Mark Reinhardt erzählt von Max Reinhardt
Der Urenkel des Regisseurs, Theaterdirektors und Mitbegründers der Salzburger Festspiele ist auf Besuch in Schloss Leopoldskron.
SALZBURG. Mark Reinhardt erzählt einen Witz, der auf seinen einst in Salzburg lebenden Urgroßvater ebenso passt wie neuerdings auf immer mehr Menschen in den von Donald Trump regierten USA. Aber nein – eigentlich wolle er etwas rund um diesen Witz erzählen, gesteht der Professor für Amerikanische Studien am Samstagabend.
Mark Reinhardt kommt erstaunlich spät als Vortragender ins Schloss Leopoldskron. Denn dessen Eigentümer ist das „Salzburg Global Seminar“, das 1949 als „Salzburg Seminar für American Studies“gegründet worden ist – damals auf Initiative von Max Reinhardts Witwe, Helene Thimig, und von Harvard-Absolventen Clemens Heller. Und Mark Reinhardt ist Professor für Amerikanische Studien. Doch kam er auch jetzt nur durch einen Zufall hierher. Denn am Wochenende fand die vom Fachbereich Anglistik und Amerikanistik der Universität Salzburg ausgerichtete 44. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Amerikastudien statt. Bei dieser tauschen österreichische Akademiker ihre Forschungsergebnisse aus – untereinander und mit einzelnen ausländischen Gästen.
Dafür habe sie Mark Reinhardt als Fachkollegen am Williams College in den USA kontaktiert, erzählte Silvia Schultermandl von der Universität Graz. Plötzlich sei die Koinzidenz aufgefallen: Reinhardt und Leopoldskron? Ja, Mark ist der Urenkel.
Max Reinhardt sei längst gestorben gewesen, als er geboren worden sei, erläutert Mark Reinhardt, der in Los Angeles aufgewachsen ist und nun als Professor in Williamstown in Massachusetts lehrt und forscht. „Ich bin unfähig, komplizierteres Deutsch als jenes einer Speisekarte zu verstehen“, gesteht der Politikwissenschafter. Doch kennt er Salzburg gut – von vielen „Salzburger Nockerln im Österreichischen Hof“. Das sagt er in schwer amerikanisiertem Deutsch, kehrt aber sogleich ins Englische zurück: „Wenn Sie mir einen Stift geben, kann ich die Umrisse des Untersbergs aus dem Gedächtnis aufzeichnen.“
Viele Sommer seiner Kindheit hat er – mit Bruder und Schwester – bei den Großeltern verbracht: Gottfried und Silvia Reinhardt. Max Reinhardts Sohn, 1932 von Berlin in die USA emigriert, sei in den frühen 60er-Jahren nach Salzburg zurückgekommen. Die Großeltern hätten im Hoyos-Schlössl im Park von Kleßheim gelebt und gern ihre Enkel bei sich gehabt. Unvergesslich sei ihm der damals aufgesogene Geruch: „In Los Angeles ist ja alles trocken“, in Salzburg habe es „ganz anders gerochen“, und zwar nach Regen und Wald. Als er am Samstag den Schlosspark betreten habe – derselbe Geruch!
Schloss Leopoldskron, in dem sein Großvater in dessen Jugend gewesen sei, habe er lang nur von außen gekannt, schildert Mark Reinhardt. Einmal, 1985, auf einer der vielen Touren auf den Untersberg, habe er zwei Spanier getroffen, die beim Salzburg Seminar gewesen seien. Die hätten ihn am Abend zur Cocktailparty „ins Schloss“mitgenommen. Da betrat er erstmals jenes Foyer, wo er am Samstag seinen ersten Vortrag als Wissenschafter halten sollte. Sein Gefühl dabei umschreibt er als „hohes intellektuelles und emotionelles Investment“.
Ein zweites Mal sei er 2008 auf Einladung des Salzburg Seminar hier gewesen: Mit Frau und Kindern habe er zwei Nächte im Schloss verbringen dürfen.
Nur knapp fünf Tage ist er diesmal nach Österreich gekommen. Länger sei nicht möglich, „wir sind mitten im Semester, ich muss am Dienstag unterrichten“, sagt Mark Reinhardt. Seine erste Station war Wien, wo er im Theatermuseum den Nachlass seines Urgroßvaters besichtigen durfte. Überrascht habe ihn das mit Anmerkungen versehene Drehbuch für den Film „Sommernachtstraum“, der einzige, 1935 mit immensem Aufwand inszenierte Film Max Reinhardts in den USA. „Das ganze Skript war auf Deutsch übersetzt, obwohl er den Film in Englisch inszeniert hat!“Erstaunt habe ihn auch die Schachtel mit den vielen Dokumenten – bis hin zu Geburtsurkunde sowie Geburtsurkunde des Vaters und Reiseerlaubnis: „das Archiv eines Juden“, der in den 30er-Jahren habe fliehen müssen.
Ach ja, noch der Witz! Diesen habe sein Großvater wieder und wieder erzählt, erläutert Mark Reinhardt. Er vermute, dass Gottfried Reinhardt damit dessen Vater gemeint habe, der die darin verpackte tragische Lektion habe lernen müssen: „Ein reicher Mann und sein buckliger Freund gehen an einer belebten Straße und kommen an einer Synagoge vorbei. ,Weißt du‘, sagt der Reiche und zieht genüsslich an seiner Zigarre, ,ich war einmal ein Jude.‘ ,Ja?‘, erwidert sein Freund, ,Ich war einmal bucklig.‘“
Viele assimilierte Juden seien sich in den 30er-Jahren sicher gewesen, sie seien bloß Deutsche oder Österreicher – jedenfalls Europäer, schilderte Mark Reinhardt in seinem Vortrag. Sein Urgroßvater habe in jungen Jahren seinen Namen „christianisiert“(von Goldmann auf Reinhardt, Anm.). Dann habe er das Privatschloss eines einstigen Fürsterzbischofs als Wohnhaus gewählt und Stück für Stück barock ausgestattet – samt Madonna im Foyer. Vor dem Dom inszenierte er das katholische Lehrstück, den „Jedermann“. Trotzdem und trotz Karriere und Berühmtheit: Max Reinhardt musste vor den Nationalsozialisten fliehen, er starb 1943 im Exil in New York.
Warum passt dazu der Witz? Er verdeutliche die sozialen und politischen Beschränkungen für eine Selbst-Erfindung, sagt Mark Reinhardt. Und heute? Da entpuppt sich in den USA unter der Präsidentschaft Donald Trumps für viele Menschen die bisherige Sicherheit als vermeintlich. Mark Reinhardt nennt zum Beispiel muslimische Amerikaner, die „schon seit 9/11 nicht mehr den Luxus von Sicherheit“hätten, sowie längst angekommene, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, denen die Aufenthaltserlaubnis entzogen werden soll. „Es gibt viele Leute, auf die dieser Witz jetzt zutrifft.“Umstände und Menschen hätten sich verändert, doch im Witz stecke dieselbe Wahrheit.
„Der Witz verdeutlicht die Beschränkungen für eine Selbst-Erfindung.“Mark Reinhardt, Wissenschafter