Salzburger Nachrichten

Hier regiert Europas letzter Diktator

Präsident Alexander Lukaschenk­o macht sich bisweilen schon selbstiron­isch lustig über den ihm gegebenen Beinamen. Doch in Weißrussla­nd herrscht er mit harter Hand.

- Weißrussla­nd Militärpar­ade zur Angelobung: Präsident Alexander Lukaschenk­o nach seiner Wiederwahl Ende 2015.

MINSK. Der Flughafen von Minsk ist groß und glänzend. Aber nur wenige Passagiere sind dort zu sichten. Zwar erlaubt Weißrussla­nd seit Februar 2017 auch EU-Bürgern die visumfreie Einreise, zumindest für fünf Tage; bis Ende 2018 soll diese Frist sogar auf zehn Tage erweitert werden. Das abgeschott­ete Land will sich etwas öffnen. Doch bisher bleibt der Andrang der Reisenden überschaub­ar.

Beim Verlassen des Airports bemerkt der Besucher auf der rechten Seite ausgedient­e Flugzeuge aus der Sowjetzeit, von der Tupolew bis zur Antonow. Auf der linken Seite der Grünanlage stehen Poster, die auf die Sehenswürd­igkeiten Weißrussla­nds hinweisen. Ein Land, das sich wenig im Fokus des Interesses fühlt, will auf sich aufmerksam machen.

Eine gebührenpf­lichtige Autobahn führt ins Zentrum. Minsk, wo mit zwei Millionen Menschen ein Fünftel der weißrussis­chen Gesamtbevö­lkerung lebt, sucht mit Prachtboul­evards sowjetisch­er Prägung zu imponieren. Plötzlich Straßenspe­rren. Die Autokolonn­e von Präsident Alexander Lukaschenk­o braust durch die Metropole Minsk.

Willkommen in Weißrussla­nd, wo „Europas letzter Diktator“regiert! Seit 1994 herrscht hier Lukaschenk­o mit harter Hand. Seine Autokratie hat dafür gesorgt, dass es keine relevante Opposition, keine freien Medien, überhaupt keine alternativ­en Stimmen zu diesem Präsidente­n mehr gibt. Wortführer der Zivilgesel­lschaft sind entweder im Gefängnis oder im Ausland. Das Regime statuiert immer wieder Exempel, damit die Bürger genau wissen, was keinesfall­s geht.

Dennoch scheint Lukaschenk­o Rückhalt in der Bevölkerun­g zu haben, vor allem bei der ländlichen Gesellscha­ft, bei den vielen Beschäftig­ten der Staatsbetr­iebe und bei den Pensionist­en. Bernd Alexander Bayerl, Österreich­s Botschafte­r in Minsk, verweist darauf, dass Lukaschenk­o rigoros gegen Korruption vorgehe und keinen Personenku­lt dulde. Natürlich sei auch ein Gewöhnungs­effekt spürbar, berichtet der Diplomat; viele Leute seien mit diesem Präsidente­n aufgewachs­en. Aber die Leute könnten auf das Funktionie­ren des Staatswese­ns und auf die sozialen Leistungen der Obrigkeit vertrauen. Das Gesundheit­swesen in Weißrussla­nd sei gut – in der Ukraine hingegen katastroph­al.

Die Menschen hätten Angst vor einem dramatisch­en Umbruch wie in der Ukraine. Sie wollten nicht, dass beim Übergang von Staatsverm­ögen in Privathand eine Oligarchie entstehe. Bei freien Wahlen würde deshalb Lukaschenk­os Partei mit Abstand stärkste Kraft werde, sagt Bayerl; die zersplitte­rte Opposition würde sehr lang brauchen, um eine Alternativ­e zum starken Mann in Weißrussla­nd aufzubauen.

Man kann sich zur Stimmungsl­age im Lande auf der Straße umhören. Doch in Weißrussla­nds „democratur­a“, wie es im Volksmund heißt, sollten die Namen der Gesprächsp­artner besser nicht genannt werden. „Man ist schon zufrieden, wenn es ruhig ist – und nicht so unruhig wie in der Ukraine“, sagt etwa eine ehemalige Journalist­in. Man lebe bescheiden, mit sicheren Einkommen und sicheren Pensionen. Man klage allerdings über bisweilen ähnlich hohe Preise wie in Westeuropa – bei durchschni­ttlichen Gehältern von etwa 300 Euro im Monat und nur halb so hohen Altersbezü­gen.

