Die Kammern können auch ohne Pflichtmitglieder überleben
Die Kammern sind nicht Teil des Staates. Sondern Interessenvertretungen wie andere auch.
Angenommen, Sie sind Bäcker und alle Haushalte in der Umgebung sind gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Semmeln nur bei Ihnen zu kaufen. Würden Sie sich dann täglich darum bemühen, die allerbesten Semmeln herzustellen? Wenn Sie ein Heiliger sind, schon. Wenn nicht, dann eher nicht.
Das ist nur eines der Argumente, die gegen die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern ins Treffen geführt werden können. Wenn die Wirtschafts-, Arbeiter- und sonstigen Kammern wirklich einen so guten Service bieten, wie sie behaupten, würden sie auch ohne Pflichtmitgliedschaft kein einziges Mitglied verlieren. Wenn nicht, dann schon.
In Zeiten, in denen alles frei, fair, transparent und ohne Zwang sein soll, ist es erstaunlich, wie lange es die Kammern geschafft haben, die Pflichtmitgliedschaft zu verteidigen. Mit einer neuen Regierung, die angeblich alles neu machen möchte und gemeinsam mit den Neos auch über die notwendige Verfassungsmehrheit verfügt, könnte sich das ändern. Erstmals besteht die realistische Chance, dass das passiert, wofür der Salzburger Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn eigenen Angaben zufolge auf die Welt gekommen ist: die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft.
In Zeiten, in denen jeder frei wählen kann, ob und welcher Kirche er angehört, wäre es absurd, den Kammermitgliedern diese Wahlmöglichkeit zu verweigern. Die Kammern sind nicht Teil des Staates, der zu Recht eine Pflicht zur Teilnahme an seinem Steuer- und Schulsystem, teilweise auch an der Landesverteidigung konstituiert hat.
Die Kammern sollen Interessenvertretungen sein wie andere auch. Die Autofahrerclubs ÖAMTC und ARBÖ zeigen, dass man auch ohne Pflichtmitgliedschaft Millionen Mitglieder hinter sich scharen und eine wirksame Interessenvertretung organisieren kann.
Die Autofahrerclubs haben diese Millionen Mitglieder übrigens trotz des Umstandes, dass alle wissen, was die Mitgliedschaft kostet. Die Arbeitnehmer hingegen wissen nicht, was sie die Pflichtmitgliedschaft bei der Arbeiterkammer kostet. Die Beiträge werden automatisch vom Lohn abgezogen, sind auf dem Lohnzettel aber nicht ausgewiesen. Warum nicht?
Dass die Kammern ohne die Einnahmen aus der Pflichtmitgliedschaft ihre Serviceleistungen einschränken müssten, wird zwar mitunter angedroht bzw. befürchtet, ist aber nicht zwingend der Fall. Denn erstens können die Kammern ja – siehe oben – ihre Mitglieder durch überzeugende Leistungen zum Bleiben und Beiträge-Zahlen bewegen. Zweitens gibt es gewiss interne Einsparungsmöglichkeiten (etwa bei den Sonderpensionsregelungen einzelner Kammern). Und drittens verfügen die großen Kammern über Rücklagen in dreistelliger Millionenhöhe. Sie können also auch ohne Pflichtmitgliedschaft überleben.