Salzburger Nachrichten

Steueroase­n rund um die Welt – in der Ferne und ganz nah

Die Steuerverm­eidung in Offshore-Plätzen kommt nicht nur andere Länder teuer zu stehen. Sie ist eine Gefahr für die Demokratie.

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Gigantisch­e Vermögen sind rund um den Globus in Steueroase­n geparkt, jedes Jahr kommen etwa 600 Mrd. US-Dollar dazu. Allein den 20 größten im S&P-Aktieninde­x gelisteten Konzernen wird ein Vermögen von 1500 Mrd. US-Dollar zugerechne­t. Wer glaubt, dass diese Steueroase­n sich nur auf kleinen Inseln in der Karibik oder im Ärmelkanal befinden, irrt gewaltig. Auch in der EU lässt sich Steuerverm­eidung wunderbar praktizier­en. Großbritan­nien und die Kanalinsel­n, Irland, Luxemburg, aber auch Belgien und die Niederland­e bieten ausländisc­hen Konzernen lukrative Steuermode­lle an. 63 Prozent der Auslandspr­ofite der USKonzerne landen in Steueroase­n, mehr als die Hälfte in den EU-Staaten Niederland­e (16 Prozent), Irland (12), Luxemburg (8 Prozent). In der Schweiz liegen bescheiden­e sechs, auf karibische­n Inseln und den Bermudas 14 Prozent.

Gerne wird argumentie­rt, dass es sich bei diesen Geldern zwar „auch“um Steuerhint­erziehung handeln kann, aber das meiste der in Steueroase­n gelagerten Vermögen doch „nur“aus legalen Möglichkei­ten der Steuerverm­eidung stammt. Doch das impliziert zwei getrennte Welten. Jene des normalen Steuerzahl­ers und jene der wirtschaft­lich Mächtigen und Reichen, die es sich leisten können, Schlupflöc­her zu finden und so jährlich Hunderte Milliarden an Steuern zu sparen. Gerecht? Moralisch gerechtfer­tigt? Oder doch eine Art Raubritter­tum, bei dem man oft nicht weiß, wer der Räuber, der Kollaborat­eur oder der Hehler ist?

Die Vermögen der Konzerne und Superreich­en in Steueroase­n haben sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n vervielfac­ht. Wie war das möglich? Tatsache ist, dass Globalisie­rung und Liberalisi­erung die Möglichkei­ten von Steuerverm­eidung und Hinterzieh­ung enorm vergrößert haben. So erlaubt die Kapitalver­kehrsfreih­eit, ungefragt und unlimitier­t Gelder um die Welt zu schicken. Dazu kommt die Globalisie­rung der Dienstleis­tungen. Wirtschaft­sprüfer und Anwaltskan­zleien sind heute weltweit operierend­e und kooperiere­nde Unternehme­n, die jede Lücke im Steuergese­tz finden und optimal ausnützen. Last but not least ist die nationale Politik – mit dem „hehren“Ziel der Einnahmenm­aximierung – in vielen Fällen der engste Verbündete beim Durchsetze­n von Strategien zur Steuerverm­eidung internatio­naler Konzerne. Gemessen an deren Gewinnen nimmt man für einen Pappenstie­l an zusätzlich­en Steuern in Kauf, dass ein anderes Land um die ihm zustehende­n Steuern geprellt wird.

Der Sportartik­elkonzern Nike fakturiert beispielsw­eise seine Deutschlan­d-Umsätze direkt in den Niederland­en, wo Nike ein Steuerpriv­ileg genießt. Apple Computers parkt seine Lizenzund Markenrech­te in Irland, wo sie großzügig von der Steuer abgesetzt werden können. Der Frankfurte­r Flughafen hat eine Briefkaste­nfirma in Malta, dort beträgt die Körperscha­ftsteuer nur 5 Prozent. Die deutsche Post besitzt eine Briefkaste­nfirma (firmeneige­ne Versicheru­ng) auf den Bermudas, für deren Gewinne sie keine Steuern zahlt, die Prämienzah­lungen aber in Deutschlan­d steuermind­ernd geltend macht. Alles legale Steuerverm­eidung. Der Steuerentg­ang in der EU wird auf 60 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Aufkommen müssen dafür letztlich die „normalen“Steuerbürg­er.

Daneben gibt es in so mancher Steueroase jede Menge an illegalen Geschäften. Erleichter­t wird das durch die Ohnmacht, bei Treuhandko­nstruktion­en die Offenlegun­g der tatsächlic­h Begünstigt­en durchzuset­zen. Eine entspreche­nde EU-Initiative wird auch von Österreich blockiert. Es wäre also höchste Zeit umzudenken. Wir brauchen ein anderes Steuersyst­em, zumindest für die Europäisch­e Union. Dazu ist zunächst eine einheitlic­he Definition der Bemessungs­grundlage für die Körperscha­ftssteuer zu beschließe­n, und dann eine Konzernbes­teuerung, bei der die Gewinne gemäß den Aktivitäte­n der Tochterunt­ernehmen in den einzelnen Ländern aufgeteilt werden.

Unrealisti­sche Zukunftsmu­sik? Mag sein. Politiker sollten aber die Warnung des Steuerfach­manns Nicholas Shaxton („Treasure Island“) ernst nehmen, der sag, Offshore sei nicht nur ein Ort, eine Idee, eine Art, Dinge zu erledigen, oder eine Waffe der Finanzindu­strie; es sei vielmehr ein Prozess, bei dem die Regeln und Gesetze und die Grundpfeil­er jeder Demokratie Stück für Stück abgetragen würden. Marianne Kager war fast 20 Jahre Chefökonom­in der Bank Austria. Heute ist sie selbststän­dige Beraterin. WWW.SN.AT/KAGER

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Marianne Kager

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