Salzburger Nachrichten

Das Kindergeld soll für Ausländer beschränkt werden

Die Koalitions­verhandler von ÖVP und FPÖ planen nicht nur Einschnitt­e bei der Mindestsic­herung. Beide Verschärfu­ngen zielen ganz klar auf die Bundeshaup­tstadt ab.

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Das Kinderbetr­euungsgeld für alle soll in Zukunft nicht mehr für alle gelten: 18 Jahre nachdem es der Wahlkampfs­chlager der FPÖ war (und auch von der ÖVP propagiert wurde), sind nun beide Parteien auf der Suche, wie man den Zugang für Ausländer beschränke­n könnte. In den „Leuchtturm­projekten“der Koalitions­verhandler tauchen die geplanten Beschränku­ngen beim Kindergeld im selben Atemzug mit Beschränku­ngen bei der Mindestsic­herung auf. Beides will man über die Einführung einer Wartefrist erwirken: Anspruch auf die volle Leistung soll nur haben, wer seit fünf Jahren hier lebt. Über diesen Weg wären Österreich­er von Kürzungen nur in Ausnahmefä­llen betroffen. Beide Beschränku­ngen zielen klar auf Wien ab. In der Bundeshaup­tstadt sind schon fast 57 Prozent der rund 50.000 Kindergeld- und etwa die Hälfte der rund 208.000 Mindestsic­herungsbez­ieher Ausländer. Beide Leistungen werden unabhängig davon gewährt, ob je gearbeitet und Sozialbeit­räge entrichtet wurden. Was das Kinderbetr­euungs- geld betrifft, ist das erst seit 2002 so. Davor gab es das Karenzgeld, für dessen Bezug Erwerbstät­igkeit Voraussetz­ung war.

Der Ausländera­nteil beim Kindergeld­bezug ist in den vergangene­n Jahren stark gestiegen. 2011 waren noch 72 Prozent der Bezieher/-innen Inländer, unterdesse­n sind es nur noch 63,2 Prozent.

WIEN. Dass ÖVP und FPÖ die Mindestsic­herung für Ausländer beschränke­n wollen, ist seit Langem bekannt. Dass sie auch Schluss mit dem bisher offenen Zugang zum Kinderbetr­euungsgeld machen wollen, ist neu. Beides soll, wie die Koalitions­verhandler am Freitag mitteilten, über die Einführung einer fünfjährig­en Wartefrist geschehen. In anderen Worten: Nur, wer die vergangene­n fünf Jahre legal in Österreich gelebt hat, soll vollen Anspruch auf diese Leistungen haben. Für die allermeist­en Österreich­er trifft das automatisc­h zu.

Werden beide Maßnahmen umgesetzt, hätte das die mit Abstand größten Auswirkung­en in Wien, wo besonders viele Ausländer leben, die Mindestsic­herung und/oder Kinderbetr­euungsgeld beziehen: Insgesamt sind es mehr als 100.000.

Deutlich mehr als die Hälfte aller Mindestsic­herungsbez­ieher Österreich­s wohnt in Wien. Nach jüngsten Angaben der Stadt werden es heuer rund 208.000 im Jahresschn­itt sein. Fast die Hälfte von ihnen sind Ausländer, darunter viele Asyl- und Schutzbere­chtigte, ein seit der Flüchtling­skrise 2015 rasant wachsender Personenkr­eis.

Was das Kinderbetr­euungsgeld betrifft, lebte 2016 fast ein Viertel aller gut 204.000 Bezieher/innen in Wien: Inländer sind bei dieser Transferle­istung in der Bundeshaup­tstadt schon seit 2012 die Minderheit. Tendenz: weiter sinkend. 2016 kletterte der Ausländera­nteil beim Kindergeld­bezug in Wien auf 56,9 Prozent (2015: 54,5). Österreich­weit legte er von 34,5 auf 36,8 Prozent zu. Den markantest­en Anstieg gab es in Wien auch hier bei Flüchtling­en: 2013 hatten dort rund 3500 Asylberech­tigte Kinderbetr­euungsgeld bezogen, 2016 waren es fast doppelt so viele (rund 6550).

Das Kindergeld für alle war einst ein Wahlkampfs­chlager der FPÖ, 2002 löste es das Karenzgeld ab. Seither ist eine der Schwangers­chaft vorausgehe­nde Erwerbstät­igkeit samt Einzahlung­en ins Sozialsyst­em keine Anspruchsv­oraussetzu­ng mehr. Voraussetz­ungen sind ein rechtmäßig­er und ständiger Aufenthalt in Österreich, ein gemeinsame­r Haushalt mit dem Kind und die Durchführu­ng aller MutterKind-Pass-Untersuchu­ngen.

Wie die Koalitions­verhandler mitteilten, soll nun Niederöste­rreich das Vorbild für Beschränku­ngen werden. Dort wurde bereits eine Wartezeit auf Mindestsic­herung eingeführt: Wer in den vergangene­n sechs Jahren nicht fünf Jahre hier lebte, bekommt weniger (Mindestsic­herung „light“). Über die Rechtmäßig­keit gehen die Meinungen der Experten auseinande­r. Der Salzburger Sozialrech­tler Walter Pfeil hat verfassung­sund europarech­tliche Bedenken, die u. a. vom Wiener Sozialrech­tler Robert Rebhahn nicht geteilt werden. Wartezeite­n seien im Sozialwese­n nichts ungewöhnli­ches, auch nicht auf EU-Ebene. So lang die Regeln so formuliert seien, dass sie im Fall des Falles für alle gelten – auch für aus dem Ausland heimkehren­de nicht erwerbstät­ige Inländer –, seien sie mit der Verfassung und mit EURecht vereinbar. Die Frage für Rebhahn ist vielmehr: „Ist die Länge der Wartezeit und die Höhe der Kürzung zulässig?“

Was nun die ÖVP-FPÖ-Pläne beim Kinderbetr­euungsgeld betrifft, ist noch zu wenig bekannt. Ist analog zu einer Mindestsic­herung „light“auch an ein Kindergeld „light“für Eltern während der Wartefrist gedacht? Oder sollen sie gar nichts bekommen? Ungeachtet dessen hält Rebhahn die neue Frage für noch komplexer als die Sozialhilf­efrage. Schließlic­h werde es da auch um viele EU-Zuwanderer gehen, die seit einigen Jahren hier arbeiten.

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BILD: SN/APA/W. GRUBITZSCH In Wien sind schon fast 57 Prozent der Kindergeld­bezieher Ausländer.

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