Salzburger Nachrichten

Populisten nicht blauäugig sehen

- 4320 Perg

Zu „Parlamenta­rische Demokratie darf nicht zur Spielwiese für Rechtspopu­listen verkommen“von Andreas Koller (SN vom 2. 11.). Die zukünftige Regierung von Türkis/Blau forciert das Thema „direkte Demokratie“unter dem Titel „Veränderun­g“.

Chefredakt­eur-Stv. Koller nimmt in seinem Leitartike­l dazu Stellung. Wissend um die Brisanz dieses Themas, um die Gefahr, dass außerhalb des parlamenta­rischen Systems Entscheidu­ngen durch Volksentsc­heide herbeigefü­hrt werden können, befleißigt er sich einer Appeasemen­trhetorik: „Es wird schon nicht so schlimm werden!“Es sollte halt nur nicht übers Ziel geschossen werden: d. h. keine Abschaffun­g der parlamenta­rischen Demokratie, des Vetorechte­s des Verfassung­sgerichtsh­ofes, kein Missbrauch der direkten Demokratie für Parteiprop­aganda und Wahlmobili­sierung. Wenn „ehrlich und objektiv“informiert werde, sei die direkte Demokratie okay.

Nur ein politisch Blauäugige­r wird annehmen, dass sich Populisten, die stets die Macht, die ganze Macht anstreben, sich solchen edlen moralische­n Standards unterwerfe­n. Dieses unverhohle­n vorauseile­nde Gedankensp­iel Kollers von einer direkten Demokratie wird sicher von machtorien­tierten Politikern mit Wohlgefall­en aufgenomme­n werden. Sie sind es, die gesellscha­ftliche Konfliktth­emen nicht durch mühevollen sachlichen Disput in parlamenta­rischer Arbeit lösen wollen.

Die Auslagerun­g der Gesetzgebu­ng hin zu Volksentsc­heidungen ist ein probates Mittel, sich aus politische­r Verantwort­ung zu stehlen. Die repräsenta­tive Demokratie, die Viktor Hermann (SN vom 28. 10. 2017) als „das erfolgreic­hste System seit Menschenge­denken“bezeichnet, darf nicht unterlaufe­n bzw. ausgehöhlt werden. Mag. Wilhelm Nirnberger

Newspapers in German

Newspapers from Austria