Der erste Blick ins Licht ist schmerzhaft
Sie war Mozarts Zeitgenossin, hochbegabt und blind: Mit „Licht“verfilmt Barbara Albert die Geschichte von Maria Theresia Paradis.
WIEN. Schon in ihrer Kindheit war Maria Theresia Paradis (gespielt von Maria Dragus) erblindet, doch als junge Frau wurde sie von dem Arzt Franz Anton Mesmer (Devid Striesow) zeitweilig geheilt: Diese erstaunliche Metamorphose beschreibt Alissa Walsers Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“. Barbara Albert hat den Roman nun verfilmt, in klaren, ernsten Bildern, und mit verschmitzten Momenten.
Nach der gefeierten Premiere in San Sebastián kommt „Licht“nun ins Kino: Der Film stellt grundsätzliche Fragen nach dem Menschsein, dem Anderssein, dem Wesen von Genialität – und danach, ob womöglich ein Defizit die Schönheit erst so richtig erblühen lässt. SN: Wie sind Sie auf Maria Theresia Paradis gekommen? Barbara Albert: Ich mochte Alissa Walsers Roman sehr, vor allem wegen der Figur der Resi, die schon dort sehr ambivalent beschrieben ist. Sie ist eine, die manchmal wütend ist, auch aufgrund der strukturellen Gewalt, die ihr angetan wird, denn sie darf sich nicht entfalten, sie wird verhindert – durch die Gesellschaft, ihre Eltern, aber auch durch die Ärzte und die brutalen Kuren, denen sie unterzogen wird. Alles, was an ihr herumgedoktert wird, ist ja nie etwas Selbstgewähltes, sie ist immer nur das Objekt. Und dieses Objekthafte, aus dem sie sich herausschält und zu einem Ich kommt, das hat mich fasziniert. SN: Im Roman hat der Arzt Franz Anton Mesmer mehr Stellenwert als im Film. Ja, da ist es eher die Geschichte der beiden, die in ihrem jeweiligen Inseldasein fast gleichgesetzt werden, diese beiden außergewöhnlichen, hochbegabten Menschen, die in ihrer Zeit nicht verstanden und akzeptiert werden. Wir haben uns aber auf die Resi konzentriert.
Ein Mensch, der blind ist und beginnt, zu sehen, das ist natürlich auch ein Bild für das Kino: Wie schau ich? Da tun sich interessante Fragen auf, die mir als Filmemacherin sehr vertraut sind. SN: „Licht“ist Ihr erster historischer Film. Was hat Sie bewogen, die aufwendige Arbeit an einem Kostümfilm aufzunehmen? Indem ich mich auf eine bestimmte Zeit konzentriere und hier etwas wie in einem Mikrokosmos betrachte, kann ich viel schärfer schauen. Mir geht es in dem Film um die Frage: Was ist der Mensch? Ich mag im Film den Moment so gern, in dem die Resi zum ersten Mal sehend ein Gegenüber erkennt und ganz betroffen sagt: „So ist ein Mensch.“
Das ist für mich ein symbolhafter Satz: Wie ist der Mensch, und was ist das Humane, das Zugewandte, Liebevolle in einer gewaltvollen Gesellschaft? Das gibt es immer, aber es ist einfacher zu beschreiben, wenn ich mir den Mikrokosmos dieser Zeit ansehe. Die Welt hat sich vor allem in den letzten zwei, drei Jahren so wahnsinnig schnell verändert, dass es schwerfällt, einen Film über unsere Gegenwart zu machen und den Kosmos zu finden, in dem ich stellvertretend etwas sagen kann, das mir wichtig ist. Ich habe auch ein Drehbuch geschrieben, das in der Gegenwart spielt, aber das musste ich in den letzten sieben Jahren ständig verändern. SN: Ein zentraler Moment im Film ist, als Resi feststellt, sie kann jetzt sehen – aber sie ist dann nur eine ganz normale Sehende, die vielleicht nicht mehr Klavier spielen kann, und verliert damit zwei wesentliche Marker ihrer Identität. Warum reicht es ihr nicht, ein glückliches sehendes Mädchen zu sein? Das ist etwas, das in unserer Zeit auch so stark ist: Man muss besonders sein und gleichzeitig angepasst. Einerseits weiß sie, dass sie trotzdem eine besondere Begabung hat und aufgrund dessen auch eine gewisse Einsamkeit. Das ist etwas, das mich auch bewegt, diese Frage: „Darf ich anders sein als die anderen, ohne dass ich gleich ein Alien bin?“Ich glaube, so geht es vielen auch als Kind, dass du dich immer an den anderen misst und das Gefühl hast, anders zu sein und darunter zu leiden. Zugleich gibt es den Anspruch, immer außergewöhnlich zu sein, und das ist heute ganz extrem geworden. Die Kids, die sich auf YouTube produzieren, die Stars und sogenannten Influencern nacheifern, das ist so wie bei der Resi, dieser Druck. Du musst heute ganz besonders sein, damit was aus dir wird, und das steckt schon auch in dem Film drin. Das ist ein irrsinniger Druck, den man bei jungen Leuten heute spürt, viel extremer, als es schon mal war, weil du für alles sofort geliked wirst oder eben nicht. Film:
„Der Druck, besonders zu sein, ist groß.“