Die Zeichen stehen auf Streik
Eine Einigung bei den Lohnverhandlungen der Metaller war zum Greifen nahe. Jetzt gibt es grünes Licht für Kampfmaßnahmen. Ab Dienstag könnte in Österreich gestreikt werden.
„Ab dem nächsten Dienstag werden wir die Riemen runterreißen.“Rainer Wimmer, Gewerkschaftschef
WIEN, SALZBURG. Die Verhandlungen um einen neuen Kollektivvertrag (KV) für die 130.000 Beschäftigten der heimischen Metalltechnischen Industrie (MTI) sind vorerst gescheitert. Daran konnte auch eine sechzehnstündige Marathonsitzung in der Nacht auf Dienstag nichts mehr ändern. Bleibt auch eine neuerliche letzte Chance zur Einigung bis Anfang nächster Woche ungenützt, dürfte es erstmals nach sechs Jahren wieder Streiks geben.
Zu verfahren war der Karren, zu sehr hatten sich Arbeitgeber und die Produktionsgewerkschaft ProGe sowie die Gewerkschaft der Privatangestellten GPA-djp auf ihre jeweiligen Positionen eingemauert, als dass eine Einigung über die jährliche Anpassung der Löhne und Gehälter sowie über Punkte des sogenannten Rahmenrechts in der bereits fünften Verhandlungsrunde noch möglich gewesen wäre.
Kurz nach dem ergebnislosen Abbruch der KV-Gespräche in der MTI – dem größten der fünf Metaller-Fachverbände mit insgesamt 180.000 Beschäftigten – erfolgte am Dienstagvormittag die Freigabe für Kampfmaßnahmen bis hin zum Streik durch den Gewerkschaftsbund ÖGB, damit sind formal die Weichen für Arbeitsniederlegungen in den Betrieben gestellt.
Kommt es bis nächsten Montagabend zu keiner Einigung, dann werde es ab Dienstag (14. November) Streiks geben, kündigt ProGeChef Rainer Wimmer an. „Dann werden wir die Riemen runterreißen“, sagt er – und meint damit die Antriebsriemen, die früher die Motorleistung auf die Maschinen einer Fabrik übertrugen.
Bereits in den kommenden Tagen werden Betriebsräte und Gewerkschafter in Betriebsversammlungen die Belegschaften wieder über den Stand der Dinge informieren und wohl auch die Belegschaften auf einen Arbeitskampf einstimmen.
Arbeitgeber-Verhandler Veit Schmid-Schmidsfelden warnt vor Streiks und hofft, dass es nicht dazu kommt. Denn diese seien ein „vollkommen unpassendes Mittel“, sagt er und appelliert an die gemeinsame Verantwortung für den Wirtschaftsstandort Österreich.
Betriebsversammlungen fanden bereits in den vergangenen Tagen in vielen Betrieben der Metallindustrie bundesweit statt. Zu Zwischenfällen sei es dabei nicht gekommen, die – durchwegs gut laufende – Produktion sei trotz der einstündigen Unterbrechung nicht beeinträchtigt worden, war aus mehreren befragten Unternehmen zu hören. Die Belegschaft unterstütze weitere Maßnahmen zu 100 Prozent, sagte ein Betriebsrat der Salzburger Aluminium AG (SAG) mit 300 Mitarbeitern österreichweit und 1200 Beschäftigten weltweit. Gleich mehrere Betriebe verwiesen auf ein gutes Verhältnis zwischen Management und Betriebsrat, daher hoffe man, die aktuellen Differenzen auf Ebene der Sozialpartner aussitzen zu können. Nicht nur die Betriebsräte bereiten sich auf einen Streik vor, auch die Führungsetage. Allerdings ist man dort bestrebt, einen möglichen Arbeitskampf so kurz wie möglich zu gestalten, jede Stunde, in der nicht gearbeitet wird, bedeutet Umsatzausfälle.
Kommt es tatsächlich zu Arbeitsniederlegungen, wären es die ersten Streiks in Österreich seit sechs Jahren. Bei den KV-Verhandlungen der Metaller 2011 erreichte man erst nach kurzen Warnstreiks einen Abschluss, auch 2013 stand diese Drohung im Raum. Davor war 1986 und 1962 gestreikt worden, beide Male ebenfalls in der Metallindustrie.
Zurück zur Nacht auf Dienstag. Die Verhandlungsdauer von 16 Stunden klingt viel, ist aber keineswegs ein Spitzenwert. Allein bei den Abschlüssen seit dem Jahr 2000 waren sechs längere Sitzungen erforderlich. Der Rekord liegt bei 24 Stunden, die im Jahr 2015 für eine Einigung nötig waren. Allerdings hat seit dem Jahr 2000 bisher noch nie eine KV-Verhandlung der Metaller mehr als fünf Runden in Anspruch genommen. Zu Beginn der jüngsten Sitzung machten sich weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer Illusionen, zu viel Porzellan war bereits davor zerschlagen worden. Und bei den Verhandlungspositionen lag man noch weit auseinander. Die Gewerkschaften hatten sich bereits früh auf eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um vier Prozent festgelegt. Zudem forderten sie Verbesserungen bei Dienstreiseund Schichtzuschlägen, die Anrechnung von Karenzzeiten, die Möglichkeit für einen Papamonat oder eine sogenannte Freizeitoption, also die freie Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers, geleistete Mehrstunden in Form von Geld oder von Freizeit zu verbrauchen.
Die Industrievertreter bezeichneten die Forderung lang als „weit entfernt von jeder wirtschaftlichen Vernunft“. Erst in der fünften Runde verständigte man sich als Verhandlungsbasis auf eine Inflationsrate von 1,88 Prozent. Dabei handelt es sich um den Mittelwert der Jahresinflation auf Monatsbasis über die vergangenen zwölf Monate.
Zuvor hatten die Industrievertreter darauf gepocht, auch die (deutlich geringere) europäische Inflation zu berücksichtigen, schließlich gingen 80 Prozent der Produkte der Branche in den Export. Trotzdem müssten Arbeiter und Angestellte die österreichischen Lebenshaltungskosten bestreiten, konterten die Arbeitnehmer.
Die Arbeitgeber hatten zunächst 1,9 Prozent mehr Geld angeboten und dann auf 2,5 Prozent erhöht. Der Aufschlag auf die Inflation um 0,62 Prozent decke einen „erheblichen Teil des Produktivitätszuwachses“ab, erklärte MTI-Fachverbandsobmann Christian Knill.
In den Nachtstunden habe man sich dann weiter angenähert, zeitweise sei man einem Abschluss „schon sehr nahe gewesen“, ist zu hören. Insbesondere ab 5.30 Uhr in der Früh schien eine Einigung „mit einem Dreier vorn“in Reichweite.
Letztlich kam es aber doch nicht dazu. Den einzelnen Punkt, an dem es scheiterte, gebe es nicht, war aus Verhandlerkreisen zu hören. Geplatzt sei der zum Greifen nahe Abschluss auch an einer Mischung aus zerstörtem Vertrauen und der unterschiedlichen Wahrnehmung der merklichen Konjunkturerholung. Während die Arbeitnehmervertreter einen kräftigen Aufschwung sehen und entsprechend daran teilhaben wollen, spricht die Industrie unverändert von einem „zarten Pflänzchen“, das noch geschont werden müsse.
Am Dienstag knapp vor 7.00 Uhr früh brachen die Gewerkschafter die Verhandlungen ab. Einen Termin für eine neue Runde gibt es noch nicht, vorerst war einmal Ausschlafen angesagt.