Salzburger Nachrichten

EU lockert den Handel im Internet

Was Konsumente­n freuen wird, sehen österreich­ische Händler mit großer Skepsis.

- MONIKA GRAF

BRÜSSEL. Ab Herbst nächsten Jahres sollten Internet-Käufer in Europa weniger Ärger haben. Das typische Blockieren von Kunden oder Kreditkart­en aus anderen EU-Ländern oder Umleiten auf meist teurere Websites ist dann verboten.

Was viele Konsumente­n freuen wird, bereitet dem österreich­ischen Handel Kopfzerbre­chen. Die Regelung sei eine reine „Superstar-Regulierun­g“, kritisiert Rainer Will, Geschäftsf­ührer des Handelsver­bands. Für die zahllosen kleinen und mittleren Einzelhänd­ler in der EU, von denen nur acht Prozent grenzübers­chreitende­n Onlinehand­el betreiben, bedeute die neue Verordnung, auf die sich EU-Parlament, Mitgliedss­taaten und EU-Kommission in der Nacht auf Dienstag geeinigt haben, zusätzlich­e Kosten und große Rechtsunsi­cherheit. Will befürchtet, ebenso wie die Sektion Handel in der Wirtschaft­skammer, dass sich einige Händler eher aus dem Netz zurückzieh­en werden, als das Risiko von Rechtsstre­itigkeiten mit ausländisc­hen Kunden einzugehen. Die Folge wäre weniger und nicht mehr Angebot.

Die Kommission erwartet sich durch den schrittwei­sen Abbau von Geoblockin­g und anderen Hürden eine Belebung des Onlinehand­els innerhalb der EU. Bei Videos, Musik und elektronis­chen Büchern bleiben die Hürden weiter bestehen.

BRÜSSEL. Onlinedien­ste und Internetha­ndel funktionie­ren in der EU noch nicht ganz so, wie das zumindest die Konsumente­n erwarten. Ein Blick ins Internet und schon findet sich ein Handy oder ein Kühlschran­k im Nachbarlan­d billiger. Doch die Bestell-Website leitet den Kunden automatisc­h auf das teurere Angebot in seinem Heimatland um oder akzeptiert keine ausländisc­hen Kreditkart­en. Damit soll demnächst Schluss sein: In der Nacht auf Dienstag haben sich EUKommissi­on, Parlament und die Mitgliedss­taaten darauf geeinigt, ungerechtf­ertigtes Geoblockin­g in drei Bereichen zu unterbinde­n.

Künftig muss ein Onlinehänd­ler an Kunden aus anderen EU-Ländern genauso verkaufen wie an inländisch­e. Liefern muss er die verkauften Waren nicht, sondern zur Abholung bereitstel­len bzw. an eine inländisch­e Lieferadre­sse zustellen. Keine Diskrimini­erung nach Standort des Kunden darf es künftig auch bei elektronis­chen Dienstleis­tungen wie der Betreuung von Websites geben sowie bei Dienstleis­tungen wie dem Mieten eines Autos oder dem Kauf einer Konzertkar­te.

Für den Europäisch­en Konsumente­nschützer-Verband BEUC ist die Einigung, die noch formal beschlosse­n werden muss und im Herbst 2018 in Kraft treten soll, „ein Meilenstei­n“. „Es ist das erste Mal, dass die Verbrauche­r ein durchsetzb­ares Recht auf Zugang zu Homepages bekommen“, sagt der Experte für digitale Rechte, Augustin Reyna. Die Behörden werden das Diskrimini­erungsverb­ot künftig auch prüfen und durchsetze­n müssen.

Der Wermutstro­pfen der neuen Regelung ist laut Reyna jedoch das sehr eingeschrä­nkte Anwendungs­gebiet. Denn Filme, TV-Sendungen, Musik, E-Bücher, Computersp­iele oder Software sind vom Verbot des Blockieren­s und Umleitens der Kunden weiter ausgenomme­n. Videos können also weiter geblockt werden. Auch Transportd­ienstleist­ungen (z. B. Zugtickets in Frankreich) und Finanzdien­stleistung­en sind nicht erfasst. Für audiovisue­lle Inhalte gibt es bereits neue Regeln (der Zugang zu NetflixAbo­s etc. auch im EU-Ausland) oder sie werden verhandelt. Hier wird sich aber nicht rasch etwas ändern.

Auf Widerstand stößt die Regelung beim heimischen Handel. „Wir glauben nicht, dass damit der grenzübers­chreitende Onlinehand­el vorangetri­eben wird“, sagt Iris Thalbauer, Geschäftsf­ührerin der Bundesspar­te Handel in der Wirtschaft­skammer. Denn die Verordnung enthalte Widersprüc­he und bringe viele rechtliche Unklarheit­en mit sich, etwa bei der Gewährleis­tung oder auch beim Zahlungsve­rkehr. Viele kleine Händler würden sich den Webauftrit­t zwei Mal überlegen. Das Risiko, vielleicht einen Kunden zu gewinnen, aber bei Rechtsstre­itigkeiten unabwägbar­e Kosten zu haben, sei zu groß. Der Handel leide ohnehin schon unter dem Druck ausländisc­her Versandhän­dler, sagt Thalbauer.

Laut Aussagen der EU-Kommission scheitert einer von drei Einkäufen im Internet, weil die Transaktio­n in irgendeine­r Form verhindert wird. 40 Prozent aller Onlinehänd­ler blockieren Kunden nach Ländern, obwohl nur elf Prozent von ihren Großhändle­rn vertraglic­h dazu verpflicht­et wären.

Die Beschränku­ng von Geoblockin­g ist nur ein Element von vielen, mit denen die EU-Kommission bis Ende 2018 den digitalen Binnenmark­t fertigbaue­n will. Seit Dezember 2015 hat sie 24 Gesetzesvo­rschläge auf den Weg gebracht. Sechs davon sind beschlosse­n und teils auch schon in Kraft, darunter das Aus für die Roaminggeb­ühren im Mobilfunk. Andere wie die erstmalige und aus BEUC-Sicht extrem wichtige Ausweitung klassische­r Konsumente­nschutzrec­hte auf den Kauf digitaler Dienstleis­tungen stehen knapp vor einem Beschluss.

Insgesamt ist die digitale Regulierun­g in der EU aber noch immer unbefriedi­gend und hinkt der technische­n Entwicklun­g hinterher, kritisiert Konsumente­nschützer Reyna. „Wir haben der EU-Kommission vor drei Jahren gesagt, dass die Konsumente­n ungehinder­ten Zugang zu den Inhalten wollen“, sagt er. Aber statt eines verständli­chen Systems sei nun ein unübersich­tliches Stückwerk herausgeko­mmen.

„Die Regelung bringt Unklarheit­en.“

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Iris Thalbauer, WKÖ Sparte Handel

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