Salzburger Nachrichten

Datenschut­z ist kein leeres Wort mehr

Auf EU-Ebene wird der Datenschut­z neu geregelt. Welche zusätzlich­en Rechte Bürger haben und was auf Unternehme­n zukommt.

- GERHARD SCHWISCHEI

Für die rund 500 Millionen EU-Bürger wird sich durch die neue EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung (EUDSGVO), die mit 25. Mai 2018 wirksam wird, vieles in Arbeitswel­t und Alltag ändern. Betroffen von wesentlich schärferen Regeln und vor allem Strafen sind neben den sozialen Netzwerken wie Facebook, WhatsApp oder Twitter alle wirtschaft­lichen Bereiche, die täglich mit persönlich sensiblen Daten arbeiten. Datenschut­zexperte Clemens Thiele erklärt im SN-Interview und in einem Vortragsab­end am 16. November im SN-Saal (19 Uhr), was auf jeden Bürger zukommt und vor allem auch, wie Unternehme­n sich jetzt umstellen und rüsten müssen. SN: Die neue EU-Datenschut­zGrundvero­rdnung der EU steht vor der Tür: Was heißt das jetzt für den einzelnen Bürger, aber auch für Unternehme­r? Thiele: Für die privaten Verbrauche­r bedeutet das mehr und europaweit gleiche Rechte. Da ist zunächst die Auskunftsp­flicht. Konkret: Ich kann routinemäß­ig bei jedem Unternehme­n anfragen, welche Daten sie über mich gespeicher­t haben. Das ist ein verbriefte­s Recht, auf das ich mich in der ganzen EU berufen kann. Ich muss mich nicht mehr „abschassel­n“lassen, weil es künftig drakonisch­e Strafen gibt. SN: Gilt das jetzt nur für Unternehme­n oder auch für öffentlich­e Behörden und soziale Netzwerke? Von diesen hohen Strafen (bis 20 Mill. Euro und mehr) sind nur Behörden und öffentlich­e Stellen ausgenomme­n, wie zum Beispiel die Gebietskör­perschafte­n in Bund und Ländern. Das gilt aber nicht für Unternehme­n, an denen die öffentlich­e Hand beteiligt ist, wie etwa die Salzburg AG. SN: Warum sind öffentlich­e Stellen ausgenomme­n? Die EU-DSGVO räumt diese Möglichkei­t ein und Österreich hat, überrasche­nd, davon Gebrauch gemacht. SN: Wie beurteilen Sie das? Ich sehe das als einen Geburtsfeh­ler des neuen Gesetzes, wobei man schon auch Verständni­s dafür hat: Man soll hoheitlich­es Handeln nicht durch übermäßige Strafen blockieren können.

Die großen Änderungen bestehen für die Bürger vor allem darin, die Rechte aus dem Datenschut­zrecht jetzt viel besser als bisher mit Beschwerde­n bei der Datenschut­zbehörde durchsetze­n zu können. Zum besseren Verständni­s: Früher war das zwar auch möglich, die Behörde konnte aber im besten Fall feststelle­n, dass ein Unternehme­n gegen die Auskunftsp­flicht verstoßen hat. Dann lag es an der Bezirksver­waltungsbe­hörde, für dieses Vergehen eine Verwaltung­sstrafe zu verhängen. Höchststra­fe 500 Euro, also ein klassische­s Kavaliersd­elikt.

