Auch Prag ringt um neuen Regierungspakt
In Tschechien muss der Wahlsieger Andrej Babiš wohl mit einem bunt zusammengewürfelten Kabinett regieren.
Ausgerechnet der in Tokio geborene Tomio Okamura ist der erfolgreichste Rechtsaußen-Politiker Tschechiens. Ein Migrantenkind also. Seine rechtsextreme Partei SPD (Freiheit und direkte Demokratie) brachte er Ende Oktober dank seiner Antizuwanderungsrhetorik mit 22 Sitzen ins Parlament. Der 45-Jährige gilt in den Koalitionsverhandlungen als Königsmacher. Obwohl der Milliardär Andrej Babiš mit seiner Partei ANO (Aktion unzufriedener Bürger) mit Abstand die meisten Stimmen geholt hat, braucht er mindestens einen Partner, um eine Regierung zu bilden. Die etablierten Parteien, also die Sozialdemokraten und die konservative Demokratische Bürgerpartei ODS, haben eine Koalition mit Babiš ausgeschlossen. Als Grund dafür nennen sie die finanziellen Skandale, in die er verwickelt sei. Babiš steht unter Betrugsverdacht, er soll EU-Gelder in der Höhe von 1,6 Millionen Euro in die eigene Tasche gewirtschaftet haben.
Vor vier Jahren schaffte Okamura schon den Sprung ins Parlament. Damals mit seiner Partei Úsvit (Morgendämmerung), mit der er gegen Roma hetzte. Kurz darauf gerieten die 14 Abgeordneten aneinander, wegen interner Machtkämpfe zersplitterte die Partei. Okamura gelang es noch, mit seiner PR-Firma einen Auftrag über 40.000 Euro hereinzuholen. „Dass Okamura die Politik nutzt, um an öffentliche Gelder heranzukommen, stört die Tschechen nicht. Die Mehrheit denkt: Das machen alle Politiker so. Die seien alle mehr oder weniger korrupt“, erklärt ein Insider.
Während des Wahlkampfs hat Okamura oft Halbwahrheiten oder Lügen aufgetischt, wie das FactChecking-Portal demagog.cz festgestellt hat. Von seinen 256 Äußerungen bei öffentlichen Auftritten wurden 68 als „unwahr“eingestuft und weitere 49 als „irreführend“. Aber das Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien war wohl noch nie so groß wie jetzt. Das erklärt, warum neun Parteien es geschafft haben, in das nur 200 Sitze fassende Parlament einzuziehen.
Dem Unternehmer Andrej Babiš reichen die Stimmen von Okamura allein nicht aus, um zu regieren. Als möglicher weiterer Koalitionspartner gilt die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens, die mit 15 Sitzen die fünftstärkste Kraft im Parlament ist. Sie fordert einen Volksentscheid über den Verbleib Tschechiens in der EU. Für ein Referendum über den „Czexit“spricht sich auch Okamura aus.