Ein heutiges Weltgericht fällt karg aus
Mit 21 Wachs-Formen erwidert eine Künstlerin auf das Triptychon von Hieronymus Bosch und wird dafür ausgezeichnet.
SALZBURG, WIEN. Wäre nicht die einem Flügelaltar gleichende Form der drei hellrosa Tische und die Nähe zu einem weitum bekannten Kunstwerk, man könnte auf den ersten Blick kaum ausmachen, was es mit den bunten Wachsstücken und dem Titel „Symposium on the dark ages“– zu Deutsch: Symposium über die finsteren Zeitalter – auf sich haben könnte. Doch vor allem ab heute, Montag, sollte man an diesen Tischen und ihrem Belag nicht mehr achtlos vorübergehen. Denn ihre Schöpferin, Kerstin von Gabain, bekommt dafür eine außergewöhnliche Auszeichnung.
Die Erzdiözese Salzburg, sonst längst keine Protagonistin für zeitgenössische Kunst, verleiht der aus Paolo Alto in den USA stammenden und in Wien lebenden Künstlerin den mit 11.000 Euro dotierten Kardinal-König-Kunstpreis (KKKP). Erzbischof Franz Lackner wird heute, Montag, in einem Festakt in St. Virgil damit jene 38-jährige Künstlerin hochleben lassen, die es mit dem unter dem thronenden Christus stattfindenden „Weltgericht“aufnimmt, in dem es – zwischen Vertreibung aus dem Paradies und höllischem Gericht – vor Todsünden, Martern und Strafen wurlt.
Auch wenn Hieronymus Bosch, der dieses „Weltgericht“vor gut 500 Jahren ausgetüftelt hat, ein frommer Christ, Mitglied der „Illustren Liebfrauenbruderschaft“samt niederen kirchlichen Weihen gewesen ist, hat weder das darauf replizierende Werk aus dem Jahr 2017 noch der nun zu verleihende Preis einen katholisch dogmatischen oder amtskirchlichen Konnex. Zum einen ist ein solcher in den Statuten der Preisvergabe ebenso wie vom Initiator Prälat Johannes Neuhardt ausgeschlossen. Dieser hat den 2005 erstmals verliehenen Kardinal-König-Kunstpreis der Erzdiözese Salzburg gestiftet, um den Dialog von Künstlern und Künstlerinnen zur Kirche anzuregen. Denn: „Die Kirche braucht die Kunst, und zwar die von heute“, stellt Johannes Neuhardt fest. „Sie kann sich nicht mit der von gestern begnügen, weil ihr Auftrag für heute und morgen gilt.“
Zum anderen ist auch die Preisträgerin vor allzu biederer katholischer Folgsamkeit gefeit. Sie sei ohne
„Das ist eine Anspielung auf das Bild.“Kerstin von Gabain, Künstlerin
religiöses Bekenntnis aufgewachsen, erzählt Kerstin von Gabain. Und ihr bisheriges Werk – vor allem Skulpturen und Fotografie – habe nichts mit Kirche zu tun. Erzdiözese Salzburg? Dazu habe sie keine Haltung. Sie sei eingeladen worden, sich mit einem Werk für den Preis zu bewerben.
Das „Symposium on the dark ages“ist für eine Gruppenausstellung in der Galerie der Akademie der bildenden Künste in Wien entstanden. Diese hat Felicitas ThunHohenstein kuratiert, die übrigens am Wochenende zur ÖsterreichKuratorin für die Biennale in Venedig 2019 ernannt worden ist. Thema der Ausstellung in Wien war „Pro(s)thesis“; dieses aus dem Griechischen stammende Wort bedeutet die Aufbahrung eines Verstorbenen sowie einen künstlichen Ersatz-Körperteil. Und Felicitas ThunHohenstein lud Kerstin von Gabain ein, sich dafür mit dem Triptychon des „Weltgerichts“zu befassen (dieses Bild hängt allerdings seit Anfang November, solange das Stammhaus am Schillerplatz saniert wird, im Wiener Theatermuseum in Wien).
Die drei Tische seien wie das Gemälde geformt, erläutert Kerstin von Gabain. Ihre Installation „hat dieselbe Größe, ist nur horizontal gekippt“. Die Objekte auf den Tischen seien „eine Spiegelung vom Altarbild“. Sie sind in aufwendigem Verfahren hergestellte Abbilder der Querschnitte von Körperteilen, wie Arm oder Bein – in Gips abgenommen, dann ausgehöhlt, geschliffen und in Wachs gegossen. Das Ergebnis sei „sehr abstrahiert“.
Dank solcher Präzision und Abstraktion, dank des formbaren Materials Wachs und dank der Kargheit in „Symposium on the dark ages“eröffnet sich ein weites Feld an Assoziationen. Vielleicht so: Erkennt man auf dem Tisch etwa Knochenund Körperteile, verändert sich der Blick auf das Bild, wo Strafen über nackte Körper vermittelt werden, wo also Sünde körperlich und bis ins Innerste der Körper relevant wird. Auch bei Hieronymus Bosch werden Leiber durchbohrt. Und schneidet da nicht gar eine Messerklinge einer Frau glatt in den Unterschenkel? Oder anders assoziiert: Wie Kerstin von Gabain den Blick ins Innere eines Körperteils lenkt, so zeigt Hieronymus Bosch das tiefe, bereits virulente Innenleben der Sündigen: die vor Hochmut für jede Hässlichkeit blind gewordene Frau oder den wie von Dämonen zum Saufen und Völlern genötigten Dickwanst. Oder so: Auf den Tischen liegen verführerisch farbenfrohe Stücke, auf der Eichenplatte ist farbenfrohe Öltempera; „Weltgericht“passiert in unseren Köpfen.
Ausstellung: Kunstwerke der Preisträgerin sowie der weiteren 23, für den Kardinal-König-Kunstpreis 2017 Nominierten, Kunstraum St. Virgil, Salzburg, bis 2. Februar. Dazu Katalog im Müry Salzmann Verlag.