Merkel will Neuwahl und wieder antreten
Die deutsche Bundeskanzlerin hat dabei die Unterstützung von CSU-Chef Horst Seehofer.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition eine klare Präferenz für eine vorgezogene Neuwahl erkennen lassen. Dies wäre „der bessere Weg“als eine Minderheitsregierung, sagte Merkel am Montagabend.
Zur Begründung sagte die Kanzlerin, dass Deutschland ein Land sei, „das so viele Aufgaben auch zu bewältigen hat“. Sie wolle keine Regierung, die von der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) abhängig sei, betonte Merkel.
Angela Merkel stellte klar, dass sie bei einer Neuwahl wieder als Kanzlerkandidatin antreten wolle. Sie verwies darauf, dass sie im Wahlkampf zugesichert habe, das Amt der Bundeskanzlerin für volle vier Jahre zu übernehmen.
Merkel betonte wieder, dass sie grundsätzlich zu Gesprächen über eine neue Große Koalition mit der SPD bereit sei. Dabei will sie aber nach eigenen Angaben die Treffen abwarten, die der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit den anderen Parteien einschließlich der SPD zum Thema Regierungsbildung plant.
CSU-Chef Horst Seehofer begrüßte die Ankündigung Merkels, die Union im Falle einer Neuwahl erneut in den Wahlkampf zu führen. Merkel habe in den vergangenen Wochen die Positionen der CSU zuverlässig unterstützt, auch in der Zuwanderungsfrage, sagte Seehofer am Montagabend in München. „Daher hat sie meine und unsere Unterstützung.“
Die Perspektive, dass Deutschland bis zum Termin einer Neuwahl möglicherweise monatelang von einer geschäftsführenden Bundeskanzlerin in Berlin regiert werden könnte, löst in anderen EU-Staaten Besorgnis aus. Vor allem Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wartet auf eine Antwort der deutschen Regierung auf seine Reformvorschläge.
Europa ist nach Ansicht der Bürgerbewegung Pulse of Europe der Verlierer der gescheiterten JamaikaSondierungen in Berlin. Europäische Themen hätten weder im Bundestagswahlkampf noch bei den Jamaika-Gesprächen eine ausreichende Rolle gespielt, kritisierte die proeuropäische Bewegung am Montag in Frankfurt am Main. „Für eine ernsthafte Weiterentwicklung Europas und europäische Reformen fällt Deutschland nun bis auf Weiteres aus.“
BERLIN. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Parteien zu einem neuen Anlauf für eine Regierungsbildung aufgerufen. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, sagte Steinmeier am Montag nach einem Treffen mit der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Alle Beteiligten sollten „noch einmal innehalten und ihre Haltung überdenken“. Die SPD lehnt den Eintritt in eine Große Koalition auch nach dem Jamaika-Aus ab. Sollten die Sozialdemokraten dabei bleiben, gibt es noch zwei Optionen: eine Minderheitsregierung unter UnionsFührung oder eine Neuwahl.
Die FDP hatte die Jamaika-Sondierungen mit Union und Grünen am späten Sonntagabend überraschend abgebrochen und Merkel damit in die schwerste Krise ihrer zwölfjährigen Amtszeit gestürzt.
Dem Bundespräsidenten kommt in dieser heiklen und in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmaligen Lage eine Schlüsselrolle zu. Ob es tatsächlich zu Neuwahlen kommt, hängt vor allem von ihm ab. Steinmeier will nach dem Gespräch mit Merkel auch noch mit den anderen Parteien reden.
Dort setzt man wie die SPD offenbar auch eher auf eine Neuwahl als auf eine Minderheitsregierung. Die FDP hat schon während der Sondierungen regelmäßig bekräftigt, keine Angst vor einer Neuwahl zu haben. Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin rechnet mit einer Neuwahl um Ostern. Einer schwarz-grünen Minderheitsregierung gab er keine Chance. Auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer lehnte diese Variante ab. Zur Frage einer schwarz-gelben Minderheitsregierung wollte sich FDP-Chef Christian Lindner nicht äußern.
Am Montag suchten vor allem die FDP und die Grünen die Deutungshoheit über die Gründe des Scheiterns von Jamaika zu erlangen. Lindner sagte, es sei in den vier Wochen nicht gelungen, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Die Gräben zwischen seiner Partei und den Grünen seien zu groß: „Wir wären gezwungen gewesen, unsere Grundsätze aufzugeben – und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben.“Es sei „besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“.
FDP-Generalsekretärin Nicola Beer beklagte das fehlende Entgegenkommen der anderen Parteien in zentralen Fragen. Sie nannte die Themen Digitalisierung, Bürokratieabbau und Bildung. Alle diese Themen hatten allerdings nicht als hoch umstritten gegolten. Auch beim Solidaritätszuschlag („Soli“) hatte es Zugeständnisse gegeben, wenn auch nicht den von den Liberalen geforderten Komplettabbau in vier Jahren.
Die FDP hatte ganz offensichtlich Angst, von den anderen ausgespielt zu werden. Dafür sprechen auch Meldungen, dass sich Grüne und CSU in der Frage des Umgangs mit Flüchtlingen nähergekommen seien. Nichts fürchten die Liberalen mehr, als erneut als Umfaller-Partei dazustehen. Aber auch die schlechten Erfahrungen mit der letzten schwarz-gelben Koalition, als sie sich kaum durchsetzen konnten, haben ihre Spuren hinterlassen.
Die Grünen nährten den Verdacht, dass die FDP von Anfang an koalitionsunwillig gewesen sei. Das habe sich schon in der Wahlnacht gezeigt. Dann hätten die Liberalen in den Verhandlungen immer wieder eine Schärfe an den Tag gelegt und zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage Positionen vertreten, die sogar die CSU irritiert hätten. Am Sonntag sei Lindner mit der Ankündigung, man werde um 18 Uhr fertig sein, vorgeprescht, ohne dies mit den anderen Parteien abgesprochen zu haben.
Kolportiert wird zudem, dass Lindner seine Absage an Jamaika von einem Zettel abgelesen habe. Das habe Merkel mit den Worten kommentiert, Lindners Worte klängen wie eine vorbereitete Presseerklärung. Grünen-Chef Cem Özdemir erklärte: „Der Eindruck, den die FDP da gemacht hat, war keiner, dass es erst ums Land geht, sondern umgekehrt: erst die Partei.“BadenWürttembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zeigte sich fassungslos und warnte vor einem Erstarken der Rechtspopulisten (AfD).
Merkel, Seehofer, Özdemir und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt präsentierten sich nach dem Scheitern von Jamaika wie ein Herz und eine Seele. Alle vier versicherten, dass eine Einigung zum Greifen nahe gewesen sei. Dann aber sei die FDP abrupt abgesprungen. Dem widersprach FDP-Vize Wolfgang Kubicki energisch: „Wir waren in keinem Punkt wirklich vorangekommen.“
Ans Aufgeben denkt Angela Merkel nicht. Sie will als geschäftsführende Kanzlerin „alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird“.
„Das ist der Moment, in dem alle Beteiligten noch einmal innehalten sollten.“Frank-Walter Steinmeier, Präsident