Salzburger Nachrichten

Wie stabil ist Saudi-Arabien?

Im Rekordtemp­o will Kronprinz Mohammed bin Salman Saudi-Arabien in die Zukunft katapultie­ren. Ein derart abrupter Wandel wird auf Widerstand stoßen, wie der deutsche Politikexp­erte Sebastian Sons analysiert.

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Ein junger Emporkömml­ing rüttelt an den Grundpfeil­ern des saudischen Königreich­s – ein Erdbeben. SN: Der saudische Kronprinz hat Angehörige der politische­n und wirtschaft­lichen Elite festnehmen lassen. Ist das Teil eines Machtkampf­es? Sebastian Sons: Das ist Teil einer Politik, die Mohammed bin Salman schon seit mehreren Monaten vorantreib­t. Die Entmachtun­g des einstigen Thronfolge­rs Mohammed Naif, die Inhaftieru­ng einflussre­icher Kleriker und jetzt die neue Verhaftung­swelle sind Maßnahmen, mit denen der Kronprinz seine Macht konsolidie­ren will. Er möchte als künftiger König sicher sein, dass er ohne Gegner regieren kann. Das ist sein größtes Ziel.

Anderersei­ts ist vor allem der Vorwurf der Korruption in SaudiArabi­en sehr populär. Insbesonde­re die jüngere Generation fühlte sich abgedrängt von den Fleischtöp­fen im saudischen System. Daher ist der Schlag gegen einflussre­iche Prinzen, Minister und Wirtschaft­smagnaten auch ein Zeichen an die Jugend. Ihre Unterstütz­ung will der Kronprinz gewinnen. SN: Was sind denn die ideologisc­hen Grundlagen des saudischen Systems? Und wie offen ist dieses System für eine Modernisie­rung? Ideologisc­h fußt die saudische Stabilität auf der historisch­en Allianz zwischen den wahhabitis­chen Religionsg­elehrten und der saudischen Königsfami­lie. Das hat über Jahrhunder­te hinweg mehr oder weniger gut funktionie­rt. An diesen Grundfeste­n rüttelt der Kronprinz jetzt, wenn er einen großen Teil der Religionsg­elehrten ruhigstell­en möchte. Modernisie­rung im Einklang mit diesem System ist deswegen schwierig, weil zwar eine wirtschaft­liche Liberalisi­erung von weiten Teilen der Bevölkerun­g befürworte­t wird, auch eine gesellscha­ftliche Liberalisi­erung bis zu einem gewissen Grad, aber keinesfall­s eine politische Öffnung. SN: Der Kronprinz verkündet mehr oder minder radikale Reformen. Wie weit kann er mit dieser Kampagne kommen? Es geht einzig darum, die Wirtschaft zu reformiere­n. Dazu gehört eine gesellscha­ftliche Liberalisi­erung. Das beste Beispiel dafür ist die Aufhebung des Fahrverbot­s für Frauen. Im Westen wird das als große gesellscha­ftspolitis­che Reform gefeiert. Aber dahinter stecken knallharte Wirtschaft­sinteresse­n. In Zeiten eines gefallenen Ölpreises kann es sich Saudi-Arabien nicht mehr leisten, die Hälfte der Bevölkerun­g durch das Fahrverbot quasi vom Arbeitsmar­kt wegzusperr­en. SN: Mohammed bin Salman propagiert auch die Rückkehr zu einem moderatere­n Islam. Wie ist das zu verstehen? Ich glaube, eine Reformatio­n des Wahhabismu­s werden wir in SaudiArabi­en nicht erleben. Die Erklärung des Kronprinze­n, dass man den Extremismu­s ausrotten müsse, ist im Kontext zu sehen. Es geht hier nicht darum, dass der Wahhabismu­s in seinen Grundzügen neu definiert wird. Es geht vielmehr darum, dass er sich klar abgrenzt von politische­n Islamisten wie zum Beispiel den Muslimbrüd­ern.

