Salzburger Nachrichten

Der erste Blick ins Licht ist schmerzhaf­t

Sie war Mozarts Zeitgenoss­in, hochbegabt und blind: Mit „Licht“verfilmt Barbara Albert die Geschichte von Maria Theresia Paradis.

- Maria Theresia Paradis (Maria Dragus) wird von Wunderarzt Mesmer (Devid Striesow, r.) behandelt. „Licht“. Literaturv­erfilmung, Ö/D 2017. Regie: Barbara Albert. Mit Maria Dragus, Devid Striesow, Lukas Miko, Katja Kolm u. a. Start: 10. 11.

WIEN. Schon in ihrer Kindheit war Maria Theresia Paradis (gespielt von Maria Dragus) erblindet, doch als junge Frau wurde sie von dem Arzt Franz Anton Mesmer (Devid Striesow) zeitweilig geheilt: Diese erstaunlic­he Metamorpho­se beschreibt Alissa Walsers Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“. Barbara Albert hat den Roman nun verfilmt, in klaren, ernsten Bildern, und mit verschmitz­ten Momenten.

Nach der gefeierten Premiere in San Sebastián kommt „Licht“nun ins Kino: Der Film stellt grundsätzl­iche Fragen nach dem Menschsein, dem Anderssein, dem Wesen von Genialität – und danach, ob womöglich ein Defizit die Schönheit erst so richtig erblühen lässt. SN: Wie sind Sie auf Maria Theresia Paradis gekommen? Barbara Albert: Ich mochte Alissa Walsers Roman sehr, vor allem wegen der Figur der Resi, die schon dort sehr ambivalent beschriebe­n ist. Sie ist eine, die manchmal wütend ist, auch aufgrund der strukturel­len Gewalt, die ihr angetan wird, denn sie darf sich nicht entfalten, sie wird verhindert – durch die Gesellscha­ft, ihre Eltern, aber auch durch die Ärzte und die brutalen Kuren, denen sie unterzogen wird. Alles, was an ihr herumgedok­tert wird, ist ja nie etwas Selbstgewä­hltes, sie ist immer nur das Objekt. Und dieses Objekthaft­e, aus dem sie sich herausschä­lt und zu einem Ich kommt, das hat mich fasziniert. SN: Im Roman hat der Arzt Franz Anton Mesmer mehr Stellenwer­t als im Film. Ja, da ist es eher die Geschichte der beiden, die in ihrem jeweiligen Inseldasei­n fast gleichgese­tzt werden, diese beiden außergewöh­nlichen, hochbegabt­en Menschen, die in ihrer Zeit nicht verstanden und akzeptiert werden. Wir haben uns aber auf die Resi konzentrie­rt.

Ein Mensch, der blind ist und beginnt, zu sehen, das ist natürlich auch ein Bild für das Kino: Wie schau ich? Da tun sich interessan­te Fragen auf, die mir als Filmemache­rin sehr vertraut sind. SN: „Licht“ist Ihr erster historisch­er Film. Was hat Sie bewogen, die aufwendige Arbeit an einem Kostümfilm aufzunehme­n? Indem ich mich auf eine bestimmte Zeit konzentrie­re und hier etwas wie in einem Mikrokosmo­s betrachte, kann ich viel schärfer schauen. Mir geht es in dem Film um die Frage: Was ist der Mensch? Ich mag im Film den Moment so gern, in dem die Resi zum ersten Mal sehend ein Gegenüber erkennt und ganz betroffen sagt: „So ist ein Mensch.“

Das ist für mich ein symbolhaft­er Satz: Wie ist der Mensch, und was ist das Humane, das Zugewandte, Liebevolle in einer gewaltvoll­en Gesellscha­ft? Das gibt es immer, aber es ist einfacher zu beschreibe­n, wenn ich mir den Mikrokosmo­s dieser Zeit ansehe. Die Welt hat sich vor allem in den letzten zwei, drei Jahren so wahnsinnig schnell verändert, dass es schwerfäll­t, einen Film über unsere Gegenwart zu machen und den Kosmos zu finden, in dem ich stellvertr­etend etwas sagen kann, das mir wichtig ist. Ich habe auch ein Drehbuch geschriebe­n, das in der Gegenwart spielt, aber das musste ich in den letzten sieben Jahren ständig verändern. SN: Ein zentraler Moment im Film ist, als Resi feststellt, sie kann jetzt sehen – aber sie ist dann nur eine ganz normale Sehende, die vielleicht nicht mehr Klavier spielen kann, und verliert damit zwei wesentlich­e Marker ihrer Identität. Warum reicht es ihr nicht, ein glückliche­s sehendes Mädchen zu sein? Das ist etwas, das in unserer Zeit auch so stark ist: Man muss besonders sein und gleichzeit­ig angepasst. Einerseits weiß sie, dass sie trotzdem eine besondere Begabung hat und aufgrund dessen auch eine gewisse Einsamkeit. Das ist etwas, das mich auch bewegt, diese Frage: „Darf ich anders sein als die anderen, ohne dass ich gleich ein Alien bin?“Ich glaube, so geht es vielen auch als Kind, dass du dich immer an den anderen misst und das Gefühl hast, anders zu sein und darunter zu leiden. Zugleich gibt es den Anspruch, immer außergewöh­nlich zu sein, und das ist heute ganz extrem geworden. Die Kids, die sich auf YouTube produziere­n, die Stars und sogenannte­n Influencer­n nacheifern, das ist so wie bei der Resi, dieser Druck. Du musst heute ganz besonders sein, damit was aus dir wird, und das steckt schon auch in dem Film drin. Das ist ein irrsinnige­r Druck, den man bei jungen Leuten heute spürt, viel extremer, als es schon mal war, weil du für alles sofort geliked wirst oder eben nicht. Film:

„Der Druck, besonders zu sein, ist groß.“

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Barbara Albert, Regisseuri­n

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