Salzburger Nachrichten

Wie der rote Traum platzte

Der Journalist Markus Huber begleitete den Nochbundes­kanzler Christian Kern während des Wahlkampfs. Das Buch „Die letzte Ausfahrt“zeigt die Brutalität eines Wahlkampfs und geht der Frage nach, warum die SPÖ die Wahl verlor.

- BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Markus Huber: Die letzte Ausfahrt, 116 Seiten, Fleisch Verlag, Wien 2017, erhältlich unter REDAKTION@FLEISCHMAG­AZIN.AT

Christian Kern sitzt bei einer Autogramms­tunde in St. Pölten und fast niemand kommt. Damit die Sache nicht ganz so peinlich ist, stellt sich der St. Pöltner Bürgermeis­ter, ein Sozialdemo­krat, gleich zwei Mal um ein Autogramm an. Das ist nur eine Anekdote, die der Journalist Markus Huber in seinem Buch „Die letzte Ausfahrt“erzählt.

Sechs Wochen begleitet er den Nochbundes­kanzler im Wahlkampf. Wir alle wissen, wie die Geschichte für Kern ausgegange­n ist. Umso spannender ist der schonungsl­ose Blick hinter die Kulissen der österreich­ischen Politik. SN: Sie schreiben, dass Christian Kern wahrschein­lich der beste Bundeskanz­ler war, den Österreich bisher hatte, und er aber ein entscheide­ndes Problem hatte. Welches wäre das? Huber: Die Bezeichnun­g der beste Kanzler ist sicher überspitzt, er ist der beste Kanzler aus meiner Perspektiv­e. Ein Bauernbünd­ler aus dem Rauriserta­l sieht das wahrschein­lich anders. Aber so wie Kern an Probleme herangegan­gen ist – analytisch, organisier­t –, so stelle ich mir einen Politiker vor. Kerns Problem ist aber, dass er unsicherer ist als andere Politiker. Das führte zum Beispiel zu dem Missgriff bei den Beratern. SN: Hat Christian Kern tatsächlic­h dieses Glaskinn, das ihm im Wahlkampf zugeschrie­ben wurde? Er wirkt eitel und er kann nicht gut damit umgehen, dass ihn längst nicht alle so gut finden, wie er denkt. Die meisten anderen Politiker können wahrschein­lich mit Gegenwind besser umgehen als er. SN: Sie kennen die österreich­ische Politik schon lang, haben viele Wahlkämpfe miterlebt, was hat Sie bei der Reportage überrascht? Welche Ausdauer Kandidaten haben müssen. Kerns Team hat ihn in den ersten Wochen so müdegefahr­en, dass er zum Beginn des Intensivwa­hlkampfs schon ausgebrann­t wirkte. 6000 Kilometer in einem Tourbus innerhalb weniger Tage zurückzule­gen ist kein Spaß. Dazu kommt, dass die Auftritte oft deprimiere­nd waren, weil sie oft vor wenigen Leuten stattgefun­den haben. Drei Stunden Busfahrt für einen Auftritt vor 30 Leuten, das geht an die Substanz. SN: Hat Sie das Wahlergebn­is überrascht, nachdem Sie der SPÖ so nahe gekommen sind? Ja, man verliert bei so einer langen Reportage teilweise den objektiven Blick. Wenn dir der Bundeskanz­ler drei Tage vor der Wahl sagt, dass es Umfragen gibt, die ein knappes Ergebnis voraussage­n, und man das immer und immer wieder hört, dann glaubt man das irgendwann. In den Wahlkampft­eams herrscht eine eigene Realität. SN: Wann hat Kern verloren? Schon am Beginn. Ich glaube, er hätte diesen Wahlkampf nie gewinnen können. Er hat diesen diffusen Wunsch nach Veränderun­g, der in diesem Land herrscht, nicht richtig eingeschät­zt. SN: Sie beschreibe­n, wie sehr Politiker von einer Blase an PR-Leuten und Beratern umgeben sind. Haben Politiker den Bezug zur Realität verloren? Einer der Hauptsätze, die man in einem Wahlkampf hört, ist: „Die Umfragen sind egal, die Menschen auf der Straße wollen ganz etwas anderes.“Die Wahrheit ist, dass Umfragen für die Wahlkämpfe­nden alles sind. Natürlich schütteln Politiker Tausende Hände, aber was bekommt man da schon mit? Ich war bei Telefonkon­ferenzen dabei, bei denen über 300 Parteimitg­lieder zugeschalt­et waren, um dem Spitzenkan­didaten die Stimmung aus der Bevölkerun­g näherzubri­ngen. Aber die Frage ist, ob man dort nicht einfach das hört, was Kandidaten hören wollen. Nämlich: Mach so weiter. SN: In dem Buch beschreibe­n Sie, wie der Tourbus von Kern vor einem TV-Duell gegen Kurz auf dem Pannenstre­ifen wartet, um den Bus seines Gegners vorfahren zu lassen. Zuvor wurde eine Reihenfolg­e festgelegt, wer vor dem TVStudio als Erster ankommen darf. Ist die Politik tatsächlic­h so überinszen­iert? Natürlich ist Wahlkampf eine Show. Gerade bei den Fernsehauf­tritten wurden auch immer die Bilder von der Ankunft der Kandidaten gezeigt. Und das ist vielleicht noch das Harmlosere. Bei der letzten Bundespräs­identenwah­l mussten die Kandidaten live kochen und einen Englischte­st bestehen. Spätestens da haben wir Grenzen in der Inszenieru­ng überschrit­ten. Heute will man die Politiker bluten sehen. SN: Ein Ratschlag an Kern? Kern sollte einmal richtig sauer sein. Der hat sich so unglaublic­h unter Kontrolle, das kann nicht gesund sein.

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Politik als Show: Christian Kern vor einem TV-Duell im Wahlkampf.
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