Salzburger Nachrichten

Da fehlen noch einige klärende Worte

Klar ist, dass die türkis-blauen Regierungs­gespräche gut laufen. Unklar ist, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist.

- KLAR TEXT Andreas Koller

Die derzeit laufenden Regierungs­verhandlun­gen scheinen von einem völlig neuen Realismus durchweht zu werden. Darauf deutet eine Aussage hin, die FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am Samstag beim „Politische­n Martini“der Freiheitli­chen in Mils bei Imst von sich gegeben hat. Im Regierungs­programm, sagte Strache, werde „50 Prozent tiefblaue, freiheitli­che Handschrif­t vorhanden sein“.

Das klingt beim ersten Hinhören ein wenig nach No na, schließlic­h kann kein vernünftig­er Mensch erwarten, dass in einer Zwei-ParteienKo­alition eine der Parteien ihre Vorstellun­gen zu 100 Prozent durchsetzt. Das Problem vieler früherer Koalitione­n bestand freilich darin, dass etliche ihrer Funktionär­e exakt diese absurde Vorstellun­g hatten. Und die Verhandlun­gsführer für jeden Kompromiss, der sie von ihrem überzogene­n 100-Prozent-Ziel wegführte, von ihren eigenen Sympathisa­nten erbarmungs­los geprügelt wurden. Man erinnere sich an den Jänner 2007, als Alfred Gusenbauer für die SPÖ das Kanzleramt zurückgewo­nnen hatte. Statt es ihm zu danken, empörte sich die SPÖ-Jugend heftig über den Umstand, dass es dem neuen Kanzler nicht gelungen war, in den Verhandlun­gen mit der ÖVP die Studiengeb­ühren abzuschaff­en. Als das Kabinett Gusenbauer zur Angelobung schritt, flogen Eier über den Ballhauspl­atz. Weil etliche seiner Anhänger nicht begriffen hatten, dass eine Koalition keine Alleinherr­schaft ist, sondern aus Kompromiss­en besteht. An diesem Missverstä­ndnis ist seither so gut wie jede Koalition auf Bundeseben­e gescheiter­t.

Wenn FPÖ-Chef Strache seine Anhänger nun also vorsorglic­h auf nur 50 Prozent freiheitli­che Handschrif­t einstimmt und diese ihn nicht von der Bühne pfeifen, deutet das darauf hin, dass der Abschluss der geplanten Koalition wohl nur noch Formsache ist.

Freilich weiß man nicht, ob das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Zwar sind die Freiheitli­chen seit geraumer Zeit emsig darum bemüht, Regierungs­fähigkeit unter Beweis zu stellen, doch blitzen ständig neue Belege der alten Regierungs-Unfähigkei­t hervor. Zuletzt am vergangene­n Donnerstag, als Bundeskanz­ler Christian Kern bei der konstituie­renden Nationalra­tssitzung des Novemberpo­groms gedachte, der auf den Tag vor 79 Jahren von nationalso­zialistisc­her Hand Tod und Gewalt über die Juden im „Deutschen Reich“, also auch in Österreich gebracht hatte. „Ausgrenzun­g, die Suche von Sündenböck­en, Rassismus und die Mobilisier­ung niedriger Instinkte dürfen in der Politik keinen Platz haben“, sagte Kern. Alle applaudier­ten. Nur die Freiheitli­chen nicht, die mit steinernen Mienen dasaßen. Regierungs­fähig? Kann man einer solchen Partei, da sie ja nach dem Innenminis­terium greift, die Polizei anvertraue­n? Kann man einen Angehörige­n dieser Partei als Außenminis­ter nach Berlin, Brüssel, Jerusalem, Washington schicken? Kann man einer Partei, die das Kanzler-Gedenken an den Judenmord nicht einmal ignorierte, eines der Bildungsre­ssorts in die Hand geben? Sebastian Kurz wird diese Frage zu beantworte­n – und auch zu verantwort­en – haben.

Und Heinz-Christian Strache wird nicht umhinkomme­n, sich von alten, unerträgli­chen Verhaltens­weisen und Denkmuster­n zu distanzier­en. Wobei betont werden muss: Es geht nicht darum, welche Gesinnung ein Freiheitli­cher, den es heute in die Regierung drängt, als 20-jähriger Heißsporn hatte. Es geht darum, welche Gesinnung er heute hat. Die Dinge werden nicht erleichter­t durch den Umstand, dass die freiheitli­chen EU-Mandatare Mitglied der rechtspopu­listischen ENF-Fraktion sind, der auch Erscheinun­gen wie der Vlaams Belang und der Front National angehören.

Dabei gibt es noch etliche weit banalere Probleme, die eine Regierungs­beteiligun­g der FPÖ zur schwierige­n Übung machen. Auch hier ist ein Blick zurück hilfreich: Als die FPÖ 2000 in die Regierung eintrat, scheiterte­n etliche der blauen Minister bereits nach wenigen Monaten. Namen wie Elisabeth Sickl (Sozialmini­sterin), Michael Schmid, Monika Forstinger und Mathias Reichhold (allesamt Infrastruk­turministe­r) oder gar Michael Krüger (der kürzest dienende Justizmini­ster) sind heute nur noch Insidern bekannt. Sie alle verschwand­en in Rekordtemp­o wieder in der Versenkung. Zum Teil wegen persönlich­er Unfähigkei­t. Zum Teil aber auch, weil sie sich in ihren Ministerie­n einer unfreundli­ch gesinnten Beamtensch­aft gegenübers­ahen. Die Transforma­tion von der Opposition­szur Regierungs­partei ist schwierige­r, als sich das manch opposition­eller Feuergeist ausmalen mag. Ein Freiheitli­cher, der ein ehedem schwarzes oder – noch schlimmer – rotes Ressort als Minister übernimmt, muss doppelt so kompetent und sozial intelligen­t sein wie ein Minister der herkömmlic­hen Parteifarb­e. Solche Leute sind schwer zu finden. Nicht nur in der FPÖ.

Sollte die FPÖ diese Leute nicht finden, ist das ihr Problem. Sollte sie hingegen die geeignete historisch-politische Einstellun­g nicht finden, ist das ein Problem des ganzen Landes.

Ein verweigert­er Applaus als Problemfal­l

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Wie regierungs­fähig sind Heinz-Christian Strache und seine Partei?
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