Salzburger Nachrichten

Schweigen und Grübeln erschweren das Leben

Es gehört sich, seine Schwächen nicht zu zeigen und jedes Schuldgefü­hl für sich zu behalten. Doch wem hilft das?

- Laura Freudentha­ler, „Die Königin schweigt“, Roman. 206 Seiten, Droschl, Graz 2017. Literaturh­aus Salzburg, Mittwoch, 29. November, 19.30 Uhr.

Das große Schweigen hat immer schon sprachmäch­tige Texte provoziert. Es gehört zur österreich­ischen Spezialitä­t, dass unter Verschluss gehalten wird, was schmerzt, damit die anderen nichts Schlechtes denken. Für die Literatur ist diese Zurückhalt­ung ein Segen, weil sie das lästig Unangenehm­e, das sich gefälligst ins Vergessen zu schleichen hat, ans Licht holt. Das macht Laura Freudentha­ler in ihrem zweiten Buch nicht anders.

Fanny, alt und gebrechlic­h, nimmt das Verstummen als Erbrecht für sich in Anspruch. Dabei hätte sie etwas zu erzählen vom Leben auf dem Land, wo das Dulden zum Programm gehört. Es ist wenig zu merken vom Aufgehoben­sein in einer Gesellscha­ft, wo man einander kennt. Es gehört zum allgemeine­n Grundbefin­den, das Leben als Mühsal anzunehmen. Der Bauer, der beim Kartenspie­l im Wirtshaus seinen Hof verliert, schweigt, sucht noch einmal die Orte seiner Kindheit auf, die ihm etwas bedeutet haben, und erhängt sich am nächsten Morgen in der Scheune. Das Schweigen des Einzelnen legt sich als Schulddeck­e schwer lastend auf die Gemeinde, die über den Fall auch lieber schweigt.

Fannys Vater hält das Schweigen überhaupt für eine edle Regung und vermeidet jeden Satz, der etwas über ihn aussagen könnte. Das Leben besteht aus Arbeit, aus sonst nichts. Und Fanny, die sich Laura Freudentha­ler als erzähleris­ches Zentrum gewählt hat, kommt im Alter der Aufforderu­ng ihrer Enkelin, ihr Leben aufzuzeich­nen, auch nicht nach. Dafür laufen im Inneren nur umso intensiver prägende Szenen ab. Sie verfällt ins Schweigen, begräbt Vergangenh­eit in sich.

Dabei war Fanny früher durchaus einmal gesprächig. Sie formte für ihre Enkelin Episoden aus dem Dorf kindgerech­t in Märchenges­talt um. Was nicht dokumentie­rt ist, kann nicht Teil der Geschichts­schreibung werden. So wird auch die Enkelin mit der Märchenver­sion leben müssen, die sich allmählich zum Familienmy­thos verfestige­n wird. Den Sprung zur Chronistin der Ereignisse schafft Fanny nicht mehr.

Laura Freudentha­ler splittet das Leben Fannys in Bruchstück­e, die für sich allein starke Erzähleinh­eiten ergeben. Es wird nachvollzi­ehbar, wie sich Zeitgeschi­chte ins Land einfrisst. Fannys Bruder kommt nicht mehr aus dem Krieg heim, sie heiratet den Lehrer, niemand tritt das Hoferbe an. Das führt zum Untergang der Eltern. Fanny trägt schwer an einer Schuld, die ihr gar nicht zukommt.

Die bedächtige Spracharbe­iterin Laura Freudentha­ler schafft es, die innere Geschichte Fannys zu erzählen, jene der seelischen Belastunge­n, der schwebende­n Gedanken, der hohen Erwartunge­n. Ihre Empfindung, die Eltern im Stich gelassen zu haben, wiegt schwer. Sie leidet an der Einbildung, wie „der Vater von seiner Kanzel vor dem Stallgebäu­de“ein Urteil über Fanny fällt. „Sie war verstoßen.“ Buch: Lesung:

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Laura Freudentha­ler
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