Wer länger sitzt, ist früher tot
Die Muskulatur ist das am meisten unterschätzte Organ. Ihre Defizite haben enorme Auswirkungen.
Die Studien sind vielfach, die Ergebnisse in der Tendenz immer ähnlich: Langes Sitzen ist eine wesentliche Ursache für Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Stoffwechselstörungen, Rheuma, Arthrosen, eine geschwächte Immunabwehr und Muskelabbau. Eine mehr als 14 Jahre dauernde Beobachtungsstudie mit 120.000 Personen kommt zu dem Schluss, dass Männer mit einer täglichen „Sitzleistung“von sechs Stunden ihr Risiko auf einen frühzeitigen Tod um 20 Prozent erhöhen, Frauen sogar um 40 Prozent. Ein inaktiver Lebensstil, sagt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), sei ein globales Gesundheitsrisiko geworden.
„Dagegen kann man etwas tun“, sagt der Orthopäde Andreas Stippler, Leiter des Ärztekompetenzzentrums in Krems. „Der Königsweg ist, seine Muskeln wieder intensiv zu bewegen. Damit kommen nicht nur Kraft und Ausdauer zurück, sondern man öffnet auch die Hausapotheke der Muskulatur. Denn bei der Muskelkontraktion werden nicht nur bekannte Stoffwechselprozesse in Gang gesetzt, sondern auch Hormone ausgeschüttet, die nicht nur lokal im Muskel, sondern im ganzen Körper wirken.“
Die schlechte Nachricht in dem Buch „Kluge Muskeln“ist, dass der Muskelabbau bereits um das 25. Lebensjahr beginnt. „Wer nicht durch Training etwas dagegen unternimmt, kann als Faustformel davon ausgehen, dass pro Jahr zirka ein Prozent seiner Muskelmasse abgebaut wird.“Ab dem 50. Lebensjahr setzt dann der altersbedingte Muskelabbau ein. Spätestens dann sollte man an Krafttraining denken.
Denn das ist die gute Nachricht: Muskelschwund ist kein Schicksal. Vielfach ist durch Studien belegt, dass der Muskelschwund schwindet, wenn man Muskelkraft trainiert. Das gilt nach dem Motto „Es ist nie zu spät“bis ins hohe Alter. „Ältere können sich ihre Muskelkraft zurückholen, und zwar innerhalb eines relativ knapp bemessenen Zeitraums“, betont Stippler. So hätten 65-jährige Männer und Frauen innerhalb von vier Monaten die Muskelquerschnitte von 30-jährigen Untrainierten erreicht. Insgesamt könne man mit optimaler Bewegung nicht nur sechs Jahre an Lebenszeit dazugewinnen, sondern vor allem mehr gesunde Jahre.
Wie nachhaltig trainierte Muskeln wirken – vorausgesetzt, man kommt des Öfteren pro Woche ins Schwitzen –, dafür zählen der Orthopäde und sein Mit-Autor Norbert Regitnig-Tillian zahlreiche Bespiele auf. Durch Bewegungsreize lernt zum Beispiel das Herz, effizienter und ökonomischer zu arbeiten. Ausdauersportler können pro Minute bis zu 35 Liter Blut durch den Körper pumpen, Untrainierte schaffen nur 20 Liter. Zudem stabilisiert sich durch bewegte und kräftige Muskeln der Blutdruck. Das Risiko für Bluthochdruck wird durch gut trainierte Muskeln um 30 bis 50 Prozent geringer.
Für den Wiedereinstieg in die Bewegung eignet sich nach Ansicht der Autoren zunächst der Alltag – Treppen benutzen, eine Station früher aus dem Bus aussteigen, Erledigungen in der Nähe zu Fuß machen. Wer Bewegung auf diese Art konsequent ins tägliche Leben einbaut, schafft damit bereits einen Teil seines Fitnessprogramms. In der Freizeit sollten dann pro Woche etwa 1,5 Stunden moderates Joggen und zwei 30-Minuten-Einheiten für Kraft, Koordination und Geschicklichkeit dazukommen.
Ein guter Test, wie es um die Koordination steht, ist das Balancieren auf einem Bein. 18- bis 39-Jährige schaffen es im Schnitt 45 Sekunden, auf einem Bein zu balancieren. 70Jährige, die nicht trainieren, kommen nur auf 15 Sekunden.