Was heißt da europagesinnt?
Die FPÖ ist in ihrer Wortwahl mittlerweile handzahm. Auch viele ihrer Positionen zur EU decken sich mit denen der ÖVP unter Sebastian Kurz. Ein genauer Blick zeigt aber Bruchlinien.
Keine Übung im Kompromissefinden
BRÜSSEL. „Meine Regierung wird europagesinnt sein, oder sie wird es nicht geben.“So versuchte ÖVPChef Sebastian Kurz vergangene Woche in einem Interview mit einer italienischen Zeitung – zum wiederholten Mal – Bedenken in Europa gegenüber einer Koalition mit der rechtspopulistischen und EUskeptischen Freiheitlichen Partei unter der Führung von HeinzChristian Strache zu zerstreuen.
An Bekenntnissen zur EU mangelt es der FPÖ in den letzten Monaten nicht. Generalsekretär Herbert Kickl meinte kürzlich, mit dem Verhältnis der Freiheitlichen zu Europa sei es wie in der Liebe: „Wenn man jemanden liebt, heißt das nicht, dass man immer zu ihm lieb ist.“Manchmal sei eine gewisse Strenge und Kritik, „um dieser Zuneigung gerecht zu werden, besser, als wenn man aus purer Verliebtheit handelt“. Besonders heiß ist die Zuneigung der Freiheitlichen zur EU in der politischen Praxis nicht. Nach wie vor sitzen die vier Europaparlamentarier (Harald Vilimsky, Barbara Kappel, Georg Mayer, Franz Obermayr) in der Rechtsaußen„Fraktion der Nationen und der Freiheit“mit deklarierten EU-Gegnern wie der französischen Front National (Parteichefin Marine Le Pen selbst ist nicht mehr im EP) oder der niederländischen Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders.
FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky lässt bei seinen Wortmeldungen im EU-Parlament kaum ein gutes Haar an Gesetzesvorschlägen oder sonstigen Vorhaben. Beispiele gefällig? Die Reformpläne von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seien „das alte Brüsseler Lied: Immer mehr EU, immer mehr Macht, die von den Mitgliedsstaaten nach Brüssel abgegeben werden soll“. Die EU-Ideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seien nur neuer „Zentralismus“; die geplante Änderung des EU-Asylsystems eine „Erpressung gegenüber den EU-Mitgliedsstaaten“und das Pariser Klimaabkommen ein „Kniefall vor der Atomlobby“.
In ihrer Sprache sind die FPÖMandatare, abgesehen von Ungehobeltheiten oder tendenziöser Begriffswahl, heute handzahm. Sager wie jener vom „Negerkonglomerat“, über den der frühere EU-Parlamentarier Andreas Mölzer stolperte, kommen nicht mehr vor. Verstummt sind auch Rufe nach einem Öxit, einem Austritt Österreichs aus der EU, den Norbert Hofer im Bundespräsidentenwahlkampf für den Fall eines Türkei-Beitritts in den Raum gestellt hat.
Die Botschaften drehen sich fast immer um die Themen, die allen Rechtspopulisten zentral sind: der Kampf gegen mehr Macht Brüssels, gegen illegale Einwanderung und für mehr direkte Demokratie. Im FPÖ-Parteiprogramm liest sich das so: „Wir bekennen uns zu einem Europa der selbstbestimmten Völker und Vaterländer und zur europäischen Zusammenarbeit nach den Grundsätzen der Subsidiarität und des Föderalismus.“Konkreter wird es auf der Website fpoe.eu mit Überschriften wie „EU-Zentralismus & Regulierungswahn sind dumm“, „Sozialabbau & Globalisierungswahn sind dumm“oder „Das Euro-System samt Finanzierung der Pleite-Staaten ist dumm“.
Mit vielen ihrer Positionen liegt die FPÖ heute auf Kurz-Linie (oder nach blauer Sicht umgekehrt). Das gilt für die Forderung nach einem Stopp der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die Skepsis gegenüber einer Vertiefung der Währungsunion und für die Migrationspolitik sowieso.
Die ÖVP hat jedoch Übung im Kompromissefinden, die Freiheitlichen bisher nicht, wie das Abstimmungsverhalten im EU-Parlament zeigt. Sogar wenn es um ihre ureigenen Anliegen wie die Verstärkung des Grenzschutzes oder den Kampf gegen den Terror ging, stimmten die FPÖler dagegen oder enthielten sich – weil die EU ihrer Ansicht nach ihre Kompetenz überschritt oder sie im Text irgendwo Migranten zu sehr hervorgehoben sahen.
Es gibt auch klare Bruchlinien zur ÖVP, beispielsweise bei den Positionen zu den EU-Handelsabkommen oder zum Euro. Die FPÖ lehnt CETA ab und sprach sich kurz nach der Nationalratswahl für eine NordSüd-Trennung der Eurozone aus. Strache hat das relativiert und gemeint, dass „Nachdenken nicht verboten“sein dürfe. Die FPÖ wolle „natürlich alles dazu beitragen, dass dieser Euro eine gute und nachhaltige Entwicklung hat“, nur sei das noch nicht gesichert.
Die neuen Zauberworte der FPÖ in Zusammenhang mit der EU heißen Fehlentwicklung und Reformwille. Und „Aufwertung der direkten Demokratie“. Hier sehen PolitBeobachter die echte Gefahr für die künftige EU-Politik Österreichs, das im zweiten Halbjahr 2018 auch den Ratsvorsitz übernimmt. Volksabstimmungen über EU-Themen könnten dazu führen, dass sämtliche Reformen blockiert werden, meint etwa Stefan Lehne vom Thinktank Carnegie Europe. Kurz müsse mit diesem Instrument „vorsichtig“umgehen.