Von der Verleihanstalt für Titel zum lebendigen Netzwerk
Wir benötigen für unsere Zukunft dringend gute Hochschulen. Doch was man darunter versteht, wird sich massiv verändern.
Universitäten im Jahr 2030 kann man sich so vorstellen: Jeder Studierende bekommt zu Studienbeginn einen Chip unter die Haut implantiert, der laufend seinen Gehirnstatus misst. Je nach individuellem Lernfortschritt und Interesse sucht der elektronische Coach die passenden Lerneinheiten und -formate aus einer riesigen Cloud an digitalen Unterlagen, Videos, Diskussionsforen und Chatbot-Dialogen aus. Nur lernen müssen die Studenten noch selbst. Selbst das könnte obsolet werden, sofern in nächster Zukunft Methoden gefunden werden, die den Stoff direkt ins Gehirn leiten.
In diesem Szenario gibt es keine Professoren, keine Hörsäle und keinen Campus mehr. Alles ist online. Die Universität wird zur digitalen Plattform, die über künstliche Intelligenz und mit menschlichen oder maschinellen Sprechern ihre Produkte erzeugt. Solche Visionen sind typisch, sobald man sich die Frage stellt, was mit den Hochschulen im digitalen Zeitalter passieren wird. Man flüchtet sich gern in technische Science-Fiction-Szenarien. Mit den realen Herausforderungen hat das wenig zu tun: Wir stehen am Ende eines Jahrzehnte dauernden Expansionskurses von Hochschulen, der möglicherweise zu Ende geht, weil es so viele Alternativen zur Aus- und Weiterbildung gibt wie nie. Unternehmen, Vereine, private Bildungsinstitutionen bieten vom kompletten Studienprogramm bis zu Nano-Degrees, kompakten, flexiblen Teilzeitkursen, die man nebenbei absolvieren kann, die ganze Palette an.
Trotz Bildungsauftrags und großteils staatlicher Finanzierung müssen sich Universitäten ähnlichen Fragen stellen wie Unternehmen: Wird es meinen Markt, Nachfrage nach meinen Leistungen, in Zukunft noch geben? Was wird unser USP (Unique Selling Proposition) sein, wo werden wir besser als andere sein? Welche Zielgruppen wollen wir ansprechen? Mit wem wollen wir zusammenarbeiten?
Vor allem die letzte Frage ist wesentlich: Wenn sie wollen, können Hochschulen der Sauerteig für die Entwicklung von Regionen und Ländern und zum gefragten Partner werden. Denn sie verfügen über enorm viel Wissen und im Gegensatz zu anderen Institutionen über die Freiheit, unkonventionell zu denken. Zudem beherbergen sie in der Regel eine bunt zusammengewürfelte Schar an Lehrenden und Studierenden. Das heißt: Sie haben hohes Innovationspotenzial und können zum Knotenpunkt für Innovationsnetzwerke für Unternehmen, Gemeinden, öffentliche Institutionen und sogar Bürgergruppen werden. Freilich müssen sie sich öffnen, falls sie diese Chance ergreifen wollen. Sind sie dazu bereit?