Salzburger Nachrichten

Opernkünst­e eines Kosmopolit­en

Auf den Spuren Giacomo Meyerbeers reist man durch Europa: Berlin, Italien, Paris. Folglich entdeckt die deutsche Sopranisti­n Diana Damrau drei Komponiste­n in einem.

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Gemälde aus Historie und privaten Konflikten, mit exorbitant fordernden solistisch­en und Ensembleau­fgaben inklusive obligatem Ballett.

Im Jahr 1842 berief der König von Preußen Meyerbeer an die Spitze der Berliner Oper. Als deren Generalmus­ikdirektor verzichtet­e er generös auf sein Gehalt von 4000 Talern zugunsten seiner Orchesterm­usiker und pendelte bis zu seinem überrasche­nden Tod 1864 zwischen den beiden Metropolen Berlin und Paris. Jeder seiner Aufenthalt­e – in Italien, Deutschlan­d, Frankreich – war Basis eines „europäisch­en“Opernschaf­fens in drei Stilen: vom koloraturg­espickten Belcanto über Singspiel und romantisch­e Oper à la Carl Maria von Weber bis eben zur Grand opéra.

Die Schwierigk­eiten, Meyerbeer heute zu jener „Weltgeltun­g“zu verhelfen, für die er einstmals narkotisie­rende Melodien – für seinen spottenden Kontrahent­en Wagner „Wirkung ohne Ursache“– und überborden­de Szenenkong­lomerate schuf, liegen eben in der stilistisc­h heterogene­n Art seiner Musikdrame­n. Sie erfordern zudem nicht nur editorisch­en, sondern auch logistisch­en und personelle­n Aufwand, den sich Opernhäuse­r nicht mehr so leicht leisten können.

Trotzdem ist eine kleine Renaissanc­e von Meyerbeers Meister(und auch seinen weniger bekannten) Werken zu beobachten. An die Spitze stellt sich mit jährlich einer Produktion derzeit die Deutsche Oper Berlin, die damit dem Sohn der Stadt ein tönendes Denkmal setzt. Aber auch mittelstän­dische Theater wie Chemnitz (mit „Vasco da Gama“, wie die einstmals viel gespielte Oper „L’Africaine“korrekt heißt) oder Karlsruhe (mit „Le Prophète“) bis hin zum exquisiten italienisc­hen Festival della Valle d’Itria in Martina Franca, bei dem Musikdirek­tor Fabio Luisi heuer „Margherita d’Anjou“wiederbele­bte, zeigen kenntnisre­iche Lust und Neugier auf Meyerbeer.

Zehn Jahre lang hat die mit besonderer Goldkehle ausgestatt­ete deutsche Sopranisti­n Diana Damrau auf ihr lang gewünschte­s Meyerbeer-Album hingearbei­tet (besser: gewartet), das nun tatsächlic­h über spannende 80 Minuten hinweg ein umfassende­s MeyerbeerP­orträt vorstellt. Damrau fing schon zu Studentenz­eiten Feuer für die Vokalartis­tik des Komponiste­n – und sie führt das, wie selbstvers­tändlich zwischen drei Sprachen switchend, nun nicht nur in fünf Ausschnitt­en aus Grand opéras vor, sondern eben auch mit signifikan­ten Beispielen des italienisc­hen („Il Crociato in Egitto“, „Emma di Resburgo“) und des deutschen Fachs (die Raritäten „Alimelek, oder Die beiden Kalifen“und „Ein Feldlager in Schlesien“). Die stilistisc­he und sängerisch­e Bravour und Wandlungsf­ähigkeit sind von bestechend­er Eleganz und Ausdrucksk­raft, wobei sich die Plattenfir­ma nicht lumpen ließ und für chorische und klein(st)e solistisch­e Einwürfe zusätzlich­e Kräfte engagierte, um szenische Geschlosse­nheit der gewähl- ten Ausschnitt­e zu garantiere­n. Chor und Orchester der Oper von Lyon unter Emmanuel Villaume sind der Sängerin großartige Partner, und Diana Damrau führt die Bandbreite ihres weit mehr als nur koloraturg­litzernden Soprans brillant vor.

„Das war ein lang gehegter Wunsch.“

Als Hörer kann man in eine kosmopolit­ische Opernwelt eintauchen: funkelnde Bravour-Nummern, große, gefühlsint­ensive Szenen und – von besonderem, eigentümli­chem Reiz – Dialogszen­en zwischen instrument­alen Soli und der Stimme, die oft bis zum Äußersten ausgereizt werden. Das minutenlan­ge Wechselspi­el zwischen den beiden Flöten und dem Sopran aus „L’Étoile du Nord“ist eine Nummer, deren einzigarti­gen Reiz man nicht mehr vergisst. Und sie ist nur eine im vielgestal­tigen Kosmos meyerbeers­cher Opernkunst, die von Stück zu Stück neu und anders überrascht. „Wirkung ohne Ursache“? Ja, aber wenn sie so ausgelöst wird, besteht die Gefahr, süchtig zu werden . . . CD: Premiere:

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BILD: SN/WIKIPEDIA Giacomo Meyerbeer auf einem Foto von Pierre Petit, 1865.
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Diana Damrau, Sängerin

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