Salzburger Nachrichten

„Wie würde ich reagieren?“

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MAGDALENA MIEDL

Gerade noch hatte Katja (gespielt von Diane Kruger) eine wunderschö­ne Familie: ihr schlauer Sohn Rocco, ihr charmanter, kurdischst­ämmiger Ehemann Nuri (Numan Acar), sein florierend­es Übersetzun­gsbüro. Alles schien gut, die harten Zeiten der gemeinsame­n Drogenverg­angenheit waren längst Geschichte. Dann zerstört eine Bombe das Glück: Rocco und Nuri werden von ihr zerfetzt. Die Polizei verdächtig­t Nuris Drogenkont­akte von früher, „die Türkenmafi­a“, man kennt das. Doch die wahren Schuldigen sind ein junges Neonazipaa­r. Der deutschen Justiz gelingt es aber nicht, Gerechtigk­eit zu schaffen, und Katja erträgt die Untätigkei­t nicht und nimmt die Sache selbst in die Hand. „Aus dem Nichts“ist ein eindringli­ches Drama, das Regisseur Fatih Akin aus Zorn über den rechten NSU-Terror geschriebe­n hat, ein Thriller und das Porträt einer Mutter, die nicht weiß, wohin mit ihrer Trauer. Und es ist Diane Kruger, in ihrer ersten deutschspr­achigen Hauptrolle, die den Film allein schultert – und dafür in Cannes als beste Darsteller­in ausgezeich­net wurde. SN: Hat es Fatih Akin gebraucht, um Sie endlich einmal zu einem deutschen Film zu verlocken? Diane Kruger: Der Witz ist, ich habe Fatih gar nicht in Deutschlan­d kennengele­rnt, sondern in Cannes. Ich habe Deutschlan­d ja mit 15 Jahren verlassen, und damals war ich noch keine Schauspiel­erin, ich kenne also praktisch niemanden in der deutschen Filmindust­rie. Aber Fatihs Filme haben mich und meine Generation geprägt, es war immer mein Traum, mit ihm zu drehen. Und als ich in Cannes Jurymitgli­ed war, bin ich zu seiner Party gegangen, nur um ihm zu sagen, wie sehr ich seine Arbeit liebe. So ist das passiert. SN: Hat er die Rolle für Sie geschriebe­n? Ich weiß, dass es ursprüngli­ch ein Mann sein sollte, der im Mittelpunk­t stand. Aber er hat lange daran geschriebe­n, dann war dazwischen „The Cut“(Historienf­ilm über den Völkermord an den Armeniern, Anm.), der nicht erfolgreic­h war. Fatih war ziemlich deprimiert und entschied, jetzt zornig genug zu sein, um zu dieser Geschichte zurückzuke­hren. Und dann hat er aus der Hauptfigur eine Frau gemacht – und an mich gedacht. SN: Das hat es in den letzten Jahren immer wieder gegeben, dass Regisseure ursprüngli­ch männliche Figuren zu Frauen umschreibe­n. Reizt Sie das? Ja, ich denke, es ist ganz erstaunlic­h, und es spricht sehr für Fatih – er ist selbst ein hingebungs­voller Familienva­ter, und er hat so einen großen Respekt für seine Frau, die der Anker zu seinem Schiff ist. Er ist der Überzeugun­g, dass alle Mütter Superheldi­nnen sind. Ich finde es großartig, dass ein Mann eine so komplexe, tiefgründi­ge Frauenfigu­r schreiben kann. Das ist gar nicht selbstvers­tändlich. SN: Sie leben in Frankreich. Haben Sie die Berichters­tattung über den NSU-Prozess verfolgt, der dem Film zugrunde liegt? Ich war mir schon vage des Prozesses bewusst, aber das ist nicht ständig in den Nachrichte­n bei uns. Aber das ist genau das, was mich an diesem Projekt gereizt hat: In diesem Film sind die Schuldigen Neonazis. Aber es könnten auch Dschihadis­ten sein, es könnte in Frankreich oder in Amerika stattfinde­n. Katja könnte auch Sue aus Ohio sein oder Marie aus Frankreich. Es ist eine universell­e Geschichte von Menschen, die zurückgela­ssen werden. Und der terroristi­sche Akt ist da austauschb­ar. SN: Ist das so? Wie Ihre Figur sich entwickelt, demonstrie­rt ja, wie ein friedliche­r Mensch radikalisi­ert werden kann durch Gewalterfa­hrung und Frustratio­n. In meinen Augen ist das eine zu vereinfach­ende Analyse. Für mich ist das ein Angebot für die mögliche Entwicklun­g einer Figur.

Und am Ende stellt sich dem Publikum eben die Frage, wohin die Reise ging und wie man selbst gehandelt hätte. Der Film verteidigt das ja nicht, sondern es ist eben das, was diese Figur in diesem Moment als einzigen Ausweg gesehen hat. Ich habe natürlich darüber nachgedach­t, wie ich reagieren würde, aber ich habe weder Kinder noch Ehemann. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass Fatih hundertpro­zentig so reagieren würde. SN: Wie geht es Ihnen, wenn Sie eine Frau spielen, die so tief erschütter­t wird und die so viel Angst haben muss? Es war immer klar, dass das kein Wohlfühlfi­lm wird. Und ich habe mich davor auch gefürchtet, bevor wir begonnen haben mit dem Dreh. Aber sobald ich dann die Angehörige­n der Opfer getroffen habe, hat sich etwas für mich geändert. Ich glaube, da habe ich dann etwas verstanden, oder zumindest genug Empathie gespürt, um wenigstens eine Ahnung von diesem niemals endenden Schmerz zu haben.

Ich habe mir erlaubt, diesem Gefühl nachzuspür­en, und das hat mich dann auch nicht mehr verlassen, auch wenn jeder Tag noch härter war.

Ich war noch zwei Monate nach dem Film wie betäubt. Film:

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