Ein Dorf will trotz Trauer und Angst zurück zur Normalität
Acht Tage nach dem Doppelmord in Stiwoll sind der Kindergarten und die Schule wieder geöffnet. Die Suche nach dem Verdächtigen geht weiter. Hat er bei einem Einbruch Lebensmittel erbeutet?
STIWOLL. Die zwei schmucken Holzpferde im Schulhof stehen verwaist im Nieselregen, erinnern an bessere, weil unbeschwertere Zeiten. Als hier noch gespielt, herumgetollt und gelacht werden konnte. Fast im Minutentakt fährt ein Auto direkt vor der Volksschule Stiwoll vor, die Kinder werden verabschiedet und gehen rasch in das von Polizeikräften diskret bewachte Schulhaus, in dem ein chinesisches Sprichwort als Motto gilt: „Es gibt nur zwei Dinge, die wir unseren Kindern mitgeben können: Wurzeln und Flügel.“
Montag früh – der erste Schultag für die leidgeprüften Kinder in der Gemeinde Stiwoll nach der Bluttat am 29. Oktober, bei der zwei Menschen sterben mussten und eine weitere Person schwer verletzt wurde. Nach dem mutmaßlichen Täter, dem 66-jährigen Friedrich F., wird seither im Großraum Stiwoll mit Hochdruck gefahndet. Mit Helikoptern, Suchhundestaffeln, Hunderten Einsatzkräften. Bislang ohne konkretes Ergebnis. Die Tage vergehen, aber die Angst in den Köpfen der Einwohner, die bleibt.
„Wir haben Schule und Kindergarten wieder geöffnet, auch um einen Schritt in Richtung Normalität zu setzen“, sagt Alfred Brettenthaler, der Bürgermeister der 718-Einwohner-Gemeinde im Nordwesten von Graz. Normalität in einer Zeit, in der schwer bewaffnete Elitekräfte der Polizei das idyllische Ortsgebiet durchkämmen, in der sogar das Gemeindeamt von Cobra-Beamten gesichert ist? „Natürlich ist diese Dauerbelastung ein starkes Stück, aber wir müssen auch wieder unseren Alltag aufnehmen“, berichtet der Bürgermeister. Will heißen: Über 50 Kinder haben am Montagvormittag den Kindergarten und die Volksschule aufgesucht.
In der Gemeinde Stiwoll wurde mittlerweile ein (auch für Jäger gültiges) absolutes Schussverbot erlassen: „Es ist von Schüssen und von knallkörperähnlichen Geräuschen abzusehen“, heißt es. Zum einen wolle man die Bevölkerung nicht zusätzlich in Angst und Schrecken versetzen und auch die Polizisten sollen nicht irritiert werde. Auf der Homepage der Gemeinde wendet sich der Bürgermeister an die Bevölkerung: „Wir sind alle sehr betroffen von dieser grauenvollen Tat.“Zu sehen ist auch ein schwarzes Banner mit der Aufschrift „Stiwoll trägt Trauer“.
Montagvormittag waren fast nur Einsatzkräfte auf den Straßen zu sehen, viele Einwohner haben sich mehr oder weniger in ihren Häusern verbarrikadiert. „Fast alle von uns kennen ja den Friedrich und wissen, wozu er fähig ist“, sagt eine Frau, die im Supermarkt Obst und Gemüse einkauft. Ob sie denn keine Angst habe? „Natürlich habe ich auch ein mulmiges Gefühl, aber was soll man tun? Das Leben muss weitergehen.“
Die Meldung eines Einbruchs in den Keller eines landwirtschaftlichen Wohnhauses unweit des Tatorts macht am Montag rasch die Runde. Aus einer Tiefkühltruhe dürften Lebensmittel entwendet worden sein. Eine erste heiße Spur zum Tatverdächtigen? „Es ist nicht auszuschließen, dass es sich um das Werk des Gesuchten handelt“, berichtet Polizeisprecher Jürgen Haas. Die Spurensicherer hoffen auf Verwertbares. In der Einsatzleitung hält man es nach wie vor für möglich, dass Friedrich F. sich in einem Unterschlupf in unmittelbarer Nähe zurückgezogen haben könnte. Das hügelige Waldgebiet mit zahlreichen Höhlen und leer stehenden Scheunen bietet da viele Möglichkeiten. Die Taktik der Kriminalisten hat sich seit dem Wochenende geändert. „Ermittlungsfahndung statt Geländefahndung“lautet das von der „Soko Friedrich“ausgegebene Motto.
„Wir gehen von einer dynamischen Lage aus, können gezielt auf neue Erkenntnisse reagieren“, berichtet Jürgen Haas. Für den akuten Einsatzfall stehen auch zwei Panzerfahrzeuge bereit, die zwischen der Kirche und dem Gemeindeamt parken. Das seit Montag kalte und feuchte Spätherbstwetter wurde von den Fahndern positiv registriert: „Je kälter es wird, desto unangenehmer wird es für den Gesuchten, der ja zu Fuß unterwegs sein soll.“Am vergangenen Samstag wurde das männliche Mordopfer unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in Stiwoll bestattet, für heute, Dienstag, ist das Begräbnis der getöteten Frau angesetzt. Wieder müssen die Trauergäste von Dutzenden Polizisten geschützt werden. „Es ist schon ein Wahnsinn, in welcher Zeit wir leben: Nicht einmal der letzte Weg eines Menschen ist sicher“, sagt einer aus Stiwoll, der schnellen Schrittes zwischen den Polizistenansammlungen und der im Ortszentrum gehissten Trauerfahne nach Hause geht und eine große Hoffnung hat: „Dass der Friedrich rasch gefasst wird und der Spuk hier ein Ende hat.“
Gerichtsgutachter Manfred Walzl, der im Auftrag mehrerer Behörden Gutachten über den flüchtigen Friedrich F. erstellt hat, schilderte am Montag im APA-Gespräch, dass die Taten für ihn überraschend waren: „Ich hätte ihn nicht so eingeschätzt, dass er zu so etwas neigt, aber man kann in einen Menschen nicht hineinschauen.“Er verteidigte seine Expertisen. Zudem seien Gutachter „keine Hellseher“.
„Wir müssen trotz der Dauerbelastung wieder den Alltag aufnehmen.“Alfred Brettenthaler, Bürgermeister