In Österreich droht kein deutsches Scheitern
Fünf Gründe, warum den Koalitionsverhandlungen in Wien nicht das Schicksal bevorsteht, das die Sondierungsgespräche in Berlin ereilte.
In Deutschland sind die Verhandlungen über eine Dreierkoalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen gescheitert. Damit sind dem Nachbarland die Optionen, eine Mehrheitsregierung zu bilden, ausgegangen. Stellt sich die Frage: Könnte das in Österreich auch passieren? Mehrere Gründe sprechen dagegen.
1. Mehrheitsverhältnisse sind viel klarer
Österreich hat seit der Wahl am 15. Oktober viel klarere Mehrheitsverhältnisse als Deutschland nach der Wahl am 24. September. ÖVP und FPÖ, die nun über eine Koalition verhandeln, verfügen zusammen über mehr als 57 Prozent der Stimmen und haben 113 der 183 Mandate. Damit ist rechnerisch eine stabile Zweierkoalition möglich. Und zu zweit findet man eher einen gemeinsamen Weg als zu dritt.
Ein schwarz-liberal-grünes Jamaika-Bündnis, wie es in Deutschland jetzt gescheitert ist, wäre in Österreich gar nicht möglich gewesen. ÖVP und Neos haben gemeinsam nur 72 Mandate und die Grünen gibt es im Nationalrat bekanntlich nicht mehr.
2. ÖVP und FPÖ haben mehr Gemeinsamkeiten
Zwischen ÖVP und FPÖ besteht eine viel größere inhaltliche Übereinstimmung als zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen in Deutschland. In der alles beherrschenden Migrationsfrage unterscheiden sich die Positionen von ÖVP und FPÖ nur in Nuancen. Wohl nicht zufällig zählt das Kapitel Sicherheit zu den ers- ten, die bei den österreichischen Koalitionsverhandlungen bereits so gut wie abgeschlossen sind.
Auch in vielen anderen Fragen sind FPÖ und ÖVP in der Problemanalyse und im Ziel einig: ob es nun darum geht, die Steuer- und Abgabenlast zu senken, den Wirtschaftsstandort zu stärken oder die Pensionen zu sichern. Diese Woche wird Tempo gemacht, mehr als 30 Untergruppentreffen sind fixiert. Bis Freitag wollen die Chefverhandler Zwischenergebnisse sehen.
3. Es gibt weniger heiße Eisen
Bei den Koalitionsverhandlungen in Österreich gibt es also wesentlich weniger Klippen, auch wenn die „Nacht der langen Messer“sicher noch kommen wird. Beim Thema Asyl ist man sich bereits einig – eine der Fragen, an der die deutschen Sondierer zerschellten. Woran könnten die ÖVP-FPÖ-Gespräche noch scheitern? Vor allem an der Ressortverteilung, bei der auch der Bundespräsident ein Wörtchen mitzureden hat. Davor wird es heikel beim Ausbau der direkten Demokratie, bei der Abschaffung der Kammer-Pflichtmitgliedschaft und bei der Föderalismus-Reform.
4. Die Parteichefs sind unumstritten
Ein psychologisch wichtiger Unterschied ist, dass in Österreich zwei Wahlsieger verhandeln. Sowohl Sebastian Kurz als auch Heinz-Christian Strache sitzen fest im Sattel und haben das volle Pouvoir, für ihre Parteien zu verhandeln. Atmosphärisch liefen die Gespräche daher auch von Anfang an gut. Und so soll es nach wie vor sein, wie von beiden Seiten zu hören ist.
Völlig anders lief es in Deutschland, wo ein Trio mit höchst ungleicher Ausgangslage sondierte: Da der große Wahlverlierer CDU/CSU, dort der große Wahlsieger FDP und mit den Grünen ein weiterer, wenn auch kleinerer Gewinner. Das machte die Jamaika-Sondierungen – abseits massiver inhaltlicher Differenzen – von Anfang an schwierig. Die bei Verhandlungen so wichtige Vertrauensbasis fehlte.
5. Die SPÖ wäre der Plan B
Auch wenn die schwarz/türkisblauen Koalitionsverhandlungen scheitern sollten – worauf derzeit nichts hindeutet – stünde Österreich nicht unbedingt eine Neuwahl ins Haus. Für Kurz wie für Strache gäbe es noch einen Plan B: eine Koalition mit der SPÖ.
Die Sozialdemokraten haben zwar die Weichen für den Gang in die Opposition gestellt. Anders als ihre deutsche Schwesterpartei SPD hat die SPÖ die Übernahme von Regierungsverantwortung aber niemals ausgeschlossen. Somit könnte sowohl über eine schwarz/türkisrote als auch über eine rot-blaue Koalition verhandelt werden.