Evangelikale sind durch Trump irritiert Kontakte zum „gottlosen Russland“ließen Trump in Ungnade fallen
Am 8. November 2016 wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt. Das hat nicht zuletzt ein mittelgroßes Beben in der US-amerikanischen Religionslandschaft ausgelöst.
Auch ein Jahr nach dem Triumph von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl macht sich in weiten Teilen der US-amerikanischen Religionspolitik eine lethargische Stimmung breit. Selbst jene Freikirchen, die heute noch das nahende „Jüngste Gericht“erwarten und deshalb nach jedem Anzeichen für den bevorstehenden Untergang Ausschau halten, hatten das nicht erwartet: dass ein republikanischer Wahlsieg in konservativen Kreisen der US-Gesellschaft zu einer tief sitzenden Identitätskrise führen würde.
Donald Trump ist das personifizierte Gegenbild zu moralischen Vorstellungen vieler freikirchlicher Gruppierungen in den USA. Schon im Wahlkampf baute Trump nicht mehr auf die moralisch-konservative Ordnung, die noch die Wahlen von Ronald Reagan oder George Bush sen. beeinflusst hatte. Damit schuf sich Trump jedoch nicht nur politische Feinde in der eigenen Partei, sondern er sorgte für ein mittelgroßes Beben in der US-amerikanischen Religionslandschaft.
Insbesondere jene ausgeprägt konservativen Kreise, die mit dem traditionellen System der US-Republikaner seit Jahrzehnten verbandelt waren, wurden durch die Person des umstrittenen Kandidaten und schließlich durch den präsidialen Stil von Donald Trump vor eine innere Zerreißprobe gestellt. Der erfolgreiche Abschluss von Trumps Wahlkampf war für diese Kreise ein Schlag ins Gesicht, von dem sie sich nur schwer erholen.
Die öffentlich zur Schau gestellte moralische Fehlerhaftigkeit ihres republikanischen Spitzenkandidaten ließ schon während des Wahlkampfs viele evangelikale Pastoren umschwenken und von ihren Kanzeln und TV-Bibelshows aus gegen eine Wahl Trumps eintreten. Was unter dem politischen Einfluss des US-Predigers Billy Graham, der seit den 1950er-Jahren die freikirchlichen Gruppierungen als breite Front für die Politik der Republikaner formierte, unmöglich schien, drohte am umstrittenen Spitzenkandidaten Trump Realität zu werden: das Aufbrechen der scheinbar unhinterfragten freikirchlichen Basis als republikanische Kernwählerschaft. Das war eine harte Prüfung für ein System, das für die Wahlsiege seit dem Aufstieg der New-RightBewegung unter Ronald Reagan mitverantwortlich war.
Auf Christianity Today, der wichtigsten evangelikalen Kommunikationsplattform, diskutieren Pastoren, Theologen und Gläubige unterschiedlicher Gemeinden seit dem schicksalhaften Wahlausgang, wie die Freikirchen dem neuen politischen Phänomen namens „Trump“begegnen sollten. Viele setzen nach wie vor höchste Erwartungen in jenen Mann, der die Vereinigten Staaten wieder zum „Licht für die Völker“(ein viel zitiertes biblisches Bild der ersten puritanischen Siedler) machen möchte. Andere dagegen sehen Trump als Zeichen dafür, dass die Gesellschaft der USA und ihre göttliche Berufung auf der internationalen Bühne dem Untergang geweiht seien.
Diese Furcht entzündet sich nicht zuletzt an den vermuteten Russland-Kontakten von Trumps Wahlkampfteam. Diese treffen auf eines der hartnäckigsten Feindbilder der US-Evangelikalen. Abseits der innen- und außenpolitischen Turbulenzen und Unstimmigkeiten seit der Vereidigung Donald Trumps als US-Präsident hat der Vorwurf von Russland-Verbindungen tiefe Spuren in den Glaubensgemeinschaften hinterlassen. Denn Russland gilt seit dem Antikommunismus der McCarthy-Ära und den Predigten von Billy Graham als das große Feindbild der göttlich angesehenen US-Verfassung und der darin festgeschriebenen Rechte.
Dass nun dieser US-Präsident, der alle konservativen Moralvorstellungen mit Füßen tritt, auch noch Verbindungen zum Nachfolgesystem des „gottlosen Kommunismus“aufgebaut haben soll, schlägt in weiten Teilen der konservativen Religionslandschaft in den USA hohe Wellen. Ungeachtet der politischen Konsequenzen für die gegenwärtige US-Regierung wird dadurch sichtbar, dass genau jene Schwarz-Weiß-Optik, die Trump in seinem Wahlkampf so stark gemacht hat, durch ihre fixe Rollenzuschreibung von Freund und Feind zu einem Bumerang werden könnte.
Nicht nur Trump selbst, sondern auch das festgefahrene System der US-Republikaner steht in Gefahr, unter die Räder eines der letzten und wirksamsten Feindbilder der US-Geschichte zu kommen. Für die öffentliche Wahrnehmung und besonders auch für weite Kreise seiner Parteifreunde sind Russland-Kontakte eine politische Todsünde. Hier werden Feindbilder evangelikaler Christen bis in die gegenwärtige Gesellschaft der USA wirksam.
Viele freikirchliche Kreise distanzieren sich daher seit dem Wahlsieg Trumps von parteipolitischer Positionierung. Dagegen spähen andere evangelikale Vertreter nach einem sich bietenden Strohhalm, an den sie sich angesichts des drohenden Machtverlusts klammern könnten. Besonders einflussreiche Prediger wie etwa der texanische Baptistenpastor Robert Jeffress suchen nach wie vor die Nähe zu Trumps Regierungsteam und lassen sich öffentlichkeitswirksam mit dem Präsidenten in Szene setzen, um ihren politischen Einfluss hoch zu halten. Das ist freilich in der evangelikalen Bevölkerung nicht unumstritten. Jeffress ist häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er sich unterwürfig an das Weiße Haus anbiedere. Anstatt dadurch die einstige Autorität christlicher Werte zu retten, sei er zum marionettenhaften Bittsteller dafür geworden.
Und Trump selbst? Er hat den streng konservativen Neil Gorsuch zum Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ernannt. Gorsuch legt als bekennender Episkopaler (der amerikanischen Version der anglikanischen Kirche) bei juristischen Fragestellungen denselben wortwörtlichen Interpretationsrahmen an wie manche evangelikale Glaubensgruppen in ihrer Bibellektüre.
Trump versucht also, mit „Zuckerbrot und Peitsche“durchzukommen. Zahlreiche Entscheide des US-Präsidenten – etwa die Kürzung der staatlichen Unterstützung für Abtreibungen oder die steuerliche Entlastung religiöser Gruppierungen – lassen die Hoffnung vieler Konservativer in diese Präsidentschaft punktuell aufflammen. Dass sich die Stimmung des Präsidenten jedoch schlagartig ändern kann, haben die ersten Monate von Trumps Regierungszeit mehrfach bewiesen.
Diese schwelende Unsicherheit belastet auch das Verhältnis Trumps zu jenen Kreisen der Republikanischen Partei, die sich den Pakt zwischen Politik und Religion aus der antikommunistischen Zeit des 20. Jahrhunderts zurückwünschen. Es wird eine Aufgabe der Republikaner sein, nach den innerparteilichen Wunden durch die langen Vorwahlkämpfe eine zukunftsfähige Strategie zu finden, um ihre Handlungsfähigkeit im Hinblick auf ihre evangelikale Kernwählerschaft zu wahren.