„Zwei sind genug“
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi sieht Terrorismus als zweitgrößte Gefahr für sein Land. Die größte seien Neugeborene – genauer gesagt der Umstand, dass es zu viele von ihnen gibt.
Jedes Jahr kommen in Ägypten zwei Millionen neue Staatsbürger hinzu. Falls die Geburtenrate so hoch bleibt, wie sie ist, droht dem Staat der Bankrott, der Bevölkerung Hunger und Armut – und der gesamten Region Instabilität. Kairo will daher gegensteuern. „Itnein Kifaja“(„Zwei sind genug“) heißt die Kampagne, die das dringlichste Problem des Landes lösen soll.
Die Überbevölkerung beschäftigt Kairos Beamte nicht erst seit Präsident Sisi. Schon dessen Vorgänger Hosni Mubarak versuchte zu Beginn der 1980er-Jahre, die Geburtenrate im Land zu drosseln – mit Erfolg. Von 1997 bis 2007 sank das Bevölkerungswachstum auf 2,04 Prozent. 2005 wurden pro Haushalt im Durchschnitt 2,5 Kinder geboren. Dann wendete sich das Blatt.
Die wichtigste Oppositionsgruppe, die Muslimbruderschaft, erklärte Kinderkriegen zur islamischen Pflicht. Bei den Islamisten sind Verhütungsmittel verpönt, Kinderehen werden toleriert. Als 2011 der „arabische Frühling“ausbrach und die Muslimbrüder die Macht übernahmen, rückte staatlich geförderte Familienplanung in den Hintergrund.
Das Bevölkerungswachstum stieg, im Durchschnitt gab es wieder 3,5 Kinder pro Haushalt. Eine Volkszählung machte unlängst deutlich, was das bedeutet: Jahr für Jahr kommen zu den heute 93 Millionen Einwohnern zwei Millionen hinzu. In einem Land, in dem rund 28 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, wächst vor allem der Anteil ärmlicher Familien in ländlichen Regionen.
Die Regierung wird in den kommenden drei Jahren 20.000 neue Kindergärten errichten müssen. In sechs Jahren müssen 100.000 neue Schulen her, in 25 Jahren jährlich mehr als zwei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Zudem leidet Ägypten unter einem Wasserdefizit von mindestens sieben Millionen Kubikmetern im Jahr – und es dürfte schlimmer werden, sobald Ägyptens südlicher Nachbar Äthiopien einen gewaltigen Staudamm am Nil fertigstellt.
Experten sehen nur eine Lösung: die Geburtenrate senken. Dazu investiert die Regierung. Schon heute unterhält das Gesundheitsministerium 6000 Kliniken, die Familienplanung unterstützen. Verhütungsmittel werden subventioniert: Zehn Kondome kosten umgerechnet fünf Cent, eine Kupferspirale knapp zehn Cent. Nun will das Ministerium zusätzlich 12.000 Fürsprecher einstellen, die 1,3 Millionen Frauen in den zehn ärmsten Gouvernements in Workshops, Konferenzen und Hausbesuchen davon überzeugen sollen, dass Geburtenkontrolle im nationalen und persönlichen Interesse liegt. Ganz nach dem Motto: „Zwei sind genug.“
Manchen reicht das nicht. Parlamentarierin Ghada Ajami brachte einen Gesetzesvorschlag ein, der die Zeugung von mehr als drei Kindern mit der Kürzung staatlicher Hilfsgelder für Nahrung bestrafen will. Kinder gebärfreudiger Familien sollten dann auch keine staatlich subventionierten Schulen mehr besuchen können. Die NGO „Gerechtigkeit und Entwicklung für Menschenrechte“drängte Parlamentarier, eine Fortpflanzungslizenz für frischvermählte Paare einzuführen. Sie soll alle fünf Jahre ausgestellt werden und die Zeugung eines Kindes gestatten. Parlamentarier Aiman Abu Ela setzt auf Zuckerbrot statt Peitsche. Er will allen, die Familienplanung betreiben, Steuernachlässe oder erhöhtes Kindergeld gewähren.
Den Behörden stehen längst Kleriker der Al-Azhar-Universität zur Seite, einer der ältesten islamischen Hochschulen der Welt. Schon 1937 gestattete Großmufti Scheich Abdul Hamid, die oberste religiöse Instanz Ägyptens, die Benutzung von Verhütungsmitteln aus verschiedenen Gründen. Der amtierende Großmufti Schauki Allam konstatierte unlängst auf einer Konferenz, dass „zu viele Kinder Armut herbeiführen“. Deswegen müsse „eine Balance bestehen zwischen dem Wunsch nach einer großen Familie und der Entwicklung, die der Staat erreichen will“.
Doch man darf zweifeln, ob diese Botschaft bei der ungebildeten, armen Landbevölkerung ankommt. Schließlich wettern die Muftis auch seit Jahrzehnten gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen, dennoch sind laut Schätzungen immer noch mehr als 90 Prozent ägyptischer Frauen beschnitten.
Der Ansatz von Gesundheitsminister Ahmad Imad Eddin scheint am realistischsten: „Verhütung ist das letzte Mittel, auf das wir uns verlassen können, wenn es um Bevölkerungswachstum geht.“Stattdessen sei es „zuallererst notwendig zu verhindern, dass Mädchen ihre Schulbildung abbrechen und früh heiraten“. Fast jedes fünfte ägyptische Mädchen wird vor dem 18. Lebensjahr verheiratet. Minderjährige Mütter haben einen niedrigeren Bildungsstand, werden öfter Opfer häuslicher Gewalt und haben im Durchschnitt mehr Kinder.
„Fortpflanzungslizenz“wurde vorgeschlagen