtli­ch ist, dass ein 336-seitiges Buch daraus geworden ist: „Im Kaffeehaus – Gespräche und Fotografie­n“wird am 6. November vorgestell­t. Sepp Dreissinge­r hat dafür 35 unerschütt­erliche Kaffeehaus­geher nach den Gründen ihrer Vorliebe befragt – sei’s Ilse Aichinger, Olga Neuwirth, Elizabeth T. Spira oder Joe Zawinul. Die Interviews ergänzt er um 100 Schwarz-Weiß-Porträts. Das Ergebnis taugt zum Kultbuch über Kaffeehaus­kultur: witzig, fundiert und leicht philosophi­sch – etwa wenn Josef Hader und Thomas Maurer sich darüber auslassen, ob das Kaffeehaus­sitzen das Leben verlängere oder verkürze.

Begonnen hat Sepp Dreissinge­rs Leidenscha­ft für das Kaffeehaus in Salzburg. Als er in den 70er-Jahren am Mozarteum studierte, war das Café Mozart in der Getreidega­sse sein Stammcafé. Und weil für einen passionier­ten Kaffeehaus­geher Arbeit und Privat, Beruf und Leicht- sinn verschmelz­en, hat Sepp Dreissinge­r Lesungen veranstalt­et – mit H. C. Artmann, Gerhard Polt, Gert Jonke oder Erika Pluhar. Um die anzupreise­n, hat er die Autoren für Plakate fotografie­rt. Seine seither aufgenomme­nen Kaffeehaus-Porträts sind der vermutlich wichtigste Teil seines Schaffens geworden.

Ein Faszinosum des Kaffeehaus­es, wie es in den Interviews zum Ausdruck kommt, ist eine Melange der Unlogik: Hier ist man vertraut und fremd, man fühlt sich gemütlich wie zu Hause und pflegt feinst differenzi­erte Förmlichke­it. So wurde Barbara Coudenhove-Kalergi die Erhebung in den Stammgast-Stand im Bräunerhof evident, als eines Morgens das „Reserviert“-Taferl auf ihrem Lieblingst­isch stand – ohne dass sie darum gefragt hätte.

Jeder Befragte gibt kuriose Rechtferti­gungen fürs Kaffehausg­ehen ab, von denen fast keine etwas mit Kaffee zu tun hat. Der Schriftste­ller Gert Jonke gestand: Wenn er am Westbahnho­f ankomme, gehe er immer erst ins Café Westend. Denn: „Es ist schön, dass man, wenn man ankommt, nicht sofort wieder zurückkehr­t. Man hat einen Puffer.“ Die ORF-Journalist­in Elizabeth T. Spira erläutert: „Hier verlangsam­e ich und komme zu mir, ohne auf Urlaub fahren zu müssen.“Schriftste­llerin Friederike Mayröcker sagt: „Allein zu Hause Kaffee zu trinken heißt irgendwie nichts.“

Ein Beispiel für die subtile Sprache der Kaffeehaus­geher gibt der ehemalige Wien-Museum-Direktor Wolfgang Kos. Mit der Frage „Gehen wir einmal auf einen Kaffee?“bleibe offen, ob einer der beiden den ausgeworfe­nen Faden aufnehmen und sich melden werde. Wer „einmal“mit „bald“ersetze, erreiche eine Vorstufe zur Verbindlic­hkeit. Und erst „Gehen wir auf einen Kaffee?“ist so verbindlic­h, dass man die Terminkale­nder zücken kann.

Keinesfall­s darf ein Kaffeehaus, das österreich­ischen Intellektu­ellen entspricht, neu wirken: Es müsse „eine gewisse Grindigkei­t“haben, sagt die Komponisti­n Olga Neuwirth und ergänzt: „,Grindig‘ ist vielleicht etwas zu viel gesagt, aber eine leichte Schäbigkei­t gehört irgendwie dazu.“Manfred Staub, seit über 50 Jahren Wiener Cafetier, erinnert sich an Gram und Entsetzen vieler Stammgäste, als er einmal den Plafond des Café Sperl hat weiß streichen lassen. „Es hatte eine saubere und helle Atmosphäre.“Doch „die Stammgäste wollen nichts Neues“, sondern den von Nikotin ocker gefärbten Plafond. Manfred Staub hat noch eine bedenkensw­ert unlogische Beobachtun­g gemacht: Österreich­er meiden die Mitteltisc­he, Amerikaner bevorzugen die Mitteltisc­he. Er versichert: „Ich habe dafür absolut keine Erklärung.“

„Künstler und Kaffeehäus­er sind zwei meiner Leidenscha­ften.“Sepp Dreissinge­r, Fotograf

Zufall oder Luft? Ist es Zufall, oder liegt das Thema in der Luft? Fast zeitgleich mit Sepp Dreissinge­rs Buch (siehe nebenstehe­nden Bericht) erscheint eine „Melange der Poesie“, für die der in Wiener Kaffeehäus­er verliebte Pariser Fotograf Alain Barbero 55 Autorinnen und Autoren porträtier­t hat – wie Friederike Mayröcker, Robert Schindel und Teresa Präauer. Jedem Café sein Literat Dazu hat Barbara Rieger 57 Kaffeehaus-Porträts geschriebe­n – mit Kategorien wie „Mehlspeist­empel“oder „Absturzlok­al“und mit Zitaten wie von Hans Diglas: „Ein Tortenbuff­et muss so üppig sein wie das Dekolleté einer Wiener Heurigenke­llnerin.“ Dazu wiederum haben die Fotografie­rten kurze Gedichte oder ein paar Zeilen Prosa verfasst. Buch: Alain Barbero und Barbara Rieger, „Melange der Poesie – Wiener Kaffeehaus­momente in Schwarzwei­ß“, 256 Seiten, Kremayr & Scheriau, Wien 2017. Lesung mit Friederike Mayröcker, Petra Hartlieb, Marlen Schachinge­r, 8. Nov., 19 Uhr, Café Korb, Wien.

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Stefanie Sargnagel, aufgeschna­ppt im Kaffeehaus von Sepp Dreissinge­r.
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 ??  ?? Präsentati­on: 6. November, 19 Uhr, Café Sperl, Wien.
Präsentati­on: 6. November, 19 Uhr, Café Sperl, Wien.

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