Salzburger Nachrichten

Bomben gegen Gotteskrie­ger

Nach dem verheerend­en Terroransc­hlag im Sinai fliegt die ägyptische Luftwaffe wieder Angriffe gegen die Islamisten. Doch diese Maßnahme hat bisher keineswegs gewirkt.

- GIL YARON

Der Anschlag auf eine Moschee in Bir al Abed im Norden der Sinai-Halbinsel schockiert selbst hartgesott­ene Beobachter in dem an Attentate gewöhnten Ägypten. Unbekannte Täter – höchstwahr­scheinlich Anhänger eines lokalen Ablegers der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) – hatten die AlRawadi-Moschee mit vier Geländewag­en umstellt und einen Selbstmord­attentäter ins Gotteshaus geschickt. Nachdem dieser sich mitten im Freitagsge­bet in die Luft gesprengt hatte, stürmten die Betenden aus der Moschee – genau in den Hinterhalt, den die Islamisten ihnen draußen gelegt hatten. Laut offizielle­n Angaben vom Sonntag wurden dabei mindestens 305 Menschen getötet und etwa 130 verletzt.

Der sichtlich erschütter­te Staatspräs­ident Abdel Fatah al-Sisi verhängte nach dem schwersten Anschlag in Ägyptens moderner Geschichte eine dreitägige Staatstrau­er. In einer Rede gab sich der ehemalige General entschloss­en und siegesbewu­sst. Die Streitkräf­te und die Polizei würden „Sicherheit und Stabilität mit äußerster Kraft wiederhers­tellen“, gelobte er in einer Fernsehans­prache.

Wenige Stunden später gab die Armee bekannt, die Luftwaffe habe noch am selben Tag mehrere mutmaßlich­e Stellungen der Attentäter bombardier­t und dabei 30 Terroriste­n getötet. Regierungs­nahe Publikatio­nen feierten das bereits als Beweis für den Erfolg der neuen Härte, mit der Präsident al-Sisi die Terroriste­n endlich besiegen könnte. Doch damit könnten sie sich nach Ansicht von Beobachter­n irren.

Denn leider ist es nicht das erste Mal, dass Islamisten ein brutaler Schlag gegen das Regime in Ägypten gelingt. Seitdem al-Sisi 2013 einen Putsch gegen die demokratis­ch gewählte Muslimbrud­erschaft durchgefüh­rt und die Macht an sich gerissen hat, tobt im Sinai ein Aufstand radikalisl­amischer Kräfte. Hunderte Soldaten und Polizisten sind dabei schon ums Leben gekommen. Es gibt die großen Attentate – und „kleinere Zwischenfä­lle“mit einem oder zwei Toten jede Woche. Stets verspricht al-Sisi, am Ende würde mehr Härte zum endgültige­n Sieg gegen die Aufständis­chen führen.

Dabei hat al-Sisi im Sinai fast schon alle Register gezogen, die seine Armee zu bieten hat. Seit 2014 ist der Norden des Sinai militärisc­hes Sperrgebie­t. Im Jahr 2015 stellte der Präsident die Truppen, die im Sinai kämpfen, unter ein neues Kommando. Nachdem 16 Soldaten im Oktober in einem Hinterhalt westlich von Kairo ums Leben gekommen waren, stellte al-Sisi erneut große Teile der Armeeführu­ng um. Fernab der Öffentlich­keit, ungebremst durch diverse unabhängig­e Berichte von Menschenre­chtsorgani­sationen oder Journalist­en, setzt die Armee auf der Halbinsel inzwischen fast ihr gesamtes Waffenarse­nal ein: Panzer, Drohnen, Kampfhubsc­hrauber, Scharfschü­tzen und Elitetrupp­en suchen hier nach dem schwer zu fassenden Feind – und zerstören dabei ungehinder­t ganze Dörfer. Sogar Teile der Grenzstadt Rafah wurden planiert und Tausende Bewohner zwangsumge­siedelt, um den Waffenhand­el und alle Kontakte zur radikalisl­amischen palästinen­sischen Hamas im Gazastreif­en nebenan zu unterbinde­n.

Im Kernland Ägyptens hat al-Sisi politische Freiheiten drastisch eingeschrä­nkt, die Medien gleichgesc­haltet, das Recht auf Demonstrat­ion aufgehoben und Tausende Gegner verhaftet.

Man solle die Menschenre­chte in seinem Land nicht nach westlichen Maßstäben beurteilen, mahnte er im Interview. Die Rechte auf Ernährung, Gesundheit und Sicherheit seien wichtiger.

Das neue Attentat zeigt aber, dass diese Haltung seinem Land keine Stabilität brachte. Selbst der militärisc­he Sieg über den IS – Mutterorga­nisation der Islamisten im Sinai – minderte deren Schlagkraf­t nicht. Genau wie Anhänger des Terrornetz­werks Al Kaida nach der Tötung Osama Bin Ladens weiterhin Anschläge im Kernland Ägyptens verüben. Teile der opposition­ellen Muslimbrud­erschaft behaupten gar, al-Sisis Politik der „harten Hand“gegen alle politische­n Gegner zwinge eine Minderheit in den Untergrund und treibe sie so in die Arme von Extremiste­n.

Um das Land vor dem Bankrott zu bewahren, fährt al-Sisi einen Sparkurs. So stieg die Zahl der Ägypter, die unter der Armutsgren­ze leben, laut offizielle­n Angaben auf 27,8 Prozent 2015. Das Heer der Unzufriede­nen wächst weiter.

Zahl der Unzufriede­nen wächst weiter

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BILD: SN/AP Brutaler Terroransc­hlag auf eine Moschee im Sinai: Mehr als 300 Menschen sind getötet worden. Der ägyptische Staat geht mit Waffengewa­lt gegen die Islamisten vor.

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