„Ich habe jede Religion vergessen“
Michael Degen, vor allem als Vice Questore Patta in den Donna-Leon-Verfilmungen der Romane um Commissario Brunetti bekannt, spielt im „Tel-Aviv-Krimi“die autobiografisch gefärbte Rolle eines Überlebenden der NS-Rassenhölle.
Mörderjagd in Israel: In „Der TelAviv-Krimi“klärt ein Ermittlerduo Verbrechen auf. Ein Archäologe, der die antike Festung Masada erforschte, ist bei einer Explosion ums Leben gekommen. Die Ermittlungen konzentrieren sich auf den Vater des Toten, den Holocaust-Überlebenden Avram Salzman, gespielt von Michael Degen. SN: Herr Degen, Sie mussten sich als Kind in Berlin vor den Nazis verstecken. Nun spielen Sie einen israelischen Archäologen, der ein ähnliches Schicksal erlitten hat. Michael Degen: Wissen Sie, ich habe mich im Grunde ein bisschen daran gewöhnt, denn ich habe das ja schon mehrmals durchlaufen. Zum Beispiel, als meine Autobiografie „Nicht alle waren Mörder“verfilmt wurde. Der Mann, den ich diesmal spiele, hatte allerdings ein sehr viel härteres Schicksal als ich. Ich habe mich in Berlin verstecken können und war im Untergrund. Aber ich bin nicht in ein Lager gekommen, schon gar nicht in ein Vernichtungslager – das unterscheidet mich sehr von der Filmfigur. SN: Wie wurde das deutsche Filmteam in Israel aufgenommen? Sehr höflich und sehr großzügig. Als die Leute erfuhren, dass ich jüdisch bin und in meiner Kindheit im Untergrund gelebt habe, wurde ich behandelt wie Gott in Frankreich. Als wir zum Beispiel auf Masada drehten, diesem berühmten Festungsfelsen, wurde mir für den sehr steilen, schmalen und steinigen Weg eine Sänfte gebaut, damit ich nicht zu Fuß gehen musste. Vier starke Männer trugen mich hoch. Die vier waren sehr erschöpft, als wir oben ankamen. SN: Sie haben von 1949 bis 1951 in Israel gelebt. Konnten Sie sich jetzt noch auf Hebräisch verständigen? Ich habe bei den Dreharbeiten leider gemerkt, wie viel ich vergessen habe. Anfangs konnte ich mich nicht richtig unterhalten, mit der Zeit klappte es wieder etwas besser. SN: Wieso sind Sie damals nach Deutschland zurückgekehrt, ins Land der Täter? Ich bin nach Israel gegangen, weil ich meinen Bruder wiederfinden wollte, was mir gelungen ist. Dann wollte mein Bruder endlich unsere Mutter wiedersehen. Da ich ein Engagement in Tel Aviv hatte, konnte ich ihm den Flug nach Deutschland bezahlen. Ich ging etwas später auch zurück, wir blieben alle in Deutschland. Ich wollte in meinem Beruf arbeiten und mich weiterentwickeln, natürlich am besten in meiner Muttersprache. SN: Wie hat sich Tel Aviv verändert? Es ist unglaublich, was sich da getan hat. Als ich damals dort lebte, war es eher eine kleine Provinzstadt, heute ist es ein kleines New York. Ich habe ein besonderes Verhältnis zu diesem Land und zum Staat Israel. Ich bin auf der einen Seite sehr stolz darauf, dass das Land diese Entwicklung genommen hat, es ist wirtschaftlich sehr gewachsen und deshalb sehr selbstbewusst. SN: Und andererseits? Die andere Seite sind die doch sehr schwierigen politischen Verhältnisse. Ich weiß, dass dieses Land sich wehren muss, aber irgendwann muss es zu einem Ende der Konflikte mit der arabischen Seite kommen. Ich habe Angst, dass das eines Tages schiefgehen könnte. SN: Macht Ihnen auch der wachsende Antisemitismus in Deutschland Angst? Nein, Angst macht mir das nicht. Antisemitismus gab es schon immer – leider. SN: Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Alltag? Mein Vater war religiös, und ich bin auch ziemlich religiös erzogen worden. Aber nach dem Holocaust und nachdem mein Vater tot war, habe ich jede Religion vergessen, und das hält bis heute an. Er war im KZ Sachsenhausen, ist zwar noch ’rausgekommen, aber bald danach gestorben. Er ist von den Nazis regelrecht kaputtgeschlagen worden. SN: Sie haben ein neues Buch angekündigt. Es gibt die Idee zu dem Buch, und ich habe schon Notizen gemacht, aber ich weiß noch nicht, was sich der Verlag genau vorstellt. Es wird wohl um meinen Vater gehen, mehr kann ich noch nicht sagen. SN: Das Publikum kennt Sie seit 18 Jahren als schrulligen Vice Questore Patta aus den Verfilmungen der DonnaLeon-Krimis über Commissario Brunetti. Werden Sie bald wieder vor der Kamera stehen? Wenn mir die Drehbücher gefallen und sich das für mich lohnt, werde ich das gern noch einmal machen. SN: Der jüdische Humor gilt als einzigartig. Kennen Sie einen guten jüdischen Witz? Da muss ich kurz nachdenken – aber ja: Zwei Juden unterhalten sich und der eine fragt: „Sprechen Sie Esperanto?“Worauf der andere sagt: „Was heißt sprechen? Ich war drei Jahre drüben.“Den finde ich immer wieder gut. Michael Degen kam 1932 in Chemnitz zur Welt und überlebte die Nazizeit in wechselnden Verstecken in Berlin. Dem Fernsehpublikum wurde er in „Die Buddenbrooks“oder „Diese Drombuschs“bekannt. Seine Autobiografie „Nicht alle waren Mörder“wurde 2006 verfilmt.