„Geliebt habe ich so richtig arge Hütten!“
„So richtig hippe moderne Cafés“gebe es nicht in Wien, versichert die Autorin Stefanie Sargnagel. Ein Kaffeehaus sei nicht cool. Was dann? Aus dem Kaffeehaus
Das Wiener Kaffeehaus ist ein kompliziertes Biotop. Dass man da hingeht und – wie der Name vermuten ließe – einfach Kaffee bestellt, Kaffee trinkt, zahlt und das Haus wieder verlässt, ist der Irrglaube von Unerfahrenen. So mag die Autorin Stefanie Sargnagel am Café Weidinger am Lerchenfelder Gürtel, dass „es nicht nur ein Kaffeehaus ist, sondern so ein Hybrid zwischen Kaffeehaus und Beisl“.
Die 31-jährige Schriftstellerin hat seit ihrer Schulzeit, als sie das Café Stadtbahn am Gersthofer Platzl frequentiert hat, eine so ausgedehnte Lokal- und Beislerfahrung, dass sie dem interviewenden Fotografen Sepp Dreissinger bekennt: „Geliebt habe ich so richtig arge Hütten!“– etwa ein Lokal namens „Schmauswaberl“, das Leute an der Schwelle zum Junkie, Psychotiker und sonst Heruntergekommene frequentiert haben. Dort pflegte eine der drei netten Chefinnen so einem „völlig Hinichen“zuzureden: „Magst noch ein Himbeerkracherl?“
Mittlerweile ist Stefanie Sargnagel so arriviert, dass ihr jüngstes Buch „Statusmeldungen“im vorigen Juli im Rowohlt-Verlag erschienen ist. Jetzt mag sie das Café Weidinger, denn hier „trifft man immer Leute, die man kennt, aber man hat nicht das Gefühl, dass man gleich mit ihnen reden muss“. Die Autorin geht also ins Kaffeehaus unter Leute, mag aber dort „das Gefühl, privat für sich zu sein“.
Mit Unlogikern dieser Art hat Sepp Dreissinger eine Sammlung an Fotografien und Interviews angelegt, die mittlerweile so beträchtlich ist, dass ein 336-seitiges Buch daraus geworden ist: „Im Kaffeehaus – Gespräche und Fotografien“wird am 6. November vorgestellt. Sepp Dreissinger hat dafür 35 unerschütterliche Kaffeehausgeher nach den Gründen ihrer Vorliebe befragt – sei’s Ilse Aichinger, Olga Neuwirth, Elizabeth T. Spira oder Joe Zawinul. Die Interviews ergänzt er um 100 Schwarz-Weiß-Porträts. Das Ergebnis taugt zum Kultbuch über Kaffeehauskultur: witzig, fundiert und leicht philosophisch – etwa wenn Josef Hader und Thomas Maurer sich darüber auslassen, ob das Kaffeehaussitzen das Leben verlängere oder verkürze.
Begonnen hat Sepp Dreissingers Leidenschaft für das Kaffeehaus in Salzburg. Als er in den 70er-Jahren am Mozarteum studierte, war das Café Mozart in der Getreidegasse sein Stammcafé. Und weil für einen passionierten Kaffeehausgeher Arbeit und Privat, Beruf und Leicht- sinn verschmelzen, hat Sepp Dreissinger Lesungen veranstaltet – mit H. C. Artmann, Gerhard Polt, Gert Jonke oder Erika Pluhar. Um die anzupreisen, hat er die Autoren für Plakate fotografiert. Seine seither aufgenommenen Kaffeehaus-Porträts sind der vermutlich wichtigste Teil seines Schaffens geworden.
Ein Faszinosum des Kaffeehauses, wie es in den Interviews zum Ausdruck kommt, ist eine Melange der Unlogik: Hier ist man vertraut und fremd, man fühlt sich gemütlich wie zu Hause und pflegt feinst differenzierte Förmlichkeit. So wurde Barbara Coudenhove-Kalergi die Erhebung in den Stammgast-Stand im Bräunerhof evident, als eines Morgens das „Reserviert“-Taferl auf ihrem Lieblingstisch stand – ohne dass sie darum gefragt hätte.
