Salzburger Nachrichten

In Österreich droht kein deutsches Scheitern

Fünf Gründe, warum den Koalitions­verhandlun­gen in Wien nicht das Schicksal bevorsteht, das die Sondierung­sgespräche in Berlin ereilte.

- INGE BALDINGER ALEXANDER PURGER

In Deutschlan­d sind die Verhandlun­gen über eine Dreierkoal­ition aus CDU/CSU, FDP und Grünen gescheiter­t. Damit sind dem Nachbarlan­d die Optionen, eine Mehrheitsr­egierung zu bilden, ausgegange­n. Stellt sich die Frage: Könnte das in Österreich auch passieren? Mehrere Gründe sprechen dagegen.

1. Mehrheitsv­erhältniss­e sind viel klarer

Österreich hat seit der Wahl am 15. Oktober viel klarere Mehrheitsv­erhältniss­e als Deutschlan­d nach der Wahl am 24. September. ÖVP und FPÖ, die nun über eine Koalition verhandeln, verfügen zusammen über mehr als 57 Prozent der Stimmen und haben 113 der 183 Mandate. Damit ist rechnerisc­h eine stabile Zweierkoal­ition möglich. Und zu zweit findet man eher einen gemeinsame­n Weg als zu dritt.

Ein schwarz-liberal-grünes Jamaika-Bündnis, wie es in Deutschlan­d jetzt gescheiter­t ist, wäre in Österreich gar nicht möglich gewesen. ÖVP und Neos haben gemeinsam nur 72 Mandate und die Grünen gibt es im Nationalra­t bekanntlic­h nicht mehr.

2. ÖVP und FPÖ haben mehr Gemeinsamk­eiten

Zwischen ÖVP und FPÖ besteht eine viel größere inhaltlich­e Übereinsti­mmung als zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen in Deutschlan­d. In der alles beherrsche­nden Migrations­frage unterschei­den sich die Positionen von ÖVP und FPÖ nur in Nuancen. Wohl nicht zufällig zählt das Kapitel Sicherheit zu den ers- ten, die bei den österreich­ischen Koalitions­verhandlun­gen bereits so gut wie abgeschlos­sen sind.

Auch in vielen anderen Fragen sind FPÖ und ÖVP in der Problemana­lyse und im Ziel einig: ob es nun darum geht, die Steuer- und Abgabenlas­t zu senken, den Wirtschaft­sstandort zu stärken oder die Pensionen zu sichern. Diese Woche wird Tempo gemacht, mehr als 30 Untergrupp­entreffen sind fixiert. Bis Freitag wollen die Chefverhan­dler Zwischener­gebnisse sehen.

3. Es gibt weniger heiße Eisen

Bei den Koalitions­verhandlun­gen in Österreich gibt es also wesentlich weniger Klippen, auch wenn die „Nacht der langen Messer“sicher noch kommen wird. Beim Thema Asyl ist man sich bereits einig – eine der Fragen, an der die deutschen Sondierer zerschellt­en. Woran könnten die ÖVP-FPÖ-Gespräche noch scheitern? Vor allem an der Ressortver­teilung, bei der auch der Bundespräs­ident ein Wörtchen mitzureden hat. Davor wird es heikel beim Ausbau der direkten Demokratie, bei der Abschaffun­g der Kammer-Pflichtmit­gliedschaf­t und bei der Föderalism­us-Reform.

4. Die Parteichef­s sind unumstritt­en

Ein psychologi­sch wichtiger Unterschie­d ist, dass in Österreich zwei Wahlsieger verhandeln. Sowohl Sebastian Kurz als auch Heinz-Christian Strache sitzen fest im Sattel und haben das volle Pouvoir, für ihre Parteien zu verhandeln. Atmosphäri­sch liefen die Gespräche daher auch von Anfang an gut. Und so soll es nach wie vor sein, wie von beiden Seiten zu hören ist.

Völlig anders lief es in Deutschlan­d, wo ein Trio mit höchst ungleicher Ausgangsla­ge sondierte: Da der große Wahlverlie­rer CDU/CSU, dort der große Wahlsieger FDP und mit den Grünen ein weiterer, wenn auch kleinerer Gewinner. Das machte die Jamaika-Sondierung­en – abseits massiver inhaltlich­er Differenze­n – von Anfang an schwierig. Die bei Verhandlun­gen so wichtige Vertrauens­basis fehlte.

5. Die SPÖ wäre der Plan B

Auch wenn die schwarz/türkisblau­en Koalitions­verhandlun­gen scheitern sollten – worauf derzeit nichts hindeutet – stünde Österreich nicht unbedingt eine Neuwahl ins Haus. Für Kurz wie für Strache gäbe es noch einen Plan B: eine Koalition mit der SPÖ.

Die Sozialdemo­kraten haben zwar die Weichen für den Gang in die Opposition gestellt. Anders als ihre deutsche Schwesterp­artei SPD hat die SPÖ die Übernahme von Regierungs­verantwort­ung aber niemals ausgeschlo­ssen. Somit könnte sowohl über eine schwarz/türkisrote als auch über eine rot-blaue Koalition verhandelt werden.

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BILD: SN/APA/H. FOHRINGER ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache verstehen sich bisher gut.

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