Schweigen und Grübeln erschweren das Leben
Es gehört sich, seine Schwächen nicht zu zeigen und jedes Schuldgefühl für sich zu behalten. Doch wem hilft das?
Das große Schweigen hat immer schon sprachmächtige Texte provoziert. Es gehört zur österreichischen Spezialität, dass unter Verschluss gehalten wird, was schmerzt, damit die anderen nichts Schlechtes denken. Für die Literatur ist diese Zurückhaltung ein Segen, weil sie das lästig Unangenehme, das sich gefälligst ins Vergessen zu schleichen hat, ans Licht holt. Das macht Laura Freudenthaler in ihrem zweiten Buch nicht anders.
Fanny, alt und gebrechlich, nimmt das Verstummen als Erbrecht für sich in Anspruch. Dabei hätte sie etwas zu erzählen vom Leben auf dem Land, wo das Dulden zum Programm gehört. Es ist wenig zu merken vom Aufgehobensein in einer Gesellschaft, wo man einander kennt. Es gehört zum allgemeinen Grundbefinden, das Leben als Mühsal anzunehmen. Der Bauer, der beim Kartenspiel im Wirtshaus seinen Hof verliert, schweigt, sucht noch einmal die Orte seiner Kindheit auf, die ihm etwas bedeutet haben, und erhängt sich am nächsten Morgen in der Scheune. Das Schweigen des Einzelnen legt sich als Schulddecke schwer lastend auf die Gemeinde, die über den Fall auch lieber schweigt.
Fannys Vater hält das Schweigen überhaupt für eine edle Regung und vermeidet jeden Satz, der etwas über ihn aussagen könnte. Das Leben besteht aus Arbeit, aus sonst nichts. Und Fanny, die sich Laura Freudenthaler als erzählerisches Zentrum gewählt hat, kommt im Alter der Aufforderung ihrer Enkelin, ihr Leben aufzuzeichnen, auch nicht nach. Dafür laufen im Inneren nur umso intensiver prägende Szenen ab. Sie verfällt ins Schweigen, begräbt Vergangenheit in sich.
Dabei war Fanny früher durchaus einmal gesprächig. Sie formte für ihre Enkelin Episoden aus dem Dorf kindgerecht in Märchengestalt um. Was nicht dokumentiert ist, kann nicht Teil der Geschichtsschreibung werden. So wird auch die Enkelin mit der Märchenversion leben müssen, die sich allmählich zum Familienmythos verfestigen wird. Den Sprung zur Chronistin der Ereignisse schafft Fanny nicht mehr.
Laura Freudenthaler splittet das Leben Fannys in Bruchstücke, die für sich allein starke Erzähleinheiten ergeben. Es wird nachvollziehbar, wie sich Zeitgeschichte ins Land einfrisst. Fannys Bruder kommt nicht mehr aus dem Krieg heim, sie heiratet den Lehrer, niemand tritt das Hoferbe an. Das führt zum Untergang der Eltern. Fanny trägt schwer an einer Schuld, die ihr gar nicht zukommt.
Die bedächtige Spracharbeiterin Laura Freudenthaler schafft es, die innere Geschichte Fannys zu erzählen, jene der seelischen Belastungen, der schwebenden Gedanken, der hohen Erwartungen. Ihre Empfindung, die Eltern im Stich gelassen zu haben, wiegt schwer. Sie leidet an der Einbildung, wie „der Vater von seiner Kanzel vor dem Stallgebäude“ein Urteil über Fanny fällt. „Sie war verstoßen.“ Buch: Lesung: