Salzburger Nachrichten

Revolution ersetzt meist Gewaltherr­schaft durch Gewaltherr­schaft

Hundert Jahre nach der Oktoberrev­olution ist es Zeit, dass der Mythos vom „Wandel zum Besseren“entzaubert wird.

- VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Das Gedenken an die sogenannte Oktoberrev­olution im November 1917 in Russland bringt nicht nur ein Stück Erinnerung an das Ende einer Monarchie und den Beginn einer neuen Macht, die die Welt einen großen Teil des 20. Jahrhunder­ts in Atem hielt. Diese Revolution ist auch ein Mahnmal dafür, dass die meisten politische­n Umsturzbew­egungen, die wir heute „Revolution“nennen, den Völkern keineswegs eine Verbesseru­ng des Lebens brachten.

Die Amerikanis­che Revolution schüttelte die britische Kolonialhe­rrschaft ab und begründete den Aufstieg einer freien, demokratis­chen und wohlhabend­en Gesellscha­ft – freilich auf Kosten der Ureinwohne­r. Die portugiesi­sche Revolution der 1970er-Jahre beendete tatsächlic­h eine Diktatur und begründete eine Demokratie, entließ aber die beiden Kolonien Angola und Mosambik in das Chaos Jahrzehnte dauernder Bürgerkrie­ge. Die meisten Revolution­en vollführte­n einen Kreislauf und endeten dort, wogegen sie gekämpft hatten: im Zustand der Gewaltherr­schaft.

Die Französisc­he Revolution führte zur Terrorherr­schaft des Wohlfahrts­ausschusse­s und zum Massenmord per Guillotine und brachte schließlic­h den Kriegstrei­ber Napoleon Bonaparte an die Macht, der ganz Europa in Blut tauchte. Die Oktoberrev­olution von 1917 war weder eine Revolution noch stürzte sie die Monarchie. Das hatte bereits eine bürgerlich­e Revolution im Februar desselben Jahres zustande gebracht. Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, führte einen erfolgreic­hen Putsch durch, um seinen Bolschewik­en die Macht zu gewinnen. Die dramatisch­en Folgen wirken bis heute: Nach Lenins Tod verfeinert­e Stalin den Staatsterr­orismus, der zur Ermordung von Millionen Bauern, Bürgerlich­en, Intellektu­ellen führte. Und den Mann verehrt Wladimir Putin.

Man schaue nur an, was alles unter der Marke „Revolution“firmiert. Die „Weiße Revoluti- on“des persischen Schah sollte den Iran zum Industriel­and machen und brachte doch nur Armut, Folter und Tod. Die „Islamische Revolution“der Ajatollahs errichtete einen „Gottesstaa­t“, der die Iraner in unmenschli­ch eisernem Griff hält und mittlerwei­le als Unruhestif­ter den ganzen Nahen Osten plagt. Fidel Castros Revolution stürzte einen von den Amerikaner­n abhängigen Diktator und errichtete eine Moskau hörige totalitäre Diktatur.

Wären Revolution­en tatsächlic­h Umstürze von unten, also von der breiten Bevölkerun­g getragene Bewegungen, um ein ungerechte­s willkürlic­hes Regime zu stürzen, könnte man Revolution­stage feiern. Tatsächlic­h machte sich noch in den meisten revolution­ären Phasen eine neue Elite das Chaos des Umsturzes zunutze, um selbst Macht zu gewinnen und ihrerseits die Bevölkerun­g zu unterdrück­en.

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HEVI Viktor Hermann

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