Sie sind dem Turiner Grabtuch besonders nahe gekommen
Mechthild Flury-Lemberg und Irene Tomedi erzählen in Neukirchen über die Restaurierung der umstrittenen Reliquie.
Das Turiner Grabtuch gilt als kostbarste und gleichzeitig umstrittenste Reliquie rund um die Passion Christi. Mechthild FluryLemberg aus Bern, Koryphäe und Pionierin der Textilkonservierung, sowie ihre ehemalige Schülerin Irene Tomedi aus Bozen haben das Turiner Grabtuch 2002 für die Zukunft konserviert. Mittels Mikrostaubsauger entfernten sie Rußpartikel verbrannter Fasern, die von einem Feuer im Jahr 1532 herrührten. Der Ruß wurde in einem Filter gesammelt und in kleinen Fläschchen aufbewahrt, die Stelle der Entnahme genau dokumentiert. Jeder Handgriff wurde von Mitgliedern der „Grabtuch-Kommission“mit Argusaugen beobachtet.
Der Restaurierung – eine Arbeit von 20 Tagen – war eine zehn Jahre andauernde Diskussion über deren Notwendigkeit vorausgegangen. Nunmehr sorgt ein Hightech-System für die richtige Lagerung im Dom von Turin. Das kostbare Textil wird in einer mit Argongas gefüllten Panzerglasvitrine aufbewahrt. Neben den Konservierungsarbeiten hat Flury-Lemberg auch weitere Untersuchungen im textilen Bereich des Tuches vorgenommen.
Das Turiner Grabtuch wird schriftlich erstmals 1353 in Frankreich erwähnt. Ab diesem Zeitpunkt kann man die Geschichte des mysteriösen Leinentuches sehr gut nachvollziehen. 1578 kam es nach Turin, wo es zu besonderen kirchlichen Anlässen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Noch kein Textil wurde mehrfach mit einem so hohen wissenschaftlichen Aufwand untersucht und führt nach wie vor zu kontroversen Ansichten und Diskussionen. Die katholische Kirche bezeichnet das Grabtuch offiziell nicht als Reliquie, sondern als Ikone.
Als Irene Tomedi zum ersten Mal vor dem Grabtuch stand, verspürte sie „riesigen Respekt“. Nicht vor der Arbeit selbst, denn diese war technisch gesehen kein großer Aufwand. Es war vielmehr die Bedeutung, die dieses Tuch für viele Menschen hat. Häufig bekommt Tomede die Frage gestellt, ob das Bildnis ihrer Einschätzung nach echt sei oder nicht. „Das ist eine Frage des persönlichen Glaubens, die jeder für sich selbst beantworten muss“, sagt die Restauratorin.
Für Flury-Lemberg war die Arbeit am Turiner Grabtuch der Höhepunkt ihres Schaffens. „Die diffusen Umrisse sind keine Malerei, es existieren keine Farbpigmente“, betont die evangelische Christin. Zudem besitze das Bild alle Merkmale, die Jesus Christus gemäß den Evangelien nach der Kreuzigung getragen habe. „Ich habe nichts gefunden, was dagegen spricht, dass es sich bei diesem Tuch um das Grabtuch des historisch überlieferten Christus handelt.“