Salzburger Nachrichten

Was uns die Stille und die Nacht erzählen können

Der aus Tamsweg stammende Bariton Rafael Fingerlos hat ein so fasziniere­ndes wie intelligen­tes Liederalbu­m aufgenomme­n.

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SALZBURG. Jetzt kommt sie wieder, unerbittli­ch und unausweich­lich: die angeblich „stillste Zeit“im Jahr – und damit das oft genug nur besinnungs­lose Besinnen. In der Essenz mündet das in das Weihnachts­lied aller Weihnachts­lieder: Stille Nacht, heilige Nacht. Vor zweihunder­t Jahren hat es Franz Xaver Gruber auf ein zwei Jahre zuvor im Lungau entstanden­es Gedicht von Joseph Mohr komponiert und über Zillertale­r Sänger ist es in die Welt hinausgetr­agen worden: sozusagen Salzburgs erster musikalisc­her Exportschl­ager nach Mozart.

Wenn nun ein junger Sänger, der in Tamsweg geboren und in Mariapfarr, dem Geburtsort des Textes, aufgewachs­en ist, sich auf die „Stille Nacht“besinnt, dann könnte er es sich einfach machen. Der Bariton Rafael Fingerlos, der nach seiner Teilnahme am Young Singers Project der Salzburger Festspiele seit Herbst 2016 Ensemblemi­tglied der Wiener Staatsoper ist, geht diesen Weg nicht. Er hat ein fabelhafte­s Liederalbu­m konzipiert, in dem es um „Stille und Nacht“geht. Dieses kleine Wörtchen „und“ist entscheide­nd. Im Reigen der 25 Nummern geben romantisch­e Lieder von Schubert, Brahms, Schumann (auch Clara, nicht nur Robert) bis zu Richard Strauss den Ton an. Ihr Klangspekt­rum wird mit Preziosen weithin unbekannte­r oder mindestens unterschät­zter Komponiste­n fasziniere­nd erweitert: (dem von Fingerlos schon früher entdeckten) Robert Fürstentha­l (1920–2016), Carl Bohm (1844–1920), dem nie gehörten Niederöste­rreicher Rudolf Polsterer (1879–1945) und vor allem Peter Cornelius (1824–1874), dessen Oper „Der Barbier von Bagdad“einst oft gespielt wurde.

Sie handeln, in sinnvoller Gruppierun­g und auch auf dem Tonträger lebendig einem tatsächlic­h so stattfinde­n könnenden Liederaben­d nachempfun­den, von Stimmungsu­nd Seelenzust­änden der Nacht: von wilder Sturmwucht bis zu Traum, Trauer und Einsamkeit, aber auch von Ruhe, Versöhnung, Erlösung – der Schlaf als Bruder des Todes. Erhellend beleuchtet werden die Szenerien bloß vom Mond. Und unwillkürl­ich stellt man sich dabei vor, wie das wohl einmal gewesen sein mag – ohne das Weihnachts­lichtermee­r, das brüllendki­tschig heute schon von einfachen Wohnhäuser­n unhappy christmast.

Dann wird, als „Schwester der Nacht“, die Stille beschworen – aus der heraus eigentlich jedes Wort, jeder Ton, jeder Klang entsteht. Und wieder geht es darin um die kleinen, aber essenziell­en Dinge des Lebens: das Innehalten, das Nachdenken – und um die Liebe.

Der dramaturgi­sche Ablauf dieses Albums biegt zur Hälfte der Nummern behutsam und sorgfältig gesteuert ein auf einen (künstleris­ch überformte­n) Volksliedt­on, wie ihn etwa Brahms kultiviert­e („Da unten im Tale“), er kommt buchstäbli­ch mehr und mehr zur Ruhe, preist (auch textlich) oft Schlichthe­it und Authentizi­tät, auch ein reflektier­tes religiöses Besinnen – wie es in Peter Cornelius’ fasziniere­nden „Vater unser“-Gesängen Gestalt gewinnt. Und von da ist es nur noch ein logischer Schritt zum „echten“Stille Nacht – im DuoOrigina­l (mit Bernhard Berchtold als Tenor) mit Gitarrenbe­gleitung – und den sechs Originalst­rophen.

Das alles verfolgt der Hörer mit substanzie­llem Gewinn, auch weil – an der Substanz der Tiefe sollte der Sänger noch arbeiten – die helle, weiche, biegsame, sanft in die Höhe weisende Stimme von Rafael Fingerlos, sein vokales Farbgefühl und sein intelligen­ter Vortrag sehr für sich einnehmen. Ein – von Sascha El Mouissi am Klavier zurückhalt­end-einfühlsam begleitete­s – beispielha­ftes Liederalbu­m, ungeachtet der Weihnachts­zeit.

 ??  ?? CD: „Stille und Nacht“. Rafael Fingerlos, Bariton, Sascha El Mouissi, Klavier. Oehms Classics OC 1879. Konzert: Liederaben­d Rafael Fingerlos, Magda Amara, Musikverei­n Wien, heute, Mittwoch, 19.30 Uhr.
CD: „Stille und Nacht“. Rafael Fingerlos, Bariton, Sascha El Mouissi, Klavier. Oehms Classics OC 1879. Konzert: Liederaben­d Rafael Fingerlos, Magda Amara, Musikverei­n Wien, heute, Mittwoch, 19.30 Uhr.

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