Salzburger Nachrichten

Im Schatten von Vaters Sprachlosi­gkeit

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„Ich habe das Dorf kaputt geschriebe­n“, heißt es in Josef Winklers „Laß dich heimgeigen Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe“. Der Theatertex­t hatte am Freitag im Kasino am Schwarzenb­ergplatz Uraufführu­ng. In Briefform richtet sich der Icherzähle­r an den Vater, der durch Schweigen, Brutalität und Engstirnig­keit Leben und Schreiben Winklers dominierte.

„Du stehst uns quer“, warf Winklers Mutter dem Buben vor, der nicht gehorchte und früh alles, was unter den Teppich gekehrt wurde, auf Papier brachte. Dazu gehört einerseits die nicht nur im Kärntner Drautal (Winklers Heimat) vorherrsch­ende Homophobie, die Winkler für den Suizid zweier Nachbarsbu­rschen verantwort­lich macht, dazu gehören auch der Antisemiti­smus und das Schweigen über den SSMann und Massenmörd­er Odilo Globocnik. Er brachte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs um. Seine Leiche wurde auf dem sogenannte­n Sautratten in Winklers Heimatgeme­inde Paternion verscharrt. Alle sollen davon gewusst haben. Keiner hat davon erzählt. Dafür klagt Winkler seinen Vater an.

Wie viele andere arbeitete er auf dem Gemeinscha­ftsacker Sautratten. Das Getreide, das dort wuchs, bildete nicht zuletzt die Grundlage für das Brot der Drautaler. Auf welchem Boden wuchsen die Kinder der 1950er- und 1960er-Jahre auf, mit welcher (geistigen) Nahrung wurden sie großgezoge­n?

Winkler verweigert­e das Essen, die Sprache allerdings verschlug es ihm nicht. Seit Erscheinen seines Romans „Menschenki­nd“(1979) schreibt er über das Töten und das Schweigen darüber, über patriarcha­le Systeme und die Scheinheil­igkeit streng religiöser Erziehung.

Die katalanisc­he Regisseuri­n Alia Luque findet für den atemlos daherkomme­nden, neuen Text keine szenische Form. Sie flüchtet in eine seltsame, banale Choreograf­ie für fünf Darsteller, die als Winkler-Alter-Ego in verschiede­nen Lebensphas­en auftreten. Tobias Wolfsegger ist als Kind zu sehen, Tino Hillebrand als aufmüpfige­r Jugendlich­er,

Regisseuri­n findet keine passende Form

Leon Haller als junger Autor und Branko Samarovski als der heutige Winkler. Marcus Kiepe ist als Chanteuse der 1960er-Jahre kostümiert, als Doppelgäng­er u. a. von Dalida, France Gall und Mireille Mathieu. Ein alter Fernsehapp­arat zeigt sie alle, von einer besseren Welt singend. Die Fernsehbil­der lenken von den Katastroph­en ab. Sie lenken aber auch vom Text ab und vom Spiel der Akteure, die zumeist kalt, manchmal künstlich überzogen Winklers radikale Anklage sprechen. Diese klingt im Kasino geradezu beiläufig, manchmal ironisch. Doch ironisch ist hier nichts gemeint. Nach zwei viel zu langen Stunden erntete der anwesende Josef Winkler viel Applaus, für die Regie gab es höflichen Beifall.

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BILD: SN/R. WERNER/BT Winkler-Uraufführu­ng: Szenisch nichts, sprachlich groß.

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