Wie der rote Traum platzte
Der Journalist Markus Huber begleitete den Nochbundeskanzler Christian Kern während des Wahlkampfs. Das Buch „Die letzte Ausfahrt“zeigt die Brutalität eines Wahlkampfs und geht der Frage nach, warum die SPÖ die Wahl verlor.
Christian Kern sitzt bei einer Autogrammstunde in St. Pölten und fast niemand kommt. Damit die Sache nicht ganz so peinlich ist, stellt sich der St. Pöltner Bürgermeister, ein Sozialdemokrat, gleich zwei Mal um ein Autogramm an. Das ist nur eine Anekdote, die der Journalist Markus Huber in seinem Buch „Die letzte Ausfahrt“erzählt.
Sechs Wochen begleitet er den Nochbundeskanzler im Wahlkampf. Wir alle wissen, wie die Geschichte für Kern ausgegangen ist. Umso spannender ist der schonungslose Blick hinter die Kulissen der österreichischen Politik. SN: Sie schreiben, dass Christian Kern wahrscheinlich der beste Bundeskanzler war, den Österreich bisher hatte, und er aber ein entscheidendes Problem hatte. Welches wäre das? Huber: Die Bezeichnung der beste Kanzler ist sicher überspitzt, er ist der beste Kanzler aus meiner Perspektive. Ein Bauernbündler aus dem Raurisertal sieht das wahrscheinlich anders. Aber so wie Kern an Probleme herangegangen ist – analytisch, organisiert –, so stelle ich mir einen Politiker vor. Kerns Problem ist aber, dass er unsicherer ist als andere Politiker. Das führte zum Beispiel zu dem Missgriff bei den Beratern. SN: Hat Christian Kern tatsächlich dieses Glaskinn, das ihm im Wahlkampf zugeschrieben wurde? Er wirkt eitel und er kann nicht gut damit umgehen, dass ihn längst nicht alle so gut finden, wie er denkt. Die meisten anderen Politiker können wahrscheinlich mit Gegenwind besser umgehen als er. SN: Sie kennen die österreichische Politik schon lang, haben viele Wahlkämpfe miterlebt, was hat Sie bei der Reportage überrascht? Welche Ausdauer Kandidaten haben müssen. Kerns Team hat ihn in den ersten Wochen so müdegefahren, dass er zum Beginn des Intensivwahlkampfs schon ausgebrannt wirkte. 6000 Kilometer in einem Tourbus innerhalb weniger Tage zurückzulegen ist kein Spaß. Dazu kommt, dass die Auftritte oft deprimierend waren, weil sie oft vor wenigen Leuten stattgefunden haben. Drei Stunden Busfahrt für einen Auftritt vor 30 Leuten, das geht an die Substanz. SN: Hat Sie das Wahlergebnis überrascht, nachdem Sie der SPÖ so nahe gekommen sind? Ja, man verliert bei so einer langen Reportage teilweise den objektiven Blick. Wenn dir der Bundeskanzler drei Tage vor der Wahl sagt, dass es Umfragen gibt, die ein knappes Ergebnis voraussagen, und man das immer und immer wieder hört, dann glaubt man das irgendwann. In den Wahlkampfteams herrscht eine eigene Realität. SN: Wann hat Kern verloren? Schon am Beginn. Ich glaube, er hätte diesen Wahlkampf nie gewinnen können. Er hat diesen diffusen Wunsch nach Veränderung, der in diesem Land herrscht, nicht richtig eingeschätzt. SN: Sie beschreiben, wie sehr Politiker von einer Blase an PR-Leuten und Beratern umgeben sind. Haben Politiker den Bezug zur Realität verloren? Einer der Hauptsätze, die man in einem Wahlkampf hört, ist: „Die Umfragen sind egal, die Menschen auf der Straße wollen ganz etwas anderes.“Die Wahrheit ist, dass Umfragen für die Wahlkämpfenden alles sind. Natürlich schütteln Politiker Tausende Hände, aber was bekommt man da schon mit? Ich war bei Telefonkonferenzen dabei, bei denen über 300 Parteimitglieder zugeschaltet waren, um dem Spitzenkandidaten die Stimmung aus der Bevölkerung näherzubringen. Aber die Frage ist, ob man dort nicht einfach das hört, was Kandidaten hören wollen. Nämlich: Mach so weiter. SN: In dem Buch beschreiben Sie, wie der Tourbus von Kern vor einem TV-Duell gegen Kurz auf dem Pannenstreifen wartet, um den Bus seines Gegners vorfahren zu lassen. Zuvor wurde eine Reihenfolge festgelegt, wer vor dem TVStudio als Erster ankommen darf. Ist die Politik tatsächlich so überinszeniert? Natürlich ist Wahlkampf eine Show. Gerade bei den Fernsehauftritten wurden auch immer die Bilder von der Ankunft der Kandidaten gezeigt. Und das ist vielleicht noch das Harmlosere. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl mussten die Kandidaten live kochen und einen Englischtest bestehen. Spätestens da haben wir Grenzen in der Inszenierung überschritten. Heute will man die Politiker bluten sehen. SN: Ein Ratschlag an Kern? Kern sollte einmal richtig sauer sein. Der hat sich so unglaublich unter Kontrolle, das kann nicht gesund sein.