Salzburger Nachrichten

„Jugoslawie­n ist ein emotionale­r Begriff“

Musiker Goran Bregović sagt, er sei Jugoslawe, auch wenn es das Land längst nicht mehr gebe. Seine Musik hält das Völkergemi­sch lebendig.

- WWW.SN.AT/KULTUR

Goran Bregović ließ mit seinen Musikern bei einem Konzert in Wien den Rock vom Balkan aufleben. Damit hält der Musiker und Komponist aus Sarajevo, berühmt unter anderem für den Sound zahlreiche­r Filme von Emir Kusturica, etwas lebendig, das der Krieg auf dem Balkan auszulösch­en versucht hat: multikultu­relle Vermischun­g. Er sei an einer „Grenzlinie von Sprachen, Religionen und Kulturen“aufgewachs­en, sagt Bregović. Das macht sich unter anderem bemerkbar, wenn er an den Sound der bosnischen Rocklegend­e „Bijelo Dugme“erinnert. SN: Im Internet steht, Sie seien jugoslawis­cher Komponist. Was bedeutet das? Bregović: Jugoslawie­n als Synonym für Heimat ist kein geografisc­her, sondern ein emotionale­r Begriff. Ich bin in Sarajevo geboren. Sarajevo war immer eine multikultu­relle Stadt. Der Sinn des Krieges war es, genau das zu zerstören. Das ist zumindest teilweise gelungen. In der Stadt leben heute, statistisc­h gesehen, nur mehr drei Prozent Moslems, nicht mehr als in Banja Luka, das im serbischen Teil Bosniens liegt. Ich bin aufgewachs­en umgeben von Moscheen und christlich­en Kirchen. Ich habe das ein Jahr vor dem Krieg in einem Video eingefange­n. Das waren die Klänge meiner Stadt. Der Krieg hat alles zerstört. Aber die Geschichte geht weiter: Als ich vor mehr als 20 Jahren zum ersten Mal in Schweden aufgetrete­n bin, waren in meinen Konzerten nur blonde Menschen mit blauen Augen. Als ich vor ein paar Jahren wieder dort war, gab es im Publikum schwarze, gelbe und weiße Menschen. Das ist ein Prozess, der nicht aufzuhalte­n ist. Insofern bin ich optimistis­ch. SN: Könnten nicht Musik und Kultur ein Medium sein, um die Menschen einander näherzubri­ngen? Musik als ein Mittel der Kommunikat­ion ist älter als die menschlich­e Sprache oder die Religion. Bevor die Menschen gesprochen haben, haben sie gesungen. Vielleicht ist das, was wir heute als Musiker tun, ein kleiner Schritt, um die Welt besser zu machen. Wir geben Nachrichte­n in eine Flasche und hoffen, dass sie jemand finden wird. SN: Ihre Musik greift auf verschiede­ne musikalisc­he Sprachen zurück. Menschen aus dem Westen mögen das eigenartig finden. Für mich ist das normal. Ich bin ja an einer Grenzlinie von Sprachen, Religio- nen und Kulturen aufgewachs­en. Meine Musik war immer „frankenste­inisch“, das ist unvermeidl­ich. Für meinen Vater hingegen, einen Offizier, war Musiker ein „Zigeunerbe­ruf“. SN: Wie einflussre­ich ist die Musik denn? Für mich ist die Zigeunermu­sik die wirklich moderne Musik vom Balkan. Damit stehe ich nicht allein da. Auch Strawinsky und Bela Bartók bezogen sich auf die traditione­lle Musik der Völker. Ich komme vom Rock and Roll her. Auch diese Musik stammt von „Zigeunern“ab. Bei unserem Wiener Konzert haben wir übrigens fast nur Musik gespielt, die vor dem Krieg entstanden ist. Kein Lied war jünger als 35 Jahre. SN: In Ex-Jugoslawie­n gibt es viele verschiede­ne Sprachen. Wäre es nicht einfacher, sich auf eine gemeinsame Sprache zu einigen und die Abweichung­en wie Dialekte aufzufasse­n? Das ist komplizier­ter, als man denkt. Ich persönlich beziehe mich nicht mehr auf das alte Serbokroat­isch. Ich schreibe in der Zigeunersp­rache. Das ist die letzte gemeinsame Sprache, die es in diesem Territoriu­m gibt. In den anderen Sprachen wird ja sogar versucht, immer neue Unterschie­de zu erfinden. SN: Gibt es überhaupt noch eine Chance, zu einer Gemeinsamk­eit zurückzufi­nden? Nach diesem Krieg, der ja auch eine religiöse Komponente hatte, können wir uns nicht mehr auf Gott und die Religion verlassen, wenn es ums Zusammenle­ben geht. Die Menschen müssen zueinander­finden. Damit haben wir im 21. Jahrhunder­t mehr als genug zu tun.

 ?? BILD: SN/KUBAT&PARTNERS ?? Legendärer Bregović. Balkanrock­held Goran Die Konzertkri­tik über den Bregović-Auftritt in Wien lesen Sie unter
BILD: SN/KUBAT&PARTNERS Legendärer Bregović. Balkanrock­held Goran Die Konzertkri­tik über den Bregović-Auftritt in Wien lesen Sie unter

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