Ein Querkopf macht Karriere
Einst wollte er die ÖVP von außen erneuern, jetzt darf er selbst an die Schalthebel. Harald Mahrer übernimmt den ÖVP-Wirtschaftsbund.
WIEN. Ganz schön kritisch, was dem neuen Chef des ÖVP-Wirtschaftsbundes so zur ÖVP eingefallen ist: „Ich vermisse klare Werthaltungen“, sagte Harald Mahrer, und: „Ich vermisse an der Parteispitze auch die Wertekompetenz für mehr Freiheit statt für mehr Staat.“Und überhaupt: „Die Volkspartei hat ein existenzbedrohendes Glaubwürdigkeitsproblem.“
So weit Harald Mahrer, wobei hinzugefügt werden muss: Die Zitate stammen nicht von seiner gestrigen Antrittspressekonferenz. Sondern sie sind teilweise einem Interview entnommen, das die SN im Jänner 2012 – also in der Ära Spindelegger – mit Mahrer geführt haben; teils stammen sie aus einem Buchbeitrag, den er Anfang 2014 verfasste. Mahrer war damals ein junger Unternehmensberater, der sich an der Peripherie der ÖVP umtat, die Partei kritisch analysierte, aber von dieser nicht einmal die Chance auf ein Nationalratsmandat erhielt. Die redaktionelle Serie, in deren Rahmen die SN damals Harald Mahrer interviewten, nannte sich „Politische Hoffnungsträger“. Doch kaum jemand, außer vielleicht Mahrer selbst, ging damals davon aus, dass dem jungen unbequemen Querkopf eine steile Karriere in der ÖVP bevorstehen sollte.
Am Donnerstag wurde Mahrer, der es inzwischen – gefördert von Reinhold Mitterlehner – zum Wirtschafts- und Wissenschaftsminister gebracht hat, als neuer Präsident des ÖVP-Wirtschaftsbundes präsentiert. Seine formelle Wahl durch die Wirtschaftsbund-Generalversammlung scheint nur noch eine Formsache, der scheidende Wirtschaftsbund-Chef Christoph Leitl hat Fakten geschaffen, ehe allfällige Nachfolgekämpfe ausbrechen konnten. „Irgendwann“2018 soll Mahrer auch die Österreichische Wirtschaftskammer als Präsident übernehmen, womit er zu den Mächtigen im Lande zählen wird.
Ganz reibungslos ist die Designierung Mahrers nicht über die Bühne gegangen. Im Nominierungskomitee, das der Wirtschaftsbund zwecks Suche nach einem Leitl-Nachfolger eingesetzt hatte, erzielte Mahrer Mittwochabend nur eine Dreiviertelmehrheit, und das ohne Gegenkandidat. Das Wirtschaftsbund-Präsidium nickte die Entscheidung dann freilich einstimmig ab. Mahrer ist der Wunschkandidat Leitls, er zählte auch zu den frühen Unterstützern Sebastian Kurz’. Daher darf er nun auf Schützenhilfe durch den neuen Parteichef setzen, der ihn am Donnerstag als „innovativen Vordenker und Reformer mit Managerqualitäten“lobte.
Die lange Ära Christoph Leitls in Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer neigt sich somit dem Ende zu, wenn auch sehr langsam. Leitl ist erst am 27. Oktober mit fast 95-prozentiger Zustimmung zum Präsidenten von Eurochambres, dem Zusammenschluss der europäischen Handelskammern, gewählt worden.