Jeder Befragte gibt kuriose Rechtfertigungen fürs Kaffehausgehen ab, von denen fast keine etwas mit Kaffee zu tun hat. Der Schriftsteller Gert Jonke gestand: Wenn er am Westbahnhof ankomme, gehe er immer erst ins Café Westend. Denn: „Es ist schön, dass man, wenn man ankommt, nicht sofort wieder zurückkehrt. Man hat einen Puffer.“ Die ORF-Journalistin Elizabeth T. Spira erläutert: „Hier verlangsame ich und komme zu mir, ohne auf Urlaub fahren zu müssen.“Schriftstellerin Friederike Mayröcker sagt: „Allein zu Hause Kaffee zu trinken heißt irgendwie nichts.“
Ein Beispiel für die subtile Sprache der Kaffeehausgeher gibt der ehemalige Wien-Museum-Direktor Wolfgang Kos. Mit der Frage „Gehen wir einmal auf einen Kaffee?“bleibe offen, ob einer der beiden den ausgeworfenen Faden aufnehmen und sich melden werde. Wer „einmal“mit „bald“ersetze, erreiche eine Vorstufe zur Verbindlichkeit. Und erst „Gehen wir auf einen Kaffee?“ist so verbindlich, dass man die Terminkalender zücken kann.
Keinesfalls darf ein Kaffeehaus, das österreichischen Intellektuellen entspricht, neu wirken: Es müsse „eine gewisse Grindigkeit“haben, sagt die Komponistin Olga Neuwirth und ergänzt: „,Grindig‘ ist vielleicht etwas zu viel gesagt, aber eine leichte Schäbigkeit gehört irgendwie dazu.“Manfred Staub, seit über 50 Jahren Wiener Cafetier, erinnert sich an Gram und Entsetzen vieler Stammgäste, als er einmal den Plafond des Café Sperl hat weiß streichen lassen. „Es hatte eine saubere und helle Atmosphäre.“Doch „die Stammgäste wollen nichts Neues“, sondern den von Nikotin ocker gefärbten Plafond. Manfred Staub hat noch eine bedenkenswert unlogische Beobachtung gemacht: Österreicher meiden die Mitteltische, Amerikaner bevorzugen die Mitteltische. Er versichert: „Ich habe dafür absolut keine Erklärung.“
„Künstler und Kaffeehäuser sind zwei meiner Leidenschaften.“Sepp Dreissinger, Fotograf
Zufall oder Luft? Ist es Zufall, oder liegt das Thema in der Luft? Fast zeitgleich mit Sepp Dreissingers Buch (siehe nebenstehenden Bericht) erscheint eine „Melange der Poesie“, für die der in Wiener Kaffeehäuser verliebte Pariser Fotograf Alain Barbero 55 Autorinnen und Autoren porträtiert hat – wie Friederike Mayröcker, Robert Schindel und Teresa Präauer. Jedem Café sein Literat Dazu hat Barbara Rieger 57 Kaffeehaus-Porträts geschrieben – mit Kategorien wie „Mehlspeistempel“oder „Absturzlokal“und mit Zitaten wie von Hans Diglas: „Ein Tortenbuffet muss so üppig sein wie das Dekolleté einer Wiener Heurigenkellnerin.“ Dazu wiederum haben die Fotografierten kurze Gedichte oder ein paar Zeilen Prosa verfasst. Buch: Alain Barbero und Barbara Rieger, „Melange der Poesie – Wiener Kaffeehausmomente in Schwarzweiß“, 256 Seiten, Kremayr & Scheriau, Wien 2017. Lesung mit Friederike Mayröcker, Petra Hartlieb, Marlen Schachinger, 8. Nov., 19 Uhr, Café Korb, Wien.