Schutzgebiete lassen tief in die Natur blicken
Eine Langzeituntersuchung von Ökosystemen im Nationalpark Hohe Tauern soll Daten zu Veränderungen im alpinen Raum liefern.
SALZBURG. „Nichts berührt uns wie das Unberührbare.“Unter diesem Motto haben sich Donnerstag und Freitag mehr als 200 Wissenschafter aus 19 Ländern in Salzburg zum 6. Nationalparks-Austria-Forschungs-Symposium getroffen. Die Veranstaltung, die ihren Ursprung 1996 im Nationalpark Hohe Tauern hatte, soll der Schutzgebietsforschung neue Impulse geben.
Diese hat weit über die Schutzgebiete hinaus gesellschaftliche und politische Relevanz: Ein renommiertes Fachmagazin veröffentlichte kürzlich einen dramatischen Bericht, wonach nach Untersuchungen in deutschen Schutzgebieten in 27 Jahren die Masse der Fluginsekten um 75 Prozent abgenommen hat. Die Ergebnisse bestätigen auch, dass die bereits bekannten Rückgänge von Schmetterlingen, Wildbienen und Nachtfaltern ein- hergehen mit den drastischen Biomasseverlusten bei Fluginsekten. Es gibt Hinweise, dass die intensive Landwirtschaft daran beteiligt sein könnte. Dieser Befund macht die Wichtigkeit von Schutzgebieten deutlich. Denn sie sind nicht nur Gebiete, in denen der Mensch die Natur Natur sein lassen kann und muss. Schutzgebiete sind auch Freiluftlabore, die schwerwiegende Veränderungen in der Umwelt anzeigen können.
Höchsten Schutzrang haben jene Regionen, die als Nationalparks ausgewiesen sind. In Österreich sind dies die Donau-Auen, das Gesäuse, die Hohen Tauern, die Kalkalpen, der Neusiedler See und das Thayatal. Nationalparks sollen nicht nur Besuchern unvergessliche Einblicke in die Natur geben, sondern Forschern die Möglichkeit, dringlichen Fragen auf den Grund zu gehen, wie jenen nach den Auswirkungen des Klimawandels und dem Zustand der Artenvielfalt. Wolfgang Urban, Direktor des Nationalparks Hohe Tauern, erklärt das näher: „Der Schutzauftrag muss wissenschaftlich begleitet werden. Dies ist ein wesentliches Element für Entscheidungen des Managements eines Nationalparks. Doch die Schutzgebiete bieten für die Forschung auch Bedingungen, wie sie außerhalb nur noch selten anzutreffen sind.“
Der Nationalpark Hohe Tauern ist ein Beispiel dafür. Christian Körner ist Ökologe und Professor emeritus an der Universität Basel und hat hier zusammen mit Kollegen ein Pionierprojekt in Zusammenarbeit mit den Universitäten initiiert. Mit einem Monitoring über Jahrzehnte hinweg sollen Veränderungen von Ökosystemen erfasst werden, wie Christian Körner erläutert: „So wie die Klimaforschung Datenreihen von dauerhaften Wetterstationen braucht, benötigt die biologische Umweltforschung lange biologische Datenreihen. Mit der Tierbeobachtung haben wir seit Langem ein solches Projekt. Doch jetzt arbeiten Zoologen, Botaniker, Mikrobiologen sowie Experten für Bodenund Gewässerkunde zusammen.“
An dem Vorhaben beteiligt sind nicht nur Fachleute aus Salzburg, Kärnten und Tirol, sondern auch aus Südtirol und der Schweiz, denn das Interesse an vergleichbaren Ergebnissen für den alpinen Raum ist groß.
In den Alpen sind auf kurzen Distanzen natürliche Klimaänderungen sichtbar, Refugien und Veränderungen können in kleinsten Lebensräumen erkennbar werden. So haben Christian Körner und seine Teams etwa im Untersulzbachtal zehn Meter lange Vegetationsstreifen in Dreiergruppen abgesteckt. Der Streifen in der Mitte wird nur
„Wir brauchen biologische Datenreihen über lange Zeiträume hinweg.“Christian Körner, Ökologe
beobachtet und fotografiert. Von den beiden anderen werden auch Proben entnommen. „In 30 Jahren wird man sehen können, wie sich Pflanzen verschoben haben, ob sich Milben, Bakterien und Bodentiere verändert haben. Wir werden Langzeitdaten über Bodenchemie und Bodenphysik bekommen.“
„Nichts berührt uns wie das Unberührbare“– Österreichs Nationalparkverwaltungen bieten auch jungen Wissenschaftern die Möglichkeit zu forschen. Während der Tagung an der Naturwissenschaftlichen Universität wurden 32 von ihnen dafür ausgezeichnet. Zu ihnen gehört Verena Gruber vom Institut für Geographie und Raumforschung der Karl-FranzensUniversität Graz. Sie setzte sich mit dem Begriff „Wildnis“auseinander, denn echte Wildnis, das Unberührte, gibt es in Europa nur noch in begrenztem Ausmaß. Die Forschungsstreifen im Untersulzbachtal gehören dazu.
Wissenschaftsprojekte in Nationalparks werden von der EU unterstützt. Für das Monitoringprojekt zahlten EU und Republik Österreich 540.000 Euro.