Böse Briefe schüren Angst
Sie sind ein Verbrechen oder zumindest ein Vergehen: Erpressungen und Drohbriefe. Zwei Wiener haben die Geschichte niederträchtiger Post erforscht.
Tulle, ein Dorf in Frankreich, im Jahr 1917: Weil der Vorgesetzte die Liebe einer Beamtin verschmäht, schreibt sie anonyme Briefe. Jahrelang. Darin denunziert sie das ganze Dorf und deckt raffiniert soziale Strukturen auf. Erst fünf Jahre später wird sie gefasst und kommt ins Gefängnis. 1943 wird ihre Geschichte verfilmt.
Wie Drohbriefe und erpresserische Schreiben sich im Laufe der Zeit verändert haben, beschreiben Ernst Strouhal und Christoph Winder in ihrem Buch „Böse Briefe“(Verlag Brandstätter). Sie berichten von Fällen, die ihnen bei den Recherchen Gänsehaut verursacht haben. Strouhal: „Ein Erpresserschreiben war besonders durchtrieben. Es endete mit dem Satz ,Die Milch in Ihrem Kühlschrank ist sauer‘.“Täter wirken umso bedrohlicher, je mehr sie über die Person wissen, die sie anschreiben. Sie dringen in die Privat- und Intimsphäre von Menschen ein und sorgen für Angst.
Christoph Winder ist für seine Recherchen gereist, etwa ins Pariser Polizeimuseum. Aufgefallen ist ihm dort, wie abwechslungsreich Drohbriefe gestaltet werden. Gern verwendet werden Totenköpfe oder schwarz umrahmtes Papier, das aussieht wie eine Parte. Auch die sprachliche Ebene weist eine große Vielfalt auf – von wahnsinnig vulgär bis zu perfide-höflich.
Welche Trends lassen sich aus der Geschichte fieser Schreiben ablesen? „Bis in die 1950er-Jahre galten Beschimpfungen wie ,du Hirsch‘ oder ,du alte Maus‘ als abscheulich. Jetzt lächelt man darüber“, erzählt Strouhal. Heutzutage müssten vor allem Politikerinnen eine dicke Haut haben – oder ein gutes Büro, das sie von anonymen Angriffen abschirmt. Noch fehle ein Weg, mit Beschimpfungen wie Hasspostings zufriedenstellend umzugehen. Strouhal: „Interneterpressung ist eines der am schnellsten steigenden Delikte der Kriminalgeschichte und beinahe schon epidemisch.“
Konkrete Zahlen dazu gebe es allerdings nicht, sagt Winder. Grund: Die Dunkelziffer sei um etliches höher als die Zahl der Fälle, die tatsächlich aktenkundig werden. Er habe lediglich herausgefunden, dass die Verurteilungen wegen Erpressung „nicht rasend viele“seien.
Einer, der mit Drohbriefen konfrontiert ist, ist der Vorarlberger Psychiater und Gerichtsgutachter Reinhard Haller. Von ihm erzählt Ernst Strouhal, dass er sich jedes Schreiben ansieht – und wegwirft. Winder ergänzt, dass ein Großteil bösartiger Post zerrissen bei der Polizei ankomme, wenn Anzeige erstattet werde; im ersten Schreck würden viele Adressaten Drohbriefe zerfetzen.
Kriminalisten seien jedenfalls dankbar für die Spuren, die auf den meisten solcher Schreiben sind. „Erpresser sind die Heckenschützen der Kommunikation“, sagt Strouhal. Ausgeforscht können sie dennoch werden.
„Erpresser sind die Heckenschützen der Kommunikation.“Ernst Strouhal, Autor