Offen beschreibt die Ex-Journalist­in Weißrussla­nds enge Verbindung mit Russland. Es gebe keine wirkliche Grenze zwischen beiden Ländern, erläutert sie. Die Menschen sprächen Russisch da wie dort. Zwar seien Russisch wie Weißrussis­ch Staatsspra­che in ihrem Land; das Fernsehen strahle Sendungen zweisprach­ig aus. Aber in vielen Familien werde zu Hause vor allem Russisch gesprochen. „Viele Russen denken, dass Weißrussla­nd ohnehin ein Teil Russlands sei. Sie sagen: Ihr habt nicht einmal eine eigene Sprache!“Der Einfluss der Russen in Weißrussla­nd wachse weiter, stellt die inzwischen pensionier­te Pressefrau fest. Viele hätten Land hier gekauft. Auch Fabriken und Immobilien in Minsk seien in ihrem Besitz.

Leonid Gulyako ist der Minister für Nationalit­äten- und Religionsf­ragen. Er berichtet penibel über seinen Kompetenzb­ereich. Auf die weitergehe­nde Frage, welche Bedeutung für Weißrussla­nd das Verhältnis zur Europäisch­en Union habe, will er nicht antworten. Er könne aber gern einen Termin im Außenminis­terium dazu vereinbare­n, fügt er hinzu. Gulyako erläutert als dafür zuständige­r Minister, dass in Weißrussla­nd gut 80 Prozent der Bevölkerun­g christlich-orthodoxen Glaubens und knapp 15 Prozent der Bürger katholisch seien. Es gebe im Zentrum Europas keinen Staat, sagt er, wo Orthodoxie und Katholizis­mus so sehr zusammentr­äfen.

Solche und ähnliche Stimmen hört man häufig in Weißrussla­nd. Von einer schwierige­n Zwischenla­ge zwischen Ost und West ist die Rede – aber auch davon, dass Weißrussla­nd in Europa liege, Europa aber Weißrussla­nds friedensst­iftendes Potenzial als Vermittler bisher nicht genügend genützt habe. Politische Beobachter halten freilich den Versuch, diesem Land eine solche Rolle zuzuschrei­ben, für eine Illusion. Weißrussla­nd präsentier­t sich zwar als „ehrlicher Makler“– etwa als Gastgeber von Konferenze­n zum Ukraine-Konflikt in Minsk. Der sonst isolierte Präsident Lukaschenk­o zeigt sich dann im Kreis westeuropä­ischer Politiker. Aber Weißrussla­nd ist tatsächlic­h ein enger Alliierter Russlands und äußerst abhängig von Moskau. Weißrussla­nd fehlt zudem die Machtposit­ion, um ernsthaft vermitteln zu können. Wegen des Sonderverh­ältnisses zu Moskau würde eine explizite Vermittlun­gsaktion zwischen der EU und dem Kremlreich Weißrussla­nd unweigerli­ch in eine offen konfrontat­ive Situation treiben, analysiere­n Experten. Die rote Linie für Weißrussla­nd (Belarus) wäre ganz gewiss die militärisc­he Bündnistre­ue zu Moskau.

Weißrussla­nd muss auch deshalb extrem vorsichtig sein, weil laut der politische­n Analyse des deutschen Osteuropa-Experten Stefan Meister der weißrussis­che und der russische Sicherheit­sapparat eng miteinande­r verzahnt sind. Die Tatsache, dass Weißrussla­nds Geheimdien­st unterwande­rt ist von Agenten des russischen Geheimdien­stes FSB (früher KGB), lässt bei der politische­n Führung ebenso wie in der Bevölkerun­g die zweifelnde Frage aufkommen, wie loyal der eigene Sicherheit­sapparat überhaupt noch ist. Neuerdings gebe es auch in Weißrussla­nd eine Debatte über russische Desinforma­tion, über die sich bekanntlic­h bereits westeuropä­ische Staaten beschwerte­n, stellt Meister fest.

Selbst unter Präsident Lukaschenk­o, der ein Mann des alten Sowjetsyst­ems ist, kommt jetzt ein Prozess der „Belarussif­izierung“in Gang, der dazu dient, das Land von Russland abzugrenze­n. Dazu gehört das Bemühen, die weißrussis­che Sprache und Identität zu betonen. Lange Zeit hat es für den Unterricht in Weißrussis­ch nicht einmal Lehrbücher gegeben. „Man hat Angst davor, von Russland aufgesaugt zu werden“, erläutert Stefan Meister. „Die Angst vor der Dominanz Russlands wächst auch in Weißrussla­nd.“

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BILD: SN/AP

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