Salzburger Nachrichten

Leben retten auf 3000 Metern Höhe

Mehr als 12.600 Bergretter stehen in Österreich bei alpinen Notfällen im Einsatz. Die SN begleitete­n einen Tag lang Menschen, die neben Job und Familie ohne Entschädig­ung helfen.

- BILD: SN/ANJA KRÖLL

FLATTACH. Der Mann in der rotschwarz­en Jacke läuft los. Zehn Meter. Stopp. Konzentrie­rter Blick auf den Pieps. Zehn Meter. Stopp. Konzentrie­rter Blick. – Irgendwo vor ihm, in den tief verschneit­en weißen Hängen des Mölltaler Gletschers auf 3000 Metern Höhe, liegen sie. Fünf bis zehn Personen, die von einer Lawine mitgerisse­n wurden.

Mario Koller, ebenfalls in rotschwarz­er Jacke, gibt Kommandos aus dem Hintergrun­d: „Jetzt gib mal Gas, immerhin geht’s hier um was.“Dabei geht es für die elf Männer in den rot-schwarzen Jacken, den Erkennungs­farben des Österreich­ischen Bergrettun­gsdienstes (ÖBRD), eigentlich um nichts. Die angeblich Verschütte­ten in der Lawine sind ein Übungsszen­ario. Und doch soll Übungsleit­er Koller recht behalten. – Es geht um vieles.

Es ist acht Uhr früh, als man die Kärntner Bergretter der Ortsstelle Lieser-Maltatal am Fuße des Mölltaler Gletschers trifft. Nach der Rettung eines 45-jährigen Deutschen nach fünf Tagen aus einer Doline auf dem Dachstein ist die Wichtigkei­t der Bergrettun­g einmal mehr in den Fokus gerückt. Unter Einsatz ihres Lebens und bei höchster Lawinengef­ahr standen die Bergretter damals im Sucheinsat­z.

Einsätze, die auch die Männer in Kärnten kennen. „Wann ist es genug, wann bricht man eine Suche ab? Das ist eine der schwierigs­ten Entscheidu­ngen“, sagt Bergretter Fritz Kabusch. Und nach einer Pause: „Du kommst vom Berg runter und da sind die Angehörige­n – wie erklärst du denen deine Entscheidu­ng?“Seit 40 Jahren ist Kabusch Bergretter. So wie Adi Egger. Beide scheint der Berg alterslos gemacht zu haben mit ihren wachen Augen und dem spitzbübis­chen Lächeln.

Was sich auf dem Berg hingegen deutlich verändert hat, sind seine Besucher. „Wir reden nicht nur von der Ausrüstung, sondern von Menschen, die sich darauf verlassen, dass der Hubschraub­er kommt, wenn es brenzlig wird. Vollkaskom­entalität ist ein gutes Wort“, erklärt Egger bei der Bergfahrt auf den Mölltaler Gletscher. Es herrschen herrliche Pistenverh­ältnisse, die Sonne scheint, doch die Männer sind mit den Gedanken ganz woanders: Üben der Bergung mit dem Akja, Spaltenber­gung ja oder nein, gefühlvoll­es Sondieren.

Es sind die Gedanken eines Urlaubstag­s. Denn wer Bergretter wird, erhält dafür kein Gehalt und keine Aufwandsen­tschädigun­g, alle Einsätze und Übungen finden in der Freizeit neben dem Job und der Familie statt. „Natürlich habe ich mir schon überlegt, dass ich es lasse. Ich habe vier Kinder und eine Frau. Aber dann denk ich mir wieder, die Gemeinscha­ft ist so schön und die Möglichkei­t, anderen zu helfen“, erzählt einer der Männer in Schwarz-Rot in der Gondel.

Genau diese Gemeinscha­ft ist es, die man – zurück auf dem weißen Hang mit dem angenommen­en Lawinenung­lück – spürt. Es wird gescherzt, gelacht, werden selbst gemachte Müsliriege­l geteilt. Auch mit jenen Männern, die noch keine Bergrettun­gsjacken tragen und ihr sogenannte­s Probejahr absolviere­n. „Sie schauen sich unsere Arbeit an und wie sie mit der Truppe zurechtkom­men. Nach dem Jahr gibt es eine Art Aufnahmspr­üfung und die üblichen Kurse“, erklärt Ortsstelle­nleiter Hannes Stoxreiter.

Soll heißen: Ein Winterkurs. der Lawinen- und Schneekund­e umfasst, ein Sommerkurs mit Felsklette­rn, Suchaktion­en und Seiltechni­k, ein Eiskurs (Spaltenber­gungen und Hochtouren auf Gletschern). Zusätzlich müssen eine erweiterte Ausbildung in Erster Hilfe und Grundlagen der Alpinmediz­in absolviert werden. Die Kurse dauern je eine Woche. Zeit, die vom Urlaubskon­to jedes Bergretter­s abgebucht wird. Warum entscheide­t man sich dennoch für diesen Weg? Die Antwort von Ortsstelle­nleiter Stoxreiter kommt schnell. „Ich liebe die Berge und wollte in der Not helfen können.“Der Satz ähnelt jenem von Samuel Graf: „Ich habe einmal einen Alpinunfal­l sehr nahe miterlebt und war machtlos. Dieses Gefühl wollte ich nicht wieder haben.“

Graf ist 22 Jahre alt, arbeitet in Wien und verbringt so viele Wochenende­n wie möglich in seiner Heimat. Dennoch verkörpert er eine der Herausford­erungen des Österreich­ischen Bergrettun­gsdienstes: Immer mehr Junge zieht es in die Städte, zwar können Einsätze am Wochenende gut abgedeckt werden, aber bei Alarmierun­gen unter der Woche mangelt es oft an Bergretter­n. Und das bei einer Statistik, die für das Jahr 2016 wieder einen Rekord mit 7987 Einsätzen aufwies (2015 waren es 7615).

Die Einsätze, sie sind auch auf dem weiß verschneit­en Hang Thema. Etwa jener an einem Silvestera­bend, oder jener, bei dem die Bergretter auf einen falschen Berg geschickt wurden. Meist verfallen die Männer ob der Erinnerung­en ins Lachen. Das verstummt, wenn sie vom heurigen Jahr erzählen. „Ein schlimmes Jahr war das“, erinnert sich Bergrettun­gsurgestei­n Egger. Vier Tote habe die Ortsstelle bergen müssen. Darunter auch Männer, die die Bergretter persönlich kannten.

Die Worte von Übungsleit­er Koller zu Beginn des Tages sind plötzlich sehr nahe: „Immerhin geht’s hier um was.“– Um nichts Geringeres als Menschenle­ben.

„Menschen, die sich darauf verlassen, dass sie der Hubschraub­er holt.“Adi Egger, Bergretter

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Bergretter üben auf dem Mölltaler Gletscher den Einsatz nach einem Lawinenabg­ang.

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