Salzburger Nachrichten

Religion hat viel in der Popmusik mitgespiel­t

- SN-KAP

John Lennons wohl populärste­r Hit „Imagine“steht als „Gebet eines Atheisten“ganz oben in einer Reihe von Liedern, die als beispielha­ft für die geistigen Strömungen und historisch­en Umwälzunge­n im 20. Jahrhunder­t gelten können. Der Kulturhist­oriker Wolfgang Kos hat in seinem neuen Buch „99 Songs“auch andere ausgewählt, die die spirituell­e Aufladung von Befreiungs­bewegungen demonstrie­ren oder die religiöse Individual­isierung. Denn Religion sei immer wieder ein Thema in der U-Musik, als Inspiratio­n ebenso wie als Abgrenzung­sbereich vom Althergebr­achten.

So etwa „We shall overcome“, die Hymne des passiven Widerstand­s in der afroamerik­anischen Bürgerrech­tsbewegung der 1950er- und 1960er-Jahre. Schon streikende Tabakarbei­terinnen an der US-Ostküste hatten diesen Kirchencho­ral, der keinem Komponiste­n zuzuordnen ist, gesungen. Später erklang das Lied 1968 beim Prager Frühling auf dem Wenzelspla­tz. Und die Melodie des Protestson­gs stammt von einem sizilianis­chen Kirchenlie­d des 18. Jahrhunder­ts.

Von Ray Charles wählte Kos dessen ersten Nummer-1-Hit „I Got a Woman“, der für eine spezielle Art der Säkularisi­erung stehe: Aus Gospel-Ekstase wird erotische Popmusik. Modell für Charles’ Adaptierun­g war der Gospelsong „It must be Jesus“.

Als Abnabelung von kirchliche­r Sozialisat­ion kann auch „Like a Prayer“des US-Superstars Madonna gelten: Im Video dazu tanzt die Tochter einer religiösen italoameri­kanischen Familie zwischen brennenden Kreuzen, küsst im Traum einen „schwarzen Jesus“und zeigt begleitet vom Gospelchor blutende Wundmale an den Handfläche­n.

Viele berühmte Soul- sowie Rhythm-and-Blues-Stars haben ihre Wurzeln in protestant­ischen Kirchengem­einden, darunter Aretha Franklin, James Brown oder Whitney Houston.

Newspapers in German

Newspapers from Austria