EU lockert den Handel im Internet
Was Konsumenten freuen wird, sehen österreichische Händler mit großer Skepsis.
BRÜSSEL. Ab Herbst nächsten Jahres sollten Internet-Käufer in Europa weniger Ärger haben. Das typische Blockieren von Kunden oder Kreditkarten aus anderen EU-Ländern oder Umleiten auf meist teurere Websites ist dann verboten.
Was viele Konsumenten freuen wird, bereitet dem österreichischen Handel Kopfzerbrechen. Die Regelung sei eine reine „Superstar-Regulierung“, kritisiert Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands. Für die zahllosen kleinen und mittleren Einzelhändler in der EU, von denen nur acht Prozent grenzüberschreitenden Onlinehandel betreiben, bedeute die neue Verordnung, auf die sich EU-Parlament, Mitgliedsstaaten und EU-Kommission in der Nacht auf Dienstag geeinigt haben, zusätzliche Kosten und große Rechtsunsicherheit. Will befürchtet, ebenso wie die Sektion Handel in der Wirtschaftskammer, dass sich einige Händler eher aus dem Netz zurückziehen werden, als das Risiko von Rechtsstreitigkeiten mit ausländischen Kunden einzugehen. Die Folge wäre weniger und nicht mehr Angebot.
Die Kommission erwartet sich durch den schrittweisen Abbau von Geoblocking und anderen Hürden eine Belebung des Onlinehandels innerhalb der EU. Bei Videos, Musik und elektronischen Büchern bleiben die Hürden weiter bestehen.
BRÜSSEL. Onlinedienste und Internethandel funktionieren in der EU noch nicht ganz so, wie das zumindest die Konsumenten erwarten. Ein Blick ins Internet und schon findet sich ein Handy oder ein Kühlschrank im Nachbarland billiger. Doch die Bestell-Website leitet den Kunden automatisch auf das teurere Angebot in seinem Heimatland um oder akzeptiert keine ausländischen Kreditkarten. Damit soll demnächst Schluss sein: In der Nacht auf Dienstag haben sich EUKommission, Parlament und die Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, ungerechtfertigtes Geoblocking in drei Bereichen zu unterbinden.
Künftig muss ein Onlinehändler an Kunden aus anderen EU-Ländern genauso verkaufen wie an inländische. Liefern muss er die verkauften Waren nicht, sondern zur Abholung bereitstellen bzw. an eine inländische Lieferadresse zustellen. Keine Diskriminierung nach Standort des Kunden darf es künftig auch bei elektronischen Dienstleistungen wie der Betreuung von Websites geben sowie bei Dienstleistungen wie dem Mieten eines Autos oder dem Kauf einer Konzertkarte.
Für den Europäischen Konsumentenschützer-Verband BEUC ist die Einigung, die noch formal beschlossen werden muss und im Herbst 2018 in Kraft treten soll, „ein Meilenstein“. „Es ist das erste Mal, dass die Verbraucher ein durchsetzbares Recht auf Zugang zu Homepages bekommen“, sagt der Experte für digitale Rechte, Augustin Reyna. Die Behörden werden das Diskriminierungsverbot künftig auch prüfen und durchsetzen müssen.
Der Wermutstropfen der neuen Regelung ist laut Reyna jedoch das sehr eingeschränkte Anwendungsgebiet. Denn Filme, TV-Sendungen, Musik, E-Bücher, Computerspiele oder Software sind vom Verbot des Blockierens und Umleitens der Kunden weiter ausgenommen. Videos können also weiter geblockt werden. Auch Transportdienstleistungen (z. B. Zugtickets in Frankreich) und Finanzdienstleistungen sind nicht erfasst. Für audiovisuelle Inhalte gibt es bereits neue Regeln (der Zugang zu NetflixAbos etc. auch im EU-Ausland) oder sie werden verhandelt. Hier wird sich aber nicht rasch etwas ändern.
Auf Widerstand stößt die Regelung beim heimischen Handel. „Wir glauben nicht, dass damit der grenzüberschreitende Onlinehandel vorangetrieben wird“, sagt Iris Thalbauer, Geschäftsführerin der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer. Denn die Verordnung enthalte Widersprüche und bringe viele rechtliche Unklarheiten mit sich, etwa bei der Gewährleistung oder auch beim Zahlungsverkehr. Viele kleine Händler würden sich den Webauftritt zwei Mal überlegen. Das Risiko, vielleicht einen Kunden zu gewinnen, aber bei Rechtsstreitigkeiten unabwägbare Kosten zu haben, sei zu groß. Der Handel leide ohnehin schon unter dem Druck ausländischer Versandhändler, sagt Thalbauer.
Laut Aussagen der EU-Kommission scheitert einer von drei Einkäufen im Internet, weil die Transaktion in irgendeiner Form verhindert wird. 40 Prozent aller Onlinehändler blockieren Kunden nach Ländern, obwohl nur elf Prozent von ihren Großhändlern vertraglich dazu verpflichtet wären.
Die Beschränkung von Geoblocking ist nur ein Element von vielen, mit denen die EU-Kommission bis Ende 2018 den digitalen Binnenmarkt fertigbauen will. Seit Dezember 2015 hat sie 24 Gesetzesvorschläge auf den Weg gebracht. Sechs davon sind beschlossen und teils auch schon in Kraft, darunter das Aus für die Roaminggebühren im Mobilfunk. Andere wie die erstmalige und aus BEUC-Sicht extrem wichtige Ausweitung klassischer Konsumentenschutzrechte auf den Kauf digitaler Dienstleistungen stehen knapp vor einem Beschluss.
Insgesamt ist die digitale Regulierung in der EU aber noch immer unbefriedigend und hinkt der technischen Entwicklung hinterher, kritisiert Konsumentenschützer Reyna. „Wir haben der EU-Kommission vor drei Jahren gesagt, dass die Konsumenten ungehinderten Zugang zu den Inhalten wollen“, sagt er. Aber statt eines verständlichen Systems sei nun ein unübersichtliches Stückwerk herausgekommen.
„Die Regelung bringt Unklarheiten.“