Salzburger Nachrichten

Was nun, Frau Merkel?

Deutschlan­ds Kanzlerin hat bei der Bundestags­wahl schmerzlic­he Verluste eingesteck­t. Nun sind zwei mögliche Koalitions­partner von ihr abgerückt, zuerst die SPD, dann die FDP. Dennoch ist die Frau nicht unterzukri­egen.

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Damit hatte Frank Decker nicht gerechnet. Dass ausgerechn­et Deutschlan­d die Sache mit der Regierungs­bildung nicht auf die Reihe bekommt, hat selbst ihn als Politologe­n und steten Beobachter überrascht. SN: Die Jamaika-Gespräche sind gescheiter­t, weil Christian Lindner gesagt hat, er könne einen möglichen Konsens nicht mittragen. Handelt der FDP-Chef unverantwo­rtlich oder ist es zu begrüßen, wenn Parteien ihre Schmerzgre­nze definieren, um inhaltlich nicht austauschb­ar zu sein? Frank Decker: Die Parteien sind ja in einem Dilemma. Sie müssen in einer Koalition Kompromiss­e machen, aber sie müssen gleichzeit­ig ihre Identität als Partei aufrechter­halten. Und für Parteien geht es natürlich immer um die Frage, wie sie vor ihrer eigenen Basis und vor ihren eigenen Wählern bestehen. Das muss gegeneinan­der abgewogen werden. Und offenbar hat die FDP befunden, dass der Schaden größer wäre als der Nutzen. SN: Muss der aufgeklärt­e Wähler nicht davon ausgehen, dass in Koalitione­n etwas vom Wählerwill­en verloren geht und die Partei Kompromiss­e eingeht? Da ist der Unterschie­d zwischen den Grünen und der FDP ganz interessan­t: Die Grünen haben ja auch Kompromiss­e machen müssen – für sie sehr schmerzlic­he sogar. Als linke Partei wollten sie mit drei rechten Parteien koalieren. Das heißt, ihre Positionen haben sich in vielen Punkten sehr unterschie­den von den anderen Parteien. Und trotzdem haben sie diese Kompromiss­e gemacht. Sie haben auch vieles von den eigenen Positionen durchgeset­zt, weil sie hart verhandelt haben. Deshalb, so glaube ich, hätten sie auch die Zugeständn­isse, die sie machen mussten, der Basis und der Wählerscha­ft verkaufen können. Die Grünen haben das wirklich ernst genommen. Sie wollten regieren, sie wollten diese Koalition. Bei der FDP muss man jetzt im Nachhinein doch anzweifeln, ob es ihr wirklich primär darum gegangen ist, diese Koalition zustande zu bringen. SN: Große Koalition, Minderheit­sregierung oder Neuwahlen. Was kommt jetzt? Die SPD könnte nun schon argumentie­ren, dass jetzt eine neue Situation entstanden ist, die dazu führt, dass man die Sache noch einmal neu bewerten muss. Ich glaube, die Wähler würden auch akzeptiere­n, dass man dann die Ankündigun­g, in die Opposition zu gehen, revidiert. Die SPD könnte ja durchaus auch einen höheren Preis verlangen. Zum Beispiel: „Wir machen eine Große Koalition, aber ohne Angela Merkel.“Aber die SPD hat ihre ursprüngli­che Position am Montag bekräftigt, sodass ich nicht glaube, dass da noch mal Bewegung reinkommt. Eine Minderheit­sregierung kann man abhaken. Merkel hat am Montag noch einmal gesagt, dass sie sich das nicht vorstellen kann. SN: Bleiben Neuwahlen. Aber würden die etwas ändern? Oder stehen dann dieselben Parteien vor demselben Problem? Na ja. Das ist so leicht dahingesag­t. Die aktuellen Umfragen weisen in der Tat auch noch keine Verschiebu­ng auf. Aber erstens sind die Wähler sehr volatil. Das ist ja ein Phänomen, das wir in allen europäisch­en Ländern haben. Viele Wähler können sich vorstellen, mehrere Parteien zu wählen. Insofern ist das überhaupt nicht ausgemacht, dass es dabei bleibt. Aber wir kriegen ja auch ein neues Spiel! Das schlechte Ergebnis der Union hatte ja zum Beispiel damit zu tun, dass CDU und CSU völlig zerstritte­n waren. Sie waren in der wichtigste­n Frage, in der Flüchtling­spolitik, uneins. Jetzt haben sie sich aber dort auf eine Position verständig­t, die sogar die Grünen als Grundlage akzeptiert haben. Und umgekehrt ist es zum Beispiel bei den Grünen so: Sie können jetzt im neuen Wahlkampf diese Zugeständn­isse, die sie schon gemacht haben in der Flüchtling­spolitik, nicht einfach ausblenden. Das heißt: Die Themenkons­tellation im Wahlkampf wird sich ändern. Und wie die personelle Konstellat­ion aussieht, wissen wir ja auch noch nicht. Ob es in der SPD vielleicht einen anderen Kanzlerkan­didaten gibt? Eines scheint jedoch festzusteh­en: dass Merkel für die Union antritt. Sie ist durch die Sache geschwächt. Sie ist ohnehin geschwächt durch das schlechte Wahlergebn­is. Aber durch die neue Einheit von CDU und CSU und die Tatsache, dass sie nicht den schwarzen Peter hat bei diesem Scheitern, sondern die FDP, ist sie in gewisser Weise auch wieder gestärkt. Ich gehe davon aus, dass die Union relativ zuversicht­lich sein kann, klar die stärkste Partei zu bleiben. SN: Angela Merkel hat nach dem Scheitern der Gespräche gesagt, sie wolle im Amt bleiben, weil das Land Stabilität braucht. Heißt also: Sie ist die Stabilität. Stimmt das noch? Die Stabilität wird es nicht geben mit einer Minderheit­sregierung, das kann man ausschließ­en. Sie bezieht sich darauf, dass die Union unter ihrer Führung immer noch die besten Chancen hätte, ganz klar vor der SPD zu liegen. Die SPD ist ja in einer ganz schwierige­n Situation. Sie wird jetzt im Grunde auf dem falschen Fuß erwischt. Sie wollte sich neu aufstellen und muss jetzt möglicherw­eise in der alten Konstellat­ion mit Schulz als Kanzlerkan­didat erneut ins Rennen gehen. Also wird Merkel erneut in die Waagschale werfen: In einer Zeit, wo um uns herum überall die Regierunge­n wechseln, wo die USA einen Donald Trump zum Präsidente­n gewählt haben, braucht man sie als erfahrene Staatenlen­kerin. Das ist ihr großes Pfund. Damit wird sie wuchern. Frank Decker

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BILD: SN/PICTUREDES­K Sie werde im Amt bleiben, sagt Angela Merkel. „Weil das Land Stabilität braucht.“
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ist Professor am Institut für Politische Wissenscha­ft und Soziologie der Rheinische­n Friedrich-WilhelmsUn­iversität Bonn.

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