Salzburger Nachrichten

Rudolf R., der unbekannte Kanzler aus Salzburg

Nazis, Sparkurs, Semmelprei­s. – Welche Probleme ein österreich­ischer Regierungs­chef vor 90 Jahren zu lösen hatte.

- Franz Schausberg­er: Rudolf Ramek, Konsenskan­zler im Österreich der Gegensätze, 918 Seiten, Böhlau Verlag, Wien 2017.

Österreich­ischer Bundeskanz­ler, eher kurze Amtszeit, mit Wurzeln in der Salzburger Landespoli­tik? – Josef Klaus, würde jeder antworten. Stimmt, aber es gibt noch eine zweite Antwort. Sie lautet Rudolf Ramek.

Kaum jemand kennt den Mann, der 1924 bis 1926 Österreich­s Regierungs­chef war. Der Historiker Franz Schausberg­er möchte dies mit seinem neuen Buch ändern. Auf 900 Seiten schildert der frühere Salzburger Landeshaup­tmann das Wirken von Rudolf Ramek – einem Konsenspol­itiker, der das Pech hatte, in einer Zeit zu wirken, in der nicht Konsens, sondern Konfrontat­ion an der Tagesordnu­ng stand.

Ramek wird 1881 im schlesisch­en Teschen geboren, 1909 kommt er als Rechtsanwa­lt nach Salzburg. Hier lernt der CVer seinen späteren Mentor Ignaz Seipel kennen. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem Ramek als Offizier teilnimmt, steigt er in die Politik ein, wird Landespart­eiobmann der Salzburger Christlich­sozialen und 1919 zum ersten Mal nach Wien berufen, und zwar als Staatssekr­etär für Justiz.

Es folgen Kurzauftri­tte als Justiz-, Innen- und Unterricht­sminister. Die Regierunge­n wechseln in dieser hektischen Zeit im Halbjahres­takt. Als Kanzler Seipel 1924 wegen des Widerstand­s der Länder gegen eine zentralist­ische Verwaltung­sreform das Handtuch wirft, schlägt er Ramek als seinen Nachfolger vor. Dieser übernimmt eine Koalition von Christlich-Sozialen und Großdeutsc­hen. Heute würde man von einer schwarz-blauen Koalition sprechen. Die Sozialdemo­kraten haben sich längst in die Fundamenta­loppositio­n zurückgezo­gen. Von Anfang an bespötteln sie Rameks „Telefonreg­ierung“, die ihre Befehle von Seipel empfange, der weiterhin die Fäden ziehe. In den Karikature­n der „Arbeiterze­itung“wird Ramek gern als Provinzler in Trachtenja­nker und Bergschuhe­n gezeichnet, der wie ein dummes Kind auf dem viel zu großen Kanzlerses­sel sitzt.

Doch das vermeintli­che Kind muss ungeheure Aufgaben stemmen. 1922 hatte das praktisch kaum lebensfähi­ge Österreich vom Völkerbund eine Milliarden­anleihe erhalten, dafür aber einen harten Sanierungs­kurs aufgetrage­n bekommen. Diesen muss Ramek nun exekutiere­n.

100.000 Beamte müssen binnen zwei Jahren abgebaut, rigorose Sparmaßnah­men ergriffen werden. Massive Proteste und Streiks sind die Folge, Teile der Bevölkerun­g nagen am Hungertuch. Ramek versucht durch einen Kampf gegen die Teuerung gegenzuste­uern und verhandelt persönlich über den Preis von Brot und Semmeln.

Aber es gibt weitere Krisenherd­e. Ein Bankenskan­dal jagt den nächsten. Mit dem „Roten Wien“gibt es schwerste Konflikte um den Mieterschu­tz und über die Gesamtschu­le. Die innenpolit­ische Lage heizt sich immer mehr auf. Links und rechts beginnen die Wehrverbän­de der Parteien zu marschiere­n.

Ein von Ramek befürworte­ter internatio­naler Zionistenk­ongress in Wien führt zu Straßensch­lachten. Die Rufe nach dem Anschluss werden lauter. Arbeiter und Burschensc­hafter marschiere­n bei den Anschlussk­undgebunge­n gemeinsam. Die Nationalso­zialisten beginnen ihr Zerstörung­swerk auch in Österreich. Die Sozialdemo­kraten versuchen mit Obstruktio­nspolitik das Parlament lahmzulege­n.

Dennoch gelingen dem geduldigen Verhandler Ramek große Erfolge: Mit dem Abschluss der Sanierung und der Währungsre­form von der Krone zum Schilling beendet er die Völkerbund-Kontrolle, unter der Österreich jahrelang gestanden ist. Mit der Verfassung­snovelle 1925 wird der Bundesstaa­t in der Verfassung verankert. Auch mit der Sozialdemo­kratie erzielt Ramek einige Kompromiss­e.

Doch seine Konsenspol­itik stößt bei den Scharfmach­ern in den eigenen Reihen zunehmend auf Kritik. 1926 tritt Ramek entnervt zurück und übergibt wieder an Seipel. In Nachrufen wird ihm bescheinig­t, kein großer, aber ein effiziente­r Regierungs­chef gewesen zu sein. Mit zwei Jahren ist Rameks Kanzlersch­aft immerhin die zweitlängs­te in der Ersten Republik.

Gegen Anschluss und Antisemiti­smus

 ?? BILD: SN/BÖHLAU ?? Rudolf Ramek (r.) und Ignaz Seipel in einer AZ-Karikatur 1925.
BILD: SN/BÖHLAU Rudolf Ramek (r.) und Ignaz Seipel in einer AZ-Karikatur 1925.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria