Da fehlen noch einige klärende Worte
Klar ist, dass die türkis-blauen Regierungsgespräche gut laufen. Unklar ist, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist.
Die derzeit laufenden Regierungsverhandlungen scheinen von einem völlig neuen Realismus durchweht zu werden. Darauf deutet eine Aussage hin, die FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am Samstag beim „Politischen Martini“der Freiheitlichen in Mils bei Imst von sich gegeben hat. Im Regierungsprogramm, sagte Strache, werde „50 Prozent tiefblaue, freiheitliche Handschrift vorhanden sein“.
Das klingt beim ersten Hinhören ein wenig nach No na, schließlich kann kein vernünftiger Mensch erwarten, dass in einer Zwei-ParteienKoalition eine der Parteien ihre Vorstellungen zu 100 Prozent durchsetzt. Das Problem vieler früherer Koalitionen bestand freilich darin, dass etliche ihrer Funktionäre exakt diese absurde Vorstellung hatten. Und die Verhandlungsführer für jeden Kompromiss, der sie von ihrem überzogenen 100-Prozent-Ziel wegführte, von ihren eigenen Sympathisanten erbarmungslos geprügelt wurden. Man erinnere sich an den Jänner 2007, als Alfred Gusenbauer für die SPÖ das Kanzleramt zurückgewonnen hatte. Statt es ihm zu danken, empörte sich die SPÖ-Jugend heftig über den Umstand, dass es dem neuen Kanzler nicht gelungen war, in den Verhandlungen mit der ÖVP die Studiengebühren abzuschaffen. Als das Kabinett Gusenbauer zur Angelobung schritt, flogen Eier über den Ballhausplatz. Weil etliche seiner Anhänger nicht begriffen hatten, dass eine Koalition keine Alleinherrschaft ist, sondern aus Kompromissen besteht. An diesem Missverständnis ist seither so gut wie jede Koalition auf Bundesebene gescheitert.
Wenn FPÖ-Chef Strache seine Anhänger nun also vorsorglich auf nur 50 Prozent freiheitliche Handschrift einstimmt und diese ihn nicht von der Bühne pfeifen, deutet das darauf hin, dass der Abschluss der geplanten Koalition wohl nur noch Formsache ist.
Freilich weiß man nicht, ob das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Zwar sind die Freiheitlichen seit geraumer Zeit emsig darum bemüht, Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, doch blitzen ständig neue Belege der alten Regierungs-Unfähigkeit hervor. Zuletzt am vergangenen Donnerstag, als Bundeskanzler Christian Kern bei der konstituierenden Nationalratssitzung des Novemberpogroms gedachte, der auf den Tag vor 79 Jahren von nationalsozialistischer Hand Tod und Gewalt über die Juden im „Deutschen Reich“, also auch in Österreich gebracht hatte. „Ausgrenzung, die Suche von Sündenböcken, Rassismus und die Mobilisierung niedriger Instinkte dürfen in der Politik keinen Platz haben“, sagte Kern. Alle applaudierten. Nur die Freiheitlichen nicht, die mit steinernen Mienen dasaßen. Regierungsfähig? Kann man einer solchen Partei, da sie ja nach dem Innenministerium greift, die Polizei anvertrauen? Kann man einen Angehörigen dieser Partei als Außenminister nach Berlin, Brüssel, Jerusalem, Washington schicken? Kann man einer Partei, die das Kanzler-Gedenken an den Judenmord nicht einmal ignorierte, eines der Bildungsressorts in die Hand geben? Sebastian Kurz wird diese Frage zu beantworten – und auch zu verantworten – haben.
Und Heinz-Christian Strache wird nicht umhinkommen, sich von alten, unerträglichen Verhaltensweisen und Denkmustern zu distanzieren. Wobei betont werden muss: Es geht nicht darum, welche Gesinnung ein Freiheitlicher, den es heute in die Regierung drängt, als 20-jähriger Heißsporn hatte. Es geht darum, welche Gesinnung er heute hat. Die Dinge werden nicht erleichtert durch den Umstand, dass die freiheitlichen EU-Mandatare Mitglied der rechtspopulistischen ENF-Fraktion sind, der auch Erscheinungen wie der Vlaams Belang und der Front National angehören.
Dabei gibt es noch etliche weit banalere Probleme, die eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zur schwierigen Übung machen. Auch hier ist ein Blick zurück hilfreich: Als die FPÖ 2000 in die Regierung eintrat, scheiterten etliche der blauen Minister bereits nach wenigen Monaten. Namen wie Elisabeth Sickl (Sozialministerin), Michael Schmid, Monika Forstinger und Mathias Reichhold (allesamt Infrastrukturminister) oder gar Michael Krüger (der kürzest dienende Justizminister) sind heute nur noch Insidern bekannt. Sie alle verschwanden in Rekordtempo wieder in der Versenkung. Zum Teil wegen persönlicher Unfähigkeit. Zum Teil aber auch, weil sie sich in ihren Ministerien einer unfreundlich gesinnten Beamtenschaft gegenübersahen. Die Transformation von der Oppositionszur Regierungspartei ist schwieriger, als sich das manch oppositioneller Feuergeist ausmalen mag. Ein Freiheitlicher, der ein ehedem schwarzes oder – noch schlimmer – rotes Ressort als Minister übernimmt, muss doppelt so kompetent und sozial intelligent sein wie ein Minister der herkömmlichen Parteifarbe. Solche Leute sind schwer zu finden. Nicht nur in der FPÖ.
Sollte die FPÖ diese Leute nicht finden, ist das ihr Problem. Sollte sie hingegen die geeignete historisch-politische Einstellung nicht finden, ist das ein Problem des ganzen Landes.
Ein verweigerter Applaus als Problemfall