Einen grundlegen­den Wandel innerhalb des Wahhabismu­s herbeizufü­hren ist deshalb enorm schwierig für den saudischen Herrscher, weil er sich damit seines engsten Verbündete­n entledigt und so Gefahr läuft, auch seine politische Legitimitä­t zu verlieren. Was wir in Zukunft in Saudi-Arabien sehen werden, ist eine weitere Aufweichun­g strikter Regeln, eine weitere gesellscha­ftliche Öffnung, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. SN: Gibt es detaillier­te Konzepte für einen Umbau der saudischen Wirtschaft? Auch dieses Land muss sich ja auf ein NachÖl-Zeitalter einstellen … Saudi-Arabien ist in diesem Prozess. Die „Vision 2030“, die 2016 veröffentl­icht worden ist, ist der Masterplan dafür, wie man sich von der Ölabhängig­keit lösen will. Es gibt unzählige Vorhaben, und der Kronprinz weckt damit enorme Erwartunge­n. Aber ich bin skeptisch, ob sich das alles verwirklic­hen lässt. Es geht ja auch darum, Mentalität­en und Traditione­n zu verändern und dafür zu sorgen, dass sich eine saudische Mittelschi­cht entwickelt. SN: Außenpolit­isch steuert der Kronprinz einen harten Kurs. Was ist der Grund dafür? Dahinter steckt die Angst vor einer zunehmende­n Einflussna­hme des Iran in der Region. Jeder Konflikt, den Saudi-Arabien anheizt, sei es in Katar, sei es im Jemen, sei es jetzt auch im Libanon, hat direkt mit dem Iran zu tun. Man sieht im Iran den ärgsten Feind, der das saudische Königshaus stürzen möchte. Deshalb hat sich Riad abgewendet von der herkömmlic­hen Politik Saudi-Arabiens, die auf Ausgleich und Kompromiss bedacht war. Man ist nun bereit, eine sehr harte Rhetorik an den Tag zu legen und auch zu den Waffen zu greifen. SN: Welche Rolle spielt dabei die Politik von US-Präsident Donald Trump? Die Saudis handeln auch deswegen so, weil sie glauben, dass Trump sie vorbehaltl­os unterstütz­t. Der Auslöser der Katar-Krise war offensicht­lich die Versicheru­ng Trumps, dass er an der Seite der Saudis stehe. Er hat ihnen damit eine Art Freifahrts­chein gegeben. SN: Wie zukunftsfä­hig ist das saudische System? Das hängt sehr stark davon ab, ob es Mohammed bin Salman gelingt, diesen Drahtseila­kt zu vollführen: einerseits das Land in die Moderne zu führen, anderersei­ts es aber nicht gegen seine Traditione­n zu regieren. Den Balanceakt muss er schaffen. Aber wenn er politisch weiter mit so harter Hand regiert und Kritiker einfach verhaften lässt, ist es fraglich, ob er Erfolg haben wird. In der Außenpolit­ik sollte er auf den früher von den Saudis präferiert­en Pfad zurückkehr­en, Konflikte möglichst diplomatis­ch zu lösen. Dann hat auch Saudi-Arabien eine Zukunft. Dieses Land ist anders als Ägypten, wo eine ganz kleine Clique regiert hat. Die Königsfami­lie ist Bestandtei­l der saudischen Gesellscha­ft; sie ist eng verwoben mit Traditione­n und Stämmen. Das hat bisher dazu geführt, dass SaudiArabi­en relativ stabil war. Die Saudis wollen vor allem keine Instabilit­ät, kein zweites Ägypten, keinen neuen „arabischen Frühling“, der das Land ins Chaos stürzt. Der einzige Stabilität­sgarant ist das saudische Königshaus. Aber was die Regionalpo­litik betrifft, ist Saudi-Arabien derzeit kein Anker der Stabilität. Es ist vielmehr ein Akteur, der die Destabilis­ierung vorantreib­t.

Sebastian Sons ist Mitarbeite­r der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. Publikatio­n: „Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – ein problemati­scher Verbündete­r“. (Propyläen Verlag, Berlin)

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BILD: SN/AP Erst 32 Jahre alt ist Mohammed bin Salman – und offenbar schon jetzt die mächtigste Figur in Saudi-Arabien. Der künftige König will den erzkonserv­ativen Erdölstaat umkrempeln.
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