Es geht ein Riss durch Stadt und Land
Sie sind Expertinnen für Stadt-Land-Konflikte. In Salzburg untersuchen die Rabtaldirndln ein Phänomen, das die jüngsten Wahlen aufzeigten.
SALZBURG. Das Posterpapier ist eingerissen, die Gesichter sind mit Filzstift beschmiert, die Augen angekratzt: Wer beim Plakat für das neue Stück der Rabtaldirndln an die Abgründe von Wahlkämpfen denkt, liegt nicht daneben. Kandidiert haben die Mitglieder des Theaterkollektivs freilich noch nie. Aber die vergangene Bundespräsidentenwahl, bei der Risse im Land sichtbar geworden seien, sei ein Startpunkt für das jüngste Projekt gewesen, sagen Barbara Carli, Rosi Degen-Faschinger, Bea Dermond und Gudrun Maier beim Pressegespräch in der ARGEkultur. Dort hat ihr Stück „ABREISSEN“am Donnerstag beim Open Mind Festival seine Uraufführung.
Thema des Festivals, das zum neunten Mal unter der Leitung von Cornelia Anhaus gesellschaftspolitische Fragen mit künstlerischen Mitteln beleuchten will, sind heuer Spannungsfelder zwischen Gemeinschaft und Individuum.
Und wenn es um Klüfte und Risse zwischen Land und Stadt geht, sind die Rabtaldirndln als Expertinnen gefragt. Ihr Herkunftsort, das steirische Rabtal, ist frei erfunden. Die Themen, die sie dort ansiedeln, sind stets real. Worum es also in „ABREISSEN“, der Eröffnungs-Performance des diesjährigen Festivals geht? Es gehe etwa um die Erfahrung, dass Menschen, die sich nahestehen, weltanschaulich immer weniger zusammenkommen. Und um die Frage, wie es so weit kommen könne, dass man über politische Meinungen hinweg immer seltener miteinander reden könne. „Manchmal hat man ja sogar schon Angst, im eigenen Umfeld zu fragen, wer was gewählt hat.“
Als eine Modenschau ist das Stück „ABREISSEN“angelegt. Vorgeführt werden freilich nicht nur Outfits, sondern vor allem Haltungen. So soll dem Auseinanderdriften von Stadt und Land, links und rechts nachgespürt werden, das sich als Phänomen auch bei der Nationalratswahl fortsetzte.
Weil sie selbst in der Stadt leben, aber vom Land kommen, sehen sich die Rabtaldirndln nicht nur als Aufdeckerinnen mit Sinn für Ironie: „Wir stehen zwischen den Welten. Wir sind so etwas wie ein performativer Pickgummi zwischen Stadt und Land“.
Das Festival bietet indes auch Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis: Mit einem „Chauvinismus-Scanner“warten etwa die Mitglieder der Performancegruppe God’s Entertainment auf Kundschaft: Auf dem Platzl könne man eigene Vorurteile überprüfen lassen, „schmerzlos und gratis“, sagte Anhaus. Um die Freiheit der Satire und „kollektive Kränkungen“geht es in einem Symposium, das mit Karikaturist Gerhard Haderer und Mitgliedern des „Satirekalifats“Datteltäter prominent besetzt ist.
Wer bei so viel Debattenstoff Sehnsucht nach kollektiver Harmonie verspürt, kann sie im Chor d’Accord finden: Er singt zur Eröffnung den Hit „Common People“von Pulp, der auch Festivalmotto ist. Mitsingen ist erwünscht (Probe: heute, Mittwoch, Jazzit, 20 Uhr). Festival:
„Man fragt oft gar nicht mehr, was die anderen gewählt haben.“