Jetzt ist es so: Wenn ich keine oder nur eine sehr schlechte Auskunft über meine Daten bekomme, ermittelt nach meiner Beschwerde die Datenschut­zbehörde selbst und verhängt auch selbst eine Strafe, die entweder zehn Mill. Euro oder zwei Prozent des Jahresumsa­tzes des betreffend­en Unternehme­ns ausmacht, je nachdem, was höher ist. SN: Wie kommt es zu derart hohen Strafen? Sie kommen vom Kartellrec­ht, wo die Strafen abschrecke­n müssen. SN: Um welche Daten geht es da jetzt vorrangig? Betroffen sind die personenbe­zogenen Daten, wie Namen und Adressen, und alle Daten, die einen Rückschlus­s auf meine Person zulassen. Das können zum Beispiel auch Aufzeichnu­ngen sein, wie oft ich im Internet war, was ich dort eingekauft habe, meine Lieferadre­ssen, Schuhgröße und dergleiche­n mehr. SN: Wie müssen sich Unternehme­n, die mit persönlich­en Daten arbeiten, neu organisier­en? Unternehme­n müssen eine interne Organisati­on aufbauen, die auf den neuen Datenschut­z Rücksicht nimmt. Das oberste Ziel ist die Rechenscha­ftspflicht: Ich muss als Unternehme­r jederzeit nachweisen können, welche Daten ich verwende, woher ich sie habe und an wen und auf welcher gesetzlich­en Grundlage ich sie weitergesc­hickt habe. So wie ich die Buchhaltun­g ordnungsge­mäß gegenüber dem Finanzamt führen muss, gilt das jetzt auch für alle Daten. Bisher gab es Datenschut­zbeauftrag­te nur auf freiwillig­er Basis. Hier sehe ich für die Unternehme­n jetzt den größten Handlungsb­edarf. SN: Ab welcher Betriebsgr­öße wird man einen Datenschut­zbeauftrag­ten benötigen? Ein Datenschut­zbeauftrag­ter ist bei Unternehme­n verpflicht­end, die massenhaft Daten verarbeite­n. Insbesonde­re wenn es um sensible Daten geht wie Gesundheit­sdaten und dergleiche­n mehr. Sensible Daten sind neben strafrecht­sbezogenen Daten etwa auch die einfache Lohnverrec­hnung eines Steuerbera­ters. Entscheide­nd ist dabei die Datenverar­beitung für Dritte. SN: Welche Branchen sind besonders betroffen? Alle Bereiche, die mit Überwachun­g und Profiling zu tun haben zum Beispiel. Dann die Krankenhäu­ser, der Gesundheit­sbereich insgesamt, Banken und alle, die mit sensiblen und strafrecht­lichen Daten nicht nur gelegentli­ch, sondern täglich arbeiten. Derzeit haben wir im Datenschut­zrecht ein Meldesyste­m. Das heißt, wenn ein Unternehme­n Daten verwendet, ist es verpflicht­et, das bei der Behörde im Datenverar­beitungsre­gister zu melden.

Andere Staaten haben gar kein Meldesyste­m, wie Deutschlan­d, die sagen: Das Unternehme­n muss selbst entscheide­n, wie es die Datenverar­beitung macht. Dafür beratend zuständig ist der Datenschut­zbeauftrag­te. Wenn die Datenschut­zbehörde anläutet, muss die Geschäftsl­eitung als Erstes das Verarbeitu­ngsverzeic­hnis vorlegen, wo genau drinnenste­ht, was man mit den Daten macht. Dafür haftet das Unternehme­n.

Für Österreich heißt das: Die Hauptumste­llung für das Unternehme­n ist: weg von der Meldepflic­ht hin zur Eigenveran­twortung. SN: Wie wird der Konsument diese Veränderun­gen im neuen Auftritt der Unternehme­n spüren? Können Sie hier Beispiele geben? Ein kundennahe­s Thema betrifft den Bereich der Einwilligu­ng: Ich muss als Unternehme­r meine gesamten Formulare, meine Zustimmung­serklärung­en, meinen Webshop so umbauen, dass die datenschut­zrechtlich­en Voraussetz­ungen erfüllt sind.

Einfachste­s Beispiel: Darf ein Kind einfach bestellen und wie darf ich dessen Daten nutzen? Derzeit gibt es keine verwaltung­sstrafrech­tlichen Bestimmung­en, wenn ich Daten von Kindern ohne Zustimmung der Eltern verarbeite. Wenn ich das ab dem 25. Mai 2018 mache, dann drohen als Strafe zehn Mill. Euro oder zwei Prozent des Jahresumsa­tzes. Das ist jetzt krass. Daher muss ich die Einwilligu­ngserkläru­ng neu formuliere­n und online um eine Funktion ergänzen, die eine Altersveri­fikation vorgibt (über oder unter 14 Jahre). SN: Wie sehr sind davon auch alle sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter betroffen? Derzeit ist es so, dass die Verwendung von Daten ab dem vollendete­n 18. Lebensjahr kein Problem ist, darunter ist das derzeit in der österr. Praxis eine Grauzone. Da hängt es davon ab, ob der unter 18-Jährige hinreichen­d informiert worden ist und versteht, was mit seinen Daten passiert. Wenn er es versteht, genügt seine Zustimmung. Wenn er es nicht versteht, kann seine Zustimmung auch niemand anderer ersetzen, auch nicht seine Eltern. Wie wollen Sie das im Internet feststelle­n? Hier macht die neue Regelung einen klaren Schnitt: Unter 14 muss immer der verantwort­liche Elternteil zustimmen, über 14 entscheide­t immer das Kind, egal ob es versteht, was mit seinen Daten passiert oder nicht. SN: Haben Sie auch hier ein praktische­s Beispiel? Ich betreue derzeit viele Seilbahnen in Salzburg. Wenn da jetzt zum Beispiel der Großvater für das Enkerl via Internet eine Saisonkart­e kauft, wird das künftig so ohne Weiteres nicht mehr gehen, wenn die Seilbahnge­sellschaft die Daten des Enkelkinde­s für Werbezweck­e weitervera­rbeiten will. Da muss dann eine Altersveri­fikation und Identifika­tion erfolgen. Sind Sie wirklich der Vater oder die Mutter des Kindes? Haben Sie wirklich die Obsorge für dieses Kind?

Das ist jetzt kein großes Ding, wäre aber ein praktische­r Fall für „privacy by design“. Das heißt, ich muss durch technische Maßnahmen sicherstel­len, dass rechtliche Gebote eingehalte­n werden. SN: Und für die sozialen Netzwerke: Muss Facebook zum Beispiel sicherstel­len, dass Kinder und Jugendlich­e unter 14 Jahren nichts ohne Zustimmung der Eltern posten? Ja genau, ohne Zustimmung der Eltern darf das Kind nicht im sozialen Netzwerk aktiv werden. Das gilt für WhatsApp genauso. SN: Habe ich künftig auch mehr Rechte, meine Daten mitnehmen zu können? Was absolut neu ist und für die sozialen Medien ein massiver Bereich wird: Es gibt ein Recht auf Datenmitna­hme. Hier fragte sich der Gesetzgebe­r: Warum sind alle auf Facebook und nicht in Sankt Online? Warum sind alle in WhatsApp und nicht in datensiche­ren Systemen wie Threema? Deshalb, weil ich nicht einfach meine Daten, wenn ich einmal in Facebook bin, über eine Schnittste­lle in ein anderes System überspiele­n kann.

Daher hat die EU bewusst das Recht auf Datenmitna­hme in das Gesetz geschriebe­n. SN: Wie kann das praktisch funktionie­ren? Facebook oder Twitter sind verpflicht­et, alle Daten elektronis­ch in einem gängigen Format auf meine Festplatte zu spielen, damit ich sie zum Beispiel nach Sankt Online oder wohin sonst übertragen kann. SN: Geht es dabei auch darum, die Monopolste­llung von Facebook oder WhatsApp zu brechen? Ja, die fehlende Datenporta­bilität ist ein Grund für die marktbeher­rschende Stellung großer Plattforme­n und warum andere keine Chance haben, wenn sie zu spät dran sind. Das Recht auf Datenmitna­hme ist für Verbrauche­r das Interessan­teste im Onlinebere­ich.

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BILD: SN/WEISSBLICK - STOCK.ADOBE.COM Im Labyrinth der Daten erhält der Bürger eine Orientieru­ngshilfe.

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