Rudolf R., der unbekannte Kanzler aus Salzburg
Nazis, Sparkurs, Semmelpreis. – Welche Probleme ein österreichischer Regierungschef vor 90 Jahren zu lösen hatte.
Österreichischer Bundeskanzler, eher kurze Amtszeit, mit Wurzeln in der Salzburger Landespolitik? – Josef Klaus, würde jeder antworten. Stimmt, aber es gibt noch eine zweite Antwort. Sie lautet Rudolf Ramek.
Kaum jemand kennt den Mann, der 1924 bis 1926 Österreichs Regierungschef war. Der Historiker Franz Schausberger möchte dies mit seinem neuen Buch ändern. Auf 900 Seiten schildert der frühere Salzburger Landeshauptmann das Wirken von Rudolf Ramek – einem Konsenspolitiker, der das Pech hatte, in einer Zeit zu wirken, in der nicht Konsens, sondern Konfrontation an der Tagesordnung stand.
Ramek wird 1881 im schlesischen Teschen geboren, 1909 kommt er als Rechtsanwalt nach Salzburg. Hier lernt der CVer seinen späteren Mentor Ignaz Seipel kennen. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem Ramek als Offizier teilnimmt, steigt er in die Politik ein, wird Landesparteiobmann der Salzburger Christlichsozialen und 1919 zum ersten Mal nach Wien berufen, und zwar als Staatssekretär für Justiz.
Es folgen Kurzauftritte als Justiz-, Innen- und Unterrichtsminister. Die Regierungen wechseln in dieser hektischen Zeit im Halbjahrestakt. Als Kanzler Seipel 1924 wegen des Widerstands der Länder gegen eine zentralistische Verwaltungsreform das Handtuch wirft, schlägt er Ramek als seinen Nachfolger vor. Dieser übernimmt eine Koalition von Christlich-Sozialen und Großdeutschen. Heute würde man von einer schwarz-blauen Koalition sprechen. Die Sozialdemokraten haben sich längst in die Fundamentalopposition zurückgezogen. Von Anfang an bespötteln sie Rameks „Telefonregierung“, die ihre Befehle von Seipel empfange, der weiterhin die Fäden ziehe. In den Karikaturen der „Arbeiterzeitung“wird Ramek gern als Provinzler in Trachtenjanker und Bergschuhen gezeichnet, der wie ein dummes Kind auf dem viel zu großen Kanzlersessel sitzt.
Doch das vermeintliche Kind muss ungeheure Aufgaben stemmen. 1922 hatte das praktisch kaum lebensfähige Österreich vom Völkerbund eine Milliardenanleihe erhalten, dafür aber einen harten Sanierungskurs aufgetragen bekommen. Diesen muss Ramek nun exekutieren.
100.000 Beamte müssen binnen zwei Jahren abgebaut, rigorose Sparmaßnahmen ergriffen werden. Massive Proteste und Streiks sind die Folge, Teile der Bevölkerung nagen am Hungertuch. Ramek versucht durch einen Kampf gegen die Teuerung gegenzusteuern und verhandelt persönlich über den Preis von Brot und Semmeln.
Aber es gibt weitere Krisenherde. Ein Bankenskandal jagt den nächsten. Mit dem „Roten Wien“gibt es schwerste Konflikte um den Mieterschutz und über die Gesamtschule. Die innenpolitische Lage heizt sich immer mehr auf. Links und rechts beginnen die Wehrverbände der Parteien zu marschieren.
Ein von Ramek befürworteter internationaler Zionistenkongress in Wien führt zu Straßenschlachten. Die Rufe nach dem Anschluss werden lauter. Arbeiter und Burschenschafter marschieren bei den Anschlusskundgebungen gemeinsam. Die Nationalsozialisten beginnen ihr Zerstörungswerk auch in Österreich. Die Sozialdemokraten versuchen mit Obstruktionspolitik das Parlament lahmzulegen.
Dennoch gelingen dem geduldigen Verhandler Ramek große Erfolge: Mit dem Abschluss der Sanierung und der Währungsreform von der Krone zum Schilling beendet er die Völkerbund-Kontrolle, unter der Österreich jahrelang gestanden ist. Mit der Verfassungsnovelle 1925 wird der Bundesstaat in der Verfassung verankert. Auch mit der Sozialdemokratie erzielt Ramek einige Kompromisse.
Doch seine Konsenspolitik stößt bei den Scharfmachern in den eigenen Reihen zunehmend auf Kritik. 1926 tritt Ramek entnervt zurück und übergibt wieder an Seipel. In Nachrufen wird ihm bescheinigt, kein großer, aber ein effizienter Regierungschef gewesen zu sein. Mit zwei Jahren ist Rameks Kanzlerschaft immerhin die zweitlängste in der Ersten Republik.
Gegen Anschluss und Antisemitismus