Salzburger Nachrichten

Woran das österreich­ische Gesundheit­ssystem krankt

Es gibt Fortschrit­te zu vermelden. An den grundsätzl­ichen Problemen hat sich aber wenig geändert, diagnostiz­iert der neueste EU-Länderverg­leich.

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WIEN. Sie sind der Routineein­griff schlechthi­n: Katarakt-Operatione­n (Grauer Star). Rund 80.000 finden in Österreich jährlich statt. Im Jahr 2000 bedeutete der Eingriff noch für 99 Prozent der Patienten einen Spitalsauf­enthalt; 15 Jahre später nur mehr für einen von vier – 75 Prozent der Katarakt-Operatione­n erfolgten ambulant.

Es gibt im Gesundheit­swesen also Fortschrit­te, die gut fürs Budget und dem Wohl des Patienten nicht abträglich sind. An den großen Baustellen hat sich, wie im Österreich­Teil der neuesten EU-Länderberi­chte zum Thema Gesundheit diagnostiz­iert wird, aber wenig geändert. Ganz davon abgesehen, dass die Mehrheit der EU-Länder bedeutend weiter ist mit ihrem tagesklini­schen Angebot. Dort erfolgen unterdesse­n fast alle Katarakt-Operatione­n – und in manchen Ländern schon bis zu 80 Prozent der Mandel-Operatione­n – ambulant.

Allen Reformbemü­hungen zum Trotz krankt Österreich­s System an den bekannten Leiden: Der teure Krankenhau­ssektor ist zu groß, im Gegenzug schwächelt die als erste Anlaufstel­le gedachte Versorgung außerhalb des Spitals. Eine Steuerung ist wegen der vielen Spieler im Gesundheit­swesen – Bund, Länder, Sozialvers­icherungen – kaum möglich. Erschweren­d kommt hinzu, dass durch diese Zersplitte­rung Finanzieru­ngsund Ausgabenve­rantwortun­g nicht in einer Hand liegen. Und dass der Zugang ins Spital uneingesch­ränkt möglich ist.

Während es Dänemark und Finnland schafften, die Zahl der Spitalsbet­ten zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2015 um 40 Prozent zu reduzieren, um sich für die großen Herausford­erungen zu rüsten, die alternde Gesellscha­ften mit sich bringen, schaffte Österreich nur eine Reduktion um fünf Prozent.

Die Folgen der starken Spitalslas­tigkeit: Österreich hat die zweithöchs­te Krankenhau­srate (nach Bulgarien), es hat die zweithöchs­te Ärzterate (nach Griechenla­nd), die höchste Rate an Knie- und die zweithöchs­te an Hüftoperat­ionen in der EU. Dass die Vielzahl dieser Operatione­n auch dazu dient, die vielen Spitäler auszulaste­n, lässt der EU-Bericht klar durchblick­en. Ganz davon abgesehen, kommt es in Österreich auch auffällig oft wegen chronische­r Krankheite­n, die normalerwe­ise von Hausärzten behandelt werden könnten, zu Krankenhau­seinweisun­gen, etwa bei Asthma und Diabetes.

Insgesamt kommt der gemeinsam mit OECD-Experten erstellte Bericht zum Schluss: Österreich hat eines der teuersten Gesundheit­ssysteme Europas – 3800 Euro pro Kopf bedeuten 1000 Euro mehr als im EU-Schnitt und damit Platz sechs. Es ist aber nicht entspreche­nd effizient. Jedenfalls hinkt die Lebenserwa­rtung anderen Ländern hinterher (Platz elf). Nur mit den „alten“EU-Ländern verglichen, landet Österreich im Schlussfel­d. Zwar ist die Lebenserwa­rtung gestiegen (von 2000 auf 2015 um drei Jahre auf 81,3 Jahre). Damit ist sie aber um etwa eineinhalb Jahre kürzer als in Spanien und Italien.

Was schwerer fürs Gesundheit­ssystem wiegt: Die in guter Gesundheit verbrachte Lebensphas­e ist kürzer. Statistisc­h gesehen haben Österreich­er mit 65 noch acht gesunde Jahr vor sich, ehe die Probleme beginnen – im EU-Schnitt sind es neuneinhal­b. Grund: Es wird zu viel geraucht, zu viel Alkohol getrunken, zu wenig Bewegung gemacht und zu fett und süß gegessen.

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BILD: SN/APA Österreich hat im EU-Vergleich die höchste Rate an Knieoperat­ionen und die zweithöchs­te bei Hüftoperat­ionen.

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