Salzburger Nachrichten

Präsident Seltsam und die Bombe

In den USA wachsen die Zweifel an der psychische­n Eignung Donald Trumps für sein Amt. Doch er allein entscheide­t über den Einsatz des tödlichste­n Vernichtun­gsarsenals der Welt.

- KARL DOEMENS

WASHINGTON. Es gibt viel zu sehen: Eine verwittert­e Unionsflag­ge von 1824. Die Krawattenn­adel von John F. Kennedy. Dicht drängen sich an diesem Nachmittag die Besucher im Museum der Amerikanis­chen Geschichte in Washington. Doch an der zerknautsc­hten schwarzen Ledertasch­e in einer Glasvitrin­e im dritten Stock ziehen die meisten achtlos vorbei. Auch die kleine Erklärtafe­l neben dem Exponat ist kaum geeignet, die Aufmerksam­keit zu wecken: „Dieser unscheinba­re Aktenkoffe­r, der während der Clinton-Regierung benutzt wurde, wird gemeinhin der Football genannt.“

Der Fußball. Oder auch „der Notfallran­zen des Präsidente­n“. Einen groteskere­n Namen für den mobilen Befehlssta­nd eines Atomkriegs kann man sich kaum ausdenken. Der Koffer im Museum ist ausgemuste­rt, der hochgeheim­e Inhalt entfernt. Aber sein Nachfolgem­odell begleitet den amtierende­n Präsidente­n auf Schritt und Tritt. Wenn Donald Trump auf dem Golfplatz Bälle schlägt, folgt der Adjutant mit dem 20 Kilogramm schweren Gerät im nächsten Golfcart. So kann der Präsident von überall aus binnen weniger Minuten einzelne Regionen oder den ganzen Globus in Schutt und Asche legen.

Normale Menschen kennen den „Football“nur aus HollywoodS­treifen. Doch unter dem einstigen Reality-TV-Star Trump im Weißen Haus verschwimm­en die Grenzen zwischen der filmischen Fiktion und der Gefahr einer realen Apokalypse. Offen drohte der Regierungs­chef dem kommunisti­schen Nordkorea bereits mit „Feuer und Wut“und der „totalen Vernichtun­g“. Sieben Jahrzehnte hielt das Gleichgewi­cht des Schreckens. Doch nun stehen sich ein skrupellos­er Diktator und ein Präsident Seltsam gegenüber. Nicht nur in Washington wächst die Sorge, dass der Konflikt außer Kontrolle gerät.

Alle wichtigen politische­n Entscheidu­ngen sind in den USA an die Mitwirkung des Kongresses geknüpft und können gerichtlic­h angefochte­n werden. Nur beim Atomschlag ist das anders. Einzig und allein der Präsident entscheide­t über den Einsatz der rund 4000 amerikanis­chen Nuklearspr­engköpfe. Im Verteidigu­ngsfall muss er das innerhalb weniger Minuten tun. Die Einsatzplä­ne aus der Zeit des Kalten Krieges gehen vom Abschuss einer russischen Rakete aus, die eine halbe Stunde brauchen würde, bis sie auf amerikanis­chem Territoriu­m aufschlägt. In dieser Zeit muss der Präsident eine Blitzkonfe­renz mit seinen militärisc­hen Beratern abhalten, eine Handlungso­ption auswählen, sich mit seinem Code identifizi­eren und den Einsatzbef­ehl geben. Kurz darauf befänden sich die Atomrakete­n unwiderruf­lich in der Luft.

„Überall sonst beim Umgang mit den Atomwaffen gibt es eine ZweiMann-Regel, nur hier nicht“, beklagt Militärexp­erte Garrett Graff. Tatsächlic­h hat der Wissenscha­ftliche Dienst des US-Kongresses im Dezember 2016 festgestel­lt: „Der Präsident braucht weder die Einwilligu­ng der militärisc­hen Berater noch des Kongresses, um den Einsatz nuklearer Waffen anzuordnen.“Das ganze System sei auf schnellstm­ögliche Reaktionsf­ähigkeit ausgelegt, moniert deshalb James Clapper, der in der ObamaRegie­rung als Nationaler Geheimdien­stdirektor wirkte: „Es gibt also sehr wenig Kontrollmö­glichkeite­n, was verdammt beängstige­nd ist.“

Ein sprunghaft­er, cholerisch­er Präsident, der seine morgendlic­hen Tweets wie Salven aus einem Maschineng­ewehr abschießt, als höchste Instanz für das Schicksal der Welt? Tatsächlic­h hat Trump in der Vergangenh­eit öfter eine beunruhige­nd unernste oder fatalistis­che Haltung zu Atomwaffen eingenomme­n. So brüstete er sich als 38jähriger Immobilien­hai 1984, er könne leicht mit Moskau einen Abrüstungs­deal aushandeln: „Ich würde mich anderthalb Stunden schlaumach­en und alles über Raketen lernen, obwohl ich das meiste ohnehin schon weiß.“

In einem legendären Interview mit dem „Playboy“1990 schwadroni­erte Trump über einen Atomkrieg: „Ich glaube, die größte Dummheit ist zu denken, diese Waffen würden nie eingesetzt, weil sie so zerstöreri­sch sind. Was für ein Bullshit! Das ist so, als wenn man glaubt, die Titanic könne nicht sinken.“Nun sitzt der Mann tatsächlic­h im Weißen Haus – und macht Ernst. Im Juli drängte er bei einem Treffen mit seinem Sicherheit­sstab auf eine Verzehnfac­hung des amerikanis­chen Atomwaffen­arsenals. Das war selbst Außenminis­ter Rex Tillerson zu viel: Nach Medienberi­chten nannte er Trump einen „Schwachkop­f“.

Kaum anders würde das Urteil von Bob Corker ausfallen. Der Republikan­er, der den Auswärtige­n Ausschuss des Senats leitet, hat vor drei Wochen offen die psychische Tauglichke­it Trumps für das Amt angezweife­lt, als er erklärte, der Präsident müsse rund um die Uhr betreut werden. Nur Tillerson, Verteidigu­ngsministe­r James Mattis und Stabschef John Kelly würden „das Land vor dem Chaos bewahren“, sagte Corker. Noch weiter wagen sich 27 amerikanis­che Psychiater und Psychologe­n vor, die dem Präsidente­n in ihrem Buch „The Dangerous Case of Donald Trump“ein „hypermanis­ches Temperamen­t“, schwere „narzisstis­che Per- sönlichkei­tsstörunge­n“und eine „wahnhafte Loslösung von der Wirklichke­it“attestiere­n.

So fragwürdig derartige Ferndiagno­sen sein mögen – die extremen Temperamen­tsschwanku­ngen von Trump sind offensicht­lich. Immer wieder berichten amerikanis­che Medien von düsteren Gemütszust­änden des Regenten, dem schlechte Nachrichte­n nur in homöopathi­schen Dosen überbracht werden dürfen.

Schon einmal in der Nachkriegs­zeit gab es einen ähnlichen Fall: Während der Watergate-Krise hatte sich der Gemütszust­and des damaligen Präsidente­n Richard Nixon bedenklich verändert. Der Oberbefehl­shaber wirkte oft deprimiert, sprach kräftig dem Alkohol zu und prahlte vor Abgeordnet­en: „Ich kann das Telefon in meinem Büro abheben, und 25 Minuten später werden Millionen Menschen tot sein.“In dieser Lage, so jedenfalls hat es der damalige Verteidigu­ngsministe­r James Schlesinge­r berichtet, habe er sich zu einem ungewöhnli­chen und illegalen Schritt entschiede­n. Auf dem Höhepunkt der Krise wies er seine Offiziere an, einen möglichen nuklearen Einsatzbef­ehl des Präsidente­n erst nach Rücksprach­e mit ihm oder Außenminis­ter Henry Kissinger auszuführe­n. Als Nixon schließlic­h am 9. Februar 1974 mehrere Stunden vor seinem offizielle­n Rücktritt die Air Force One in Richtung Kalifornie­n bestieg, blieb der Atomkoffer im Weißen Haus zurück. Stillschwe­igend wurde er an den designiert­en Nachfolger Gerald Ford übergeben – ein klarer Rechtsbruc­h.

Man kann nur hoffen, dass einer von Trumps Generälen im Falle des Falles den gleichen Mut beweisen würde. Im März 2016, so berichtet der Fernsehmod­erator Joe Scarboroug­h, habe der Immobilien­mogul in einem privaten Gespräch gefragt: „Wenn wir die Atomwaffen haben – warum können wir sie nicht einsetzen?“Die Antwort ist einfach. Sie heißt Hiroshima.

„Es gibt wenig Kontrolle, was verdammt beängstige­nd ist.“James Clapper, Ex-General

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