42 Fidschi-Dörfer müssen umziehen
„Das Wasser trennt die Inseln nicht, es verbindet sie“, heißt ein Sprichwort der Insulaner. Doch es erweist sich immer mehr, dass der Ozean nicht länger der Freund der Menschen der Südsee ist. Er wurde ihnen leider zum Feind.
Kelepi Saukitoga kommt aus seinem Dorf namens Narikoso eigentlich nie wirklich heraus. 1997 wurde sein Vater, ein Beamter, dorthin versetzt. Es ist ein kleines Nest auf Ono, einer von mehr als 300 Fidschi-Inseln im Südpazifik nördlich von Neuseeland. Damals waren diese Inseln noch eine BilderbuchIdylle der Südsee. Mit viel Sand, viel Palmen, Sonne und endlosem Meer.
Mit dem Boot sind es von Narikoso viereinhalb Stunden bis nach Suva, der Hauptstadt der Fidschis. Kelepi Saukitoga ist in Narikoso aufgewachsen. Er hat hier geheiratet und wurde zuletzt sogar Bürgermeister. Heute lebt der mittlerweile 40-jährige Mann mit Frau Muriani und seinen vier Söhnen in einem Haus am Meer.
Aber nicht mehr lange. Denn die Familie muss dringend umziehen, weil der Meeresspiegel steigt und steigt und steigt. Nicht nur die Familie des Bürgermeisters ist betroffen. Das ganze Dorf muss wegen des Klimawandels umziehen. Inzwischen steht bei der Familie Saukitoga immer, wenn Flut ist, der Südpazifik vor dem Haus. Mit schrecklicher Regelmäßigkeit wird das Dorf überschwemmt. Bei Vollmond ist es am schlimmsten. Immer öfter wachen die Bewohner der Fidschis in der Früh auf und stehen knöcheltief im Wasser. Der Ozean hat sie wieder einmal des Nachts besucht.
Wie die hundert anderen Dorfbewohner hat Saukitoga immer schon am und mit dem Meer gelebt. Das geht auch nicht anders. Wenn man in den Nachbarort will, ist man aufs Boot angewiesen. Straßen gibt es auf Ono keine. Ein paar Jahre lang fuhr der Mann täglich zum Fischfang hinaus. „Wir haben auf Fidschi ein Sprichwort: Das Wasser trennt die Inseln nicht, es verbindet sie“, sagt er und wiegt seinen Jüngsten auf dem Arm. „Aber das Wasser ist für uns zum Feind geworden.“
Jetzt will Saukitoga mit seiner Familie nur noch weg. Das Fundament seines Hauses ist kaputt. Überall sind Risse. Die Mauern sind feucht. An der Küchendecke wuchern Pilze. Der Garten vorm Haus hat sich in eine Schlammwüste verwandelt. Die Erde ist salzig und für jede Bepflanzung unbrauchbar geworden. Das Meer schwemmt den Unrat von der Müllhalde des Dorfes in den Garten. Kein Ort, an dem Kinder lange gesund bleiben. Die Saukitogas werden nun in eine neue Unterkunft ziehen, etwa hundert Meter weiter im Inselinneren. Auf einem Hügel. Mit ihnen sollen im Lauf des nächsten Jahres sechs andere Familien neue Häuser bekommen. „Es ist schwer, das Haus zu verlassen, in dem unsere Kinder geboren wurden“, sagt der vierfache Vater. „Aber hier können wir nicht bleiben.“
Die Flucht vor den Auswirkungen des Klimawandels ist hier kein Einzelschicksal. Narikoso – insgesamt 28 Häuser, zwei Kirchen, ein Kindergarten und ein kleiner Laden – wird es bald nicht mehr geben. Narikoso ist nur eines von 42 Dörfern, die nach Einschätzung von Fidschis Regierung verlegt werden müssen. Weg von der Küste. Experten schätzen, dass es zuletzt mehr als hundert Dörfer oder vielleicht sogar mehr sein werden.
Die Fidschis zählen zu den Ländern, die unter dem Klimawandel besonders zu leiden haben. Seit 1993 stieg der Pazifik-Meeresspiegel hier pro Jahr um durchschnittlich sechs Millimeter – also fast schon 15 Zentimeter, mehr als im weltweiten Mittel. Wenn nichts getan wird, wird das Wasser vermutlich zum Ende des Jahrhunderts 1,40 Meter höher stehen. Aber selbst wenn das Pariser Klimaabkommen von 2015 komplett umgesetzt würde, wären es immer noch 65 Zentimeter.
Auf manchen Inseln verlief die Küstenlinie vor ein paar Jahren noch 25 Meter weiter draußen. Zudem wird das Wetter extremer. Vergangenes Jahr nahm ein Wirbelsturm, wie es ihn auf Fidschi noch nie gegeben hatte, 44 Menschen das Leben. Steigende Wassertemperaturen gefährden die Korallenriffe, die zu den schönsten der Welt gehören, und die einzigartige Fischwelt.
Dennoch ist das Interesse im Rest der Welt gering – zumal es Fidschi in der Region noch verhältnismäßig gut geht. Das Eine-Million-Einwohner-Land hat immerhin Hügel und richtige Berge. Andere Inseln – zum Beispiel Kiribati – ragen an ihrem höchsten Punkt nur wenige Meter aus dem Wasser. Ihnen droht auf absehbare Zeit im wahrsten Sinne der Untergang.
Nun erhält Fidschi zumindest vorübergehend mehr Aufmerksamkeit vom Rest der Welt. Das liegt daran, dass es als erster kleiner Inselstaat den Vorsitz des jährlichen Klimagipfels führt. Eigentlich müsste die zweiwöchige Konferenz COP 23 (Conference of Parties, Konferenz der Parteien, Nummer 23) am Montag, 6. November, auch hier beginnen. Tatsächlich findet der Gipfel aber 16.000 Kilometer weiter statt, in Deutschlands ehemaliger Hauptstadt Bonn. Für die 25.000 Teilnehmer reichten auf den Fidschis trotz Südsee-Tourismus einfach die Zimmer